Heilige für den Cyberspace
In der online-Ausgabevom 9. April 2000 berichtet die
SonntagsZeitung über Überlegungen, einen Heiligen für das Internet
zu finden. Wir geben den Artikel hier wieder:
Das Internet soll einen Schutzpatron bekommen, doch wem die Ehre gebührt, darüber herrscht Uneinigkeit
VON CUNO SCHNEEBERGER
Die Heilige Franziska
von Rom beschützt die Autofahrer, Franziskus
von Assisi ist für den Umweltschutz zuständig, und Bierbrauer
können neben Gambrinus auf eine ganze Menge weiterer Heiliger zählen.
Es scheint, als ob es auf der Welt für alles und jeden einen Schutzpatron
gäbe. Einzig Surfer im Cyberspace sind auf sich alleine gestellt.
Niemand wacht über sie, wenn die Suchmaschine den gewünschten
Begriff wieder mal nicht finden will oder das Modem andauernd den Kontakt
zum Provider verliert.
Dieser Missstand ist offenbar auch dem Vatikan
aufgefallen. Deshalb bekam die italienische Gruppe Internet Observation
Services
von höchster Stelle den Auftrag, einen www-tauglichen
Heiligen auszukundschaften und vorzuschlagen. Deren Wahl fiel auf Sankt
Isidor
von Sevilla, einen gelehrten spanischen Heiligen. Er lebte von 560
bis 636 nach Christus, ging als Jugendlicher ins Kloster und wurde mit
30 bereits zum Abt ernannt. Zehn Jahre später trat er die Nachfolge
seines Bruders Leander
als Erzbischof von Sevilla an.
Zum Patron des Internets soll sich Sankt Isidor
deshalb besonders eignen, weil er als einer der gelehrtesten Männer
seiner Zeit gilt
. Alleine seine Etymologiae
, in der
der Heilige versucht hatte, das gesamte weltliche und religiöse Wissen
zusammenzufassen, füllt zwanzig Buchbände. Daneben verfasste
er ein umfangreiches Geschichtswerk und Abhandlungen über Theologie,
Linguistik und Wissenschaft. Er war quasi ein Ein-Mann-Internet
,
sagt ein Sprecher von Internet Observation Services
.
Der Vatikan hat die Ernennung von Sankt Isidor zum Internet-Schutzheiligen
bislang weder vorgenommen, noch sich offiziell zu dessen Person geäussert.
Andere Kandidaten haben also durchaus noch Chancen.
Die Ernennung zum Heiligen durch den Papst ist nicht erforderlich
Der Spanier Luis Angel Largo will den Heiligen Stuhl davon überzeugen,
dass jemand anders wesentlich besser qualifiziert wäre. Gemäss
Largo gebührt diese Ehre San Pedro Regalado,
einem Priester, der von 1390 bis 1456 gelebt hat, und als Schutzpatron der nordspanischen Stadt
Valladolid sowie
von Stierkämpfern gilt. Unterstützt wird der
Spanier von der Asociación Amigos del Pisuerga
, einer
Vereinigung, deren Hauptinteresse eigentlich der Erhaltung des Pisuerga-Flusses
gilt.
Was San Pedro Regalado zum Internetheiligen machen soll? Seine Fähigkeit,
an verschiedenen Orten gleichzeitig aufzutauchen. Drei Zeitzeugen berichteten,
dass er in den beiden Klöstern La Aguilera und El Abrojo, die über
75 Kilometer auseinander liegen, zur selben Zeit anzutreffen war. Ausserdem
soll er als Navigator nicht unbegabt gewesen sein, was ihn nach Meinung
der Pisuerga-Freunde zum effektiven Internetsurfen befähigt hätte.
Dieser Schutzheilige würde dem Internet eine spirituelle Komponente
hinzufügen, die heute weitgehend fehlt
, sagt Jorge Diaz Largo,
der Neffe des Fürsprechers für den spanischen Heiligen.
Obwohl sich der Vatikan Gedanken zum Thema macht, ist die Ernennung
durch den Papst eigentlich gar nicht erforderlich. Viele Schutzheilige
kamen in der Geschichte durch Brauchtum oder Popularität zu ihrer
Aufgabe. So besitzt in Katalanien beispielsweise
Santa Tecla eine kleine,
überzeugte Anhängerschaft und amtet als Schutzheilige dieser
Internauten. Santa Tecla soll den Katalanen bei der Lösung von Computerproblemen
helfen und nimmt in einer virtuellen Kapelle die Online-Beichte ab. Mit
einem Mausklick lässt sich für beliebte Sünden, wie das
Nichtbezahlen von Sharwaregebühren oder das Betrachen von obszönem
Material, um Vergebung bitten. Allerdings scheint sie ihre schützenden
Hände nur widerwillig über die Häupter anderer Internetsurfer
ausbreiten zu wollen: Die Site ist bloss in katalanischer Sprache abrufbar.
Link: Santa
Tecla. Patrona dels Internautes Catalans
Nicht ganz geklärt ist unter Gläubigen indes die Frage, ob man das Internet mit all seinen Schmuddelsites einem Heiligen überhaupt zumuten darf. Möglicherweise wäre ein modernerer Schutzpatron den Anforderungen des digitalen Zeitalters weit besser gewachsen. Dabei sei in erhitzten Diskussionen auch schon mal der Name von William H. Gates gefallen. Für was aber könnte man ihn heilig sprechen? Dafür, dass er das Wunder fertiggebracht hat, seinen Kunden so viel Geld aus der Tasche zu ziehen?
Bis zur Entscheidung müssen wir ohne höheren Schutz weitersurfen.
Ob ein katholischer Heiliger dem sämtlichen Völkergruppen und Religionen umfassenden Internet überhaupt gerecht werden kann, bleibt ebenfalls offen. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die katholische Kirche sich weltoffen zeigt und einen Nichtkatholiken, wie beispielsweise Mahatma Gandhi, zum Internetpatron erklärt. Bis eine Entscheidung fällt, werden wir wohl oder übel ohne höheren Schutz weiter surfen müssen.
Aktueller Stand der Entscheidung: Schutzpatron für Internet