Ökumenisches Heiligenlexikon

Leben der heiligen Büßerin Maria, der Nichte des heiligen Einsiedlers Abraham


1. Der selige Abraham hatte einen leiblichen Bruder, der bei seinem Tode eine einzige Tochter von sieben Jahren hinterließ. Als die Bekannten und Verwandten sie nun als Doppelwaise sahen, führten sie sie ohne Verzug zu ihrem Oheime. Der ließ sie in seine äußere Zelle einschließen. In Mitte beider Zellen war ein kleines Fenster; durch dieses lehrte er sie die Psalmen und andere Schriften. Sie wachte mit ihm im Lobe Gottes, sang mit ihm die Psalmen, und befliß sich, dem Oheime auch im Fasten nachzuahmen. Sie hatte diese Lebensweise freudig ergriffen; sie nahm auch darin zu, und beeiferte sich, alle Tugenden des Herzens zu üben. Der heilige Mann betete für sie mit Thränen zu Gott, daß Er ihr Herz nicht möchte in Sorgen um zeitliche Dinge verstricken lassen. Ihr Vater hatte ihr viel Geld hinterlassen; der Oheim aber ließ, da der Vater gestorben und die Tochter zu ihm ihre Zuflucht genommen, alles unter die Dürftigen und die Waisen vertheilen. Das Kind bat selbst auch ihren Oheim, für sie zu beten , daß Gott sie von bösen Gedanken und von den Fallstricken und den mancherlei Nachstellungen des Teufels bewahren möge. Sie beobachtete standhaft die Regeln des Einsiedlerlebens. Ihr Oheim freute sich sehr, sie so behende und unverdrossen in allen Tugenden fortschreiten zu sehen, besonders in der Buße, in der Demuth, in der Sittsamkeit, in der Ruhe, und was noch höher ist, in einer ausnehmenden Liebe gegen Gott. Zwanzig Jahre lebte sie bei ihm, und lebte wie ein sanftes Lamm und eine unbefleckte Taube neben ihm. Nach dieser Zeit wüthete der Teufel wider sie, und suchte sie in seine gewöhnlichen Fallstricke zu bringen, um den heiligen Abraham wenigst in Gram und Traurigkeit zu stürzen und sein Gemüth doch auf eine kurze Zeit von Gott abzuziehen.

2. Da war ein Einsiedler, der es aber nur dem Namen nach war. Dieser kam öfter zu Abraham, um sich, wie er vorgab, zu erbauen. Dort blickte er, von der Wollust gestachelt, durch das glückliche Fenster, und suchte mit Maria zu reden; denn das Feuer der Wollust hatte sein Herz entflammt. Er stellte ihr ein ganzes Jahr lang nach, bis er ihr Herz durch seine verführischen Reden schwächen konnte. Endlich öffnete sich das Fenster ihrer Zelle; sie ging zu ihm hinaus, und er verführte sie zum Laster der Unkeuschheit. Kaum war die Sünde begangen, so entsetzte sich darüber ihr Herz: sie zerriß das Bußkleid, das sie anhatte, zerschlug mit den Händen ihr Angesicht, und wollte vor Gram sich umbringen. Niedergedrückt von entsetzlicher Angst, weil sie keinen Ausweg vor sich sah, quälte sie sich unschlüßig mit mancherlei Gedanken. Sie weinte, daß sie nicht mehr wäre, die sie gewesen ist. Laut weinend rief sie oft aus: Ich fühle, daß ich nun todt bin. Verloren sind meine Lage und die Früchte meines Wachens und Fastens, meiner Gebete und Thränen, und alle meine guten Werke sind vernichtet. Ich habe meinen Gott höchlich beleidigt, und meine Seele gemordet. Wehe mir, mein Elend muß mit Strömen beweint werden; Meinen Oheim wird der bitterste Gram niederdrücken, Schmach hat meine Seele bedeckt: ich bin dem Teufel zum Gespötte geworden. Was nutzet mir Elenden das Leben noch? Wehe mir, was habe ich gethan! Wehe mir, was ist mir geschehen! Wehe mir, in welch ein Unglück bin ich gekommen! Ach, aus welcher Höhe und in welche Tiefe bin ich gefallen! Wie ist mein Gemüth verdunkelt! Ich wußte nicht, daß ich fallen; glaubte nicht, daß ich mich so beflecken; bildete mir nicht ein, daß jemals eine so dunkle Wolke mein Herz umhüllen würde. Doch wie hätte ich nicht wissen sollen, was ich that? Wo soll ich nun hin? wo mich verbergen? in welche Grube mich stürzen? Was helfen mir die Lehren meines heiligen Oheims? was die Ermahnungen seines Amtsgenossen Ephräm? Sie lehrten mich, in meiner Jungfrauschaft zu beharren: sie ermahnten mich, meine Seele unbefleckt für meinen Bräutigam zu bewahren. Dein Bräutigam, sagten sie, ist heilig und eifersüchtig. Wehe mir, was soll ich thun? Ich getraue mich nicht, den Himmel anzublicken; ich weiß, daß ich vor Gott und Menschen todt bin. Ich werde es nicht mehr wagen, mich jenem Fenster zu nahen. Wie soll ich, die Sünderin , voll vom Gestanke der Unlauterkeit, es noch versuchen, noch einmal mit meinem heiligen Oheim zu reden? Wollte ich mich dessen unterfangen, würde nicht Feuer aus dem Fenster fahren, und mich auf der Stelle verbrennen? Es ist mir also besser, in ein anderes Land zu gehen, wo mich Niemand kennt. Ich bin nun einmal todt, und habe weiter keine Hoffnung für mein Heil mehr. Sie stand auf, ging fort in eine Stadt, veränderte ihre Kleidung, und verdingte sich in ein Wirthshaus.

3. Da die Nichte so tief gefallen war, hatte ihr seliger Oheim im Schlummer folgendes Gesicht: er sah einen ungeheuern Drachen. Sein Aussehen war schrecklich, sein Pfeifen entsetzlich. Dieser kam irgendwo heraus, kam zu seiner Zelle, fand da eine Taube, verschluckte sie, und kroch wieder in seine Höhle zurück. Der Heilige erwachte, ward sehr betrübt, und weinte bitterlich. Er glaubte, der Satan werde eine Verfolgung wider die Kirche Gottes erwecken und Viele vom Glauben abbringen, oder es werde eine Spaltung in der heiligen Kirche entstehen. Er warf sich also auf seine Kniee, und betete: O Gott, Der Du die Menschen liebst und Alles voraussiehst! Du weißt, was dieses Gesicht bedeute. Nach zwei Tagen sah er den nämlichen Drachen zu seiner Zelle kommen, den Kopf unter seinen Fuß legen, und dann zerplatzen; die Taube aber, die derselbe vorher verschluckt hatte, war noch lebendig in dessen Bauche: da streckte er seine Hand darnach aus, und bekam sie lebend wieder. Er wachte auf, rief seiner Nichte mehrere Male, weil er glaubte, sie wäre in ihrer Zelle, und sprach: Warum bist du, meine Tochter Maria! (denn das war ihr Name) schon zwei Tage so saumselig, das Lob Gottes ertönen zu lassen? Aber da er keine Antwort erhielt, und weil sie sie schon zwei Tage das Lob Gottes, wie sie es gewohnt war, nicht hatte hören lassen, so merkte er, daß das Gesicht gewiß sie bedeute. Dann seufzte und weinte er bitterlich, und sprach unter Thränen: Wehe mir, ein grausamer Wolf hat mein Lamm geraubt, meine Tochter ist eine Gefangene geworden! Er erhob seine Stimme, und sprach weinend: Erlöser der Welt! bringe mir mein Lamm wieder: führe es in den Schafstall des Lebens zurück, damit ich in meinem Alter nicht vor Schmerz sterben möchte. Verschmähe nicht mein Flehen, o Herr! Thue mir die Gnade, daß Du sie schnell aus dem Rachen des Drachen herausziehest. Die zwei Tage, die ihm in dem Gesichte angezeigt wurden, bedeuteten zwei Jahre: so lange führte seine Nichte ein unlauteres Leben, wie in dem Bauche des wildesten Drachen; aber der heilige Mann ließ diese Zeit durch nicht ab, Tag und Nacht für sie zu beten.

4. Da er nach zwei Jahren erfuhr , wo sie wäre und was sie für ein Leben führte, bat er einen guten Bekannten, dahin zu reisen und Alles wohl auszukundschaften. Der Mann that es, und berichtete Alles nach der Wahrheit, auch daß er sie selbst gesehen habe. Vom heiligen Manne gebeten, brachte eben derselbe ihm auch ein Soldatenkleid und ein Reitpferd. Er öffnet also seine Thüre, tritt heraus, zieht das Soldatenkleid an, setzt eine lange Kappe auf sein Haupt, um sein Angesicht, zn verhüllen; er nimmt Geld mit sich, steigt auf das Pferd, und eilt dahin. Wenn Jemand ein Land oder eine Stadt auskundschaften will, so nimmt er die Kleidung jener Einwohner an, damit er nicht leicht erkannt werde: so bediente sich auch der selige Abraham der Kleidung des Feindes, um den Feind in die Flucht zu treiben. Kommt also, geliebteste Brüder, und bewundert diesen zweiten Abraham. Der erste Abraham zog aus gegen die Könige, schlug sie, und befreite seinen Neffen Loth: dieser zweite Abraham zog aus, um gegen den Teufel zu streiten, ihn zu überwinden, und seine Nichte in einem edleren Triumphe zurückzubringen.

5. An dem Orte angekommen, kehrte er in dem Wirthshause ein. Da sah er mit sorgenvollen Augen überall herum, um die zu sehen, die er suchte. Da einige Stunden verflossen waren, ohne sie sehen zu können, sagte er lächelnd zum Wirthe: Ich habe gehört, daß du, mein Freund, ein sehr wackeres Mädchen habest. Wenn du es erlaubst, möchte ich sie sehr gerne sehen. Der Wirth sah die grauen Haare des Fremden und sein kraftloses Alter, und konnte nicht hoffen, daß derselbe sie dor Wollust wegen zu sehen verlange. Er antwortete also: Sie Sie ist auch, wie du wissen wirst, überaus schön. Der Greis fragte nach dem Namen, und erhielt die Antwort, sie heiße Maria. Da sprach er freudig : Ich bitte, daß du mir ihre Gegenwart gewährest, damit ich mit ihr essen könne; denn ich habe dieses Mädchen sehr loben gehört. Sie ward gerufen und kam. Da ihr heiliger Oheim sie im Kleide einer Buhlerin sah, wäre er fast ohnmächtig geworden. Doch verbarg er seinen Schmerz unter einem freudigen Gesichte, und hielt nämlich die hervorbrechenden Thränen zurück, damit sie ihn nicht erkannte, und nicht entfloh.

Sie setzten sich nun und tranken, und der bewunderungswürdige Mann fing nun auch an, mit ihr zu spielen. Da wollte sie ihn umarmen und küssen; allein sie empfand, wie sein Körper von dem lieblichsten Geruche der Enthaltsamkeit duftete. Dadurch ward ihr Herz verwundet; denn sie gedachte an die Tage, da sie in größter Enthaltsamkeit gelebt hatte. Sie seufzte, brach in Thränen und unwillkührlich in die Worte aus: Wehe mir Elenden, wehe mir allein! Der Wirth sprach erstaunt: Warum brichst du, Frau Maria, in so harte Seufzer aus? Heute bist du zwei Jahre hier, und niemals habe ich einen Seufzer, niemals eine traurige Rede gehört! Was dir aber jetzt geschehen ist, das weiß ich nicht. Sie antwortete ihm: Wie glückselig wäre ich, wenn ich vor drei Jahren gestorben wäre! Darauf versetzte der selige Greis, damit er nicht erkannt wurde, wie mit einem heiteren Gesichte: Wir sind beisammen, um uns zu freuen, und du bist gekommen, um deine Sünden zu bekennen? O wie wunderbar hat es Deine Güte, o höchster Gott, so gefüget! Das Mädchen sagte in ihrem Herzen nicht: Wie sieht doch dieser Mann meinem Oheim so ähnlich? Aber Du, o Gott, Der Du die Menschen liebest, hast es so gefügt, daß sie ihn nicht erkannte, so wäre sie etwa vor Beschämung in Verwirrung gerathen und entflohen. Wir dürfen glauben, daß dieses nur darum geschehen ist, weil Du, um der Gebete und Thränen ihres Oheims willen, das Unmögliche möglich machtest. Der heilige Mann nahm nun ein Goldstück heraus, gab es dem Wirthe, und sprach: Laß uns, ich bitte dich, Freund! ein gutes Nachtmahl bereiten, damit ich mit dem Mädchen essen kann; denn ihr zu Liebe habe ich eine weite Reise hieher gemacht. O eine wahrhaft gottgefällige Weisheit! O eine wahrhaft geistliche Einsicht! O eine lobenswürdige heilsame Bescheidenheit! Fünfzig Jahre hatte er aus Enthaltsamkeit nicht einmal Brod gekostet, und nun nimmt er keinen Anstand Fleisch zu eſſen, um eine verlorne Seele zu retten.

7. Nach dem Essen lud ihn das Mädchen in das Schlafzimmer zum Schlafen ein. So wollen wir gehen, sprach er, und ging hinein. Da sah er ein hochaufgerichtetes Bett, und setzte sich darauf, · er, der fünfzig Jahre lang nur auf einer Binsendecke gelegen war. Sie sprach nun: Laß mich nun, Herr! deine Schuhe abziehen. Er aber sagte ihr: Verschließ vorher die Thüre wohl; dann magst du sie abziehen. Das Mädchen wollte ihm zuerst die Schuhe abziehen; weil er es aber nicht zugab, verschloß sie die Thüre, und kam zu ihm. Der Greis sprach zu ihr: Frau, Maria, komm her zu mir! Da sie näher gekommen war, hielt er ihre Hand, nahm die Kappe von seinem Haupte, brach in Thränen aus, und sprach: Maria, meine Tochter! Kennst du mich nicht? Du, mein Herz! Bin ich es nicht, der dich erzogen hat? O mein Kind, was ist mit dir geschehen? Wer hat dich gemordet? Wo ist das Engelskleid, mit dem du angethan warst, meine Tochter? Wo ist deine Enthaltsamkeit? Wo dein Weinen, dein Wachen, dein Schlafen auf dem Boden? Wie bist du, meine Tochter, aus der Höhe des Himmels in diese Grube gefallen? Warum hast du es mir nicht angezeigt, da du sündigtest? Warum es mir nicht gleich gesagt? Gewiß, ich hätte mit meinem liebsten Ephräm für dich Buße gethan. Warum hast du das gethan, mich so verlassen und mich in diesen tiefen Gram gestürzt? Wer ist ohne Sünde, als Gott allein? Während er dieses und Aehnliches sagte, war sie bewegungslos in seinen Händen, vor Furcht und Scham versteinert. Der selige Mann fügte noch mit Thränen hinzu: Du sprichst nichts mit mir, o meine Tochter Maria? Du gibst mir keine Antwort, du mein Herz? Bin ich nicht um deiner willen hieher gekommen? Ich nehme deine Sünde auf mich, meine Tochter! Ich will am Tage des Gerichtes dem Herrn für dich Rechenschaft geben: ich will für diese Sünde Gott genugthun. Bis zur Mitternacht tröstete er sie mit solchen Worten, und ermunterte sie unter häufigen Thränen. Endlich faßte sie ein wenig Vertrauen, und sprach weinend: Ich kann vor Scham dich nicht ansehen, und wie kann ich zu Gott beten, da ich mit dem Kothe der Unlauterkeit befleckt bin? Und der Heilige sprach: Ich will deine Sünde auf mich nehmen, o meine Tochter! Aus meinen Händen mag Gott deine Sünde fordern: nur höre mich, und komm, laß uns in unsere Einsamkeit zurückgehen. Sieh, auch mein theuerster Ephräm leidet um dich überaus, und betet unabläßig für dich. Setze, mein Kind! kein Mißtrauen auf die Güte des Herrn. Wären auch deine Sünden so groß wie die Berge: Seine Barmherzigkeit ragt über Alles hinaus, was Er erschaffen hat. Wie wir lesen, kam eine Unreine zum Reinen, und sie verunreinigte ihn nicht, sondern ward von ihm gereinigt: sie wusch mit ihren Thränen die Füße des Herrn, und trocknete sie ab mit ihren Haaren ( Luk. 7, 37). So wenig ein Funken das Meer entzünden kann, so wenig können deine Sünden Seine Reinheit beflecken. Es ist nichts Neues, im Streite zu fallen; aber übel ist es, nimmer aufstehen zu wollen. Kehre muthvoll dahin zurück, wo du standest. Der Feind lachte zu deinem Falle: stehe nun auf, damit er fühle, daß du stärker bist, als er. Erbarme dich meines Alters: habe Mitleid mit meinen grauen Haaren: mache dich auf, ich bitte dich, und komme mit mir in meine Zelle. Fürchte dich nicht: der Mensch ist zum Falle geneigt; aber wie er leicht fällt, so soll er mit Gottes Beistand auch schnell wieder aufstehen, weil Gott nicht will, daß die Sünder sterben (Ezechiel 18, 32), sondern daß sie geheilt werden und leben. Sie aber sprach zu ihm: Wenn du weißt, daß ich Buße thun kann, und daß Gott meine Genugthuung annehme, so will ich mit dir gehen, wie du befiehlst. Gehe voran, ich will dir folgen, heiliger Vater! Ich küsse deine Fußtritte, weil du so um mich getrauert hast, um mich aus dem Abgrunde der Unkeuschheit herauszuziehen. Sie legte ihr Haupt zu seinen Füßen, und weinte die ganze Nacht. Was sollte ich Dir, Herr, mein Gott! fur Alles dieses vergelten? - so sprach sie.

8. Bei dem Anbruche der Morgendämmerung sprach der selige Abraham zu ihr: Stehe auf, Tochter, und laß uns in unsere Zelle gehen. Sie versetzte ihm: Ich habe hier etwas Gold und einige Kleider: was befiehlst du, daß ich damit thue? Der selige Abraham antwortete: Laß dieses Alles hier ; denn es ist auf eine böse Art erworben. Sie standen auf, und gingen. Er setzte sie auf das Pferd, ging voran, und führte das Pferd am Zaume. Wie der gute Hirt das gefundene Schaf mit Freude auf seine Schulter hebt; so reisete der selige Abraham, voll Freude in seinem Herzen, mit seiner Nichte fort. Da sie in ihre Einsiedelei gekommen waren, schloß er sie in seine innere Zelle, wo er gewohnt hatte; und er blieb in der äußern. Sie zog nun ein Bußkleid an, verharrte in Demuth des Geistes und in Thränen der Buße, wachte viel und beobachtete die strengste Enthaltsamkeit, schrie mit Bescheidenheit und Ruhe unabläßig zum Herrn, beweinte ihre Sünde mit der festesten Hoffnung auf Verzeihung, und betete so viel und so weise, daß auch der Gefühlloseste gerührt ward, wenn er sie weinen und beten hörte. Wer war so hartherzig, daß er nicht weinte, wenn er sie ihre Sünde beklagen hörte? Der unendlich gütige Gott würdigte sich auch, ihr zu zeigen, daß Er ihre Büße angenommen habe; denn nach Verfluß von drei Jahren erhielten viele Kranke durch ihr Gebet ihre Gesundheit.

9. Der selige Abraham lebte noch zehn Jahre. Er sah ihre aufrichtige Buße, verherrlichte Gott dafür, und starb in Frieden im siebenzigsten Jahre seines Alters. Er hat die Lebensweise eines Einsiedlers fünfzig Jahre mit Andacht und Demuth des Herzens und in aufrichtiger Liebe zugebracht. Er hat niemals die Person eines Menschen angesehen, wie es Viele zu thun pflegen, indem sie die Einen mit Vorzug lieben, gegen Andere aber sich gleichgültig zeigen. Er hat von seiner Strengheit niemals abgelassen, und sich niemals der Lauigkeit überlassen; sondern hat so gelebt, als würde er alle Tage sterben. Zur Stunde seines seligen Hinſcheidens kam fast die ganze Stadt zusammen, berührte mit aller Andacht seine reine Leiche, und nahm etwas von seiner Kleidung mit sich, und jeder Kranke, dem man solche Ueberbleibsel auflegte, ward gesund, was er auch immer für eine Krankheit haben mochte.

10. Maria lebte nach dem Tode ihres Oheims noch fünf Jahre. Sie beharrte Tag und Nacht im Gebete, unter Wehklagen und Weinen, so daß Viele, die da bei Nacht vorüber gingen, selbst ihr Wehklagen und Weinen mit dem ihrigen vereinigten. In der Stunde ihres Todes sahen Alle, die zugegen waren, ihr Angesicht glänzen, und gaben Gott die Ehre.

Quelle:
Heribert Rosweid: Leben der Väter, deutsch bearbeitet von Michael Sintzel, 1. Bd. Karl Kollmann, Augsburg, 1840, S. 606 - 613

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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 10.11.2023

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