Leben der heilgen Büßerin Thais
Verfasst von einem Unbekannten:
1. Es lebte in einer Stadt von Aegypten eine Buhlerin, Thais mit Namen, von einer solchen Schönheit, daß Viele um ihrer
willen ihre Besitzungen verkauften, und in die äußerste Armuth geriethen. Ihre Buhler kamen oft mit einander in einen Streit,
und oft ward die Schwelle dieser Person mit dem Blute jener Jünglinge begossen. Da der Abt
Paphnutius das hörte, zog er eine weltliche Kleidung an, nahm ein Goldstück zu
sich, und reisete in jene Stadt. Er gab ihr das Goldstück, als Sündenlohn; sie nahm es, und sprach: Wollen wir in das
Haus hinein gehen?
Sie gingen hinein, und sie lud Sie ihn ein, ein kostbares Bett zu besteigen; er aber sprach: Wenn im
Hause noch ein abgelegeneres Zimmer ist, so wollen wir in dasselbe gehen.
Sie antwortete: Es gibt zwar noch eines;
allein wenn du nur die Menschen fürchtest, so kann ich dich versichern, daß auch in dieses äußere Zimmer Niemand eintreten
wird; jedoch wenn du Gott fürchtest: so wisse, daß man sich nirgends vor den Augen Gottes verbergen könne.
Da der Greis
das hörte, fragte er sie: Weißt du auch, daß es einen Gott gibt?
Ich weiß
, antwortete sie, daß es einen
Gott und ein künftiges Leben, und für die Sünder ewige Qualen gibt.
Der Heilige sprach nun: wenn du das weißt, warum
hast du so viele Seelen zu Grunde gerichtet, so daß du nicht blos für deine, sondern auch für ihre Sünden wirst gerichtet und
verdammt werden?
Auf diese Rede stürzte Thais zu den Füßen des Heiligen, und flehte mit Thränen: Lege mir, Vater, eine
Buße auf. Wenn du für mich betest, hoffe ich, Verzeihung zu erlangen. Ich bitte nur um eine Frist von drei Stunden: dann will
ich kommen, wohin du verlangst; und thun, was du befiehlst.
Da ihr der Abt den Ort bestimmt hatte, wohin sie kommen sollte,
ging sie hin, nahm Alles, was sie durch die Sünde erworben hatte, trug es im Angesichte des Volkes in Mitte der Stadt, warf
es in das Feuer, und rief: Kommt Alle, die ihr mit mir gesündigt habt, und sehet, wie ich das verbrenne, was ich von euch
erhalten habe.
Der Werth dieser Dinge betrug vierzig Pfund.
2. Da Alles verbrannt war, ging sie in den Ort, den ihr der Abt bestimmt hatte. Dieser suchte ein Frauenkloster, führte
sie da in eine kleine Zelle, und versiegelte die Thüre der Zelle mit Blei. Er ließ in dieser Zelle nur ein kleines Fenster,
durch das man ihr Nahrung reichen konnte, und verlangte, daß die Schwestern des Klosters ihr alle Tage ein wenig Brod und
etwas Wasser brächten. Da der Abt die versiegelte Thüre verlassen wollte, fragte sie, wie sie beten sollte, und er antwortete
ihr: Du bist nicht würdig, Gott zu nennen und Seinen heiligen Namen mit deinen Lippen auszusprechen, auch nicht deine
Hände zum Himmel zu erheben; denn deine Lippen sind verunreiniget, und deine Hände sind beschmutzt. Wende dich nur gegen
Aufgang, und wiederhole oft die Worte: O Du, Der Du mich erschaffen hast, erbarme Dich meiner!
Als sie drei Jahre eingeschlossen war, hatte der Abt Paphnutius Erbarmen
mit ihr, und reisete zum Abte Antonius, um ihn zu fragen, ob ihr Gott
ihre Sünden nachgelassen habe. Er kam zu ihm, und erzählte ihm den ganzen Hergang der Sache. Da rief der Abt Antonius seine
Jünger zusammen, und befahl ihnen, daß alle diese Nacht wachen und jeder einzeln beten sollte, damit Gott einen von ihnen
die Sache offenbaren möchte, wegen der Paphnutius gekommen war. Als nun jeder in seine Zelle gegangen war, und unabläßig
betete, sah der Abt Paulus, einer von den vorzüglichsten Schülern
des heiligen Antonius, ein Bett, das mit den köstlichsten Decken geziert war, und von drei Jungfrauen, deren Antlitz
leuchtete und glänzte, bewacht ward. Da sagte Paulus: Dieses Ruhebett ist für Niemand, als für meinen Vater Antonius
bestimmt.
Aber er hörte eine Stimme, die sprach: Nicht für deinen Vater Antonius, sondern für die Büßerin Thais.
Als nun der Abt Paulus das öffentlich erzählte, erkannte man Gottes Willen, und der Abt Paphnutius reisete ab, kam zum
Kloster, in dem Thais verschlossen war, und öffnete die Thüre, die er versiegelt hatte. Aber sie bat, man möchte die Thüre
verschlossen lassen; und da sie doch geöffnet war, sprach er: Komm heraus, Gott hat dir deine Sünden nachgelassen.
Sie antwortete: Ich bezeuge es bei Gott, daß ich, seitdem ich hereingetreten bin, meine Sünden immer, wie eine Last,
vor Augen hatte, daß sie mir niemals aus den Augen kamen, und daß ich bei diesem Anblicke immer weinte.
Der Abt
Paphnutius sprach zu ihr: Nicht deiner Bußwerke wegen, sondern weil du den Gedanken an deine Sünden im Herzen hattest,
hat dir Gott verziehen.
Man führte sie heraus; aber sie lebte nur mehr fünfzehn Tage, und entschlief dann im Frieden.
Quelle: Heribert Rosweid, deutsch bearbeitet von Michael Sintzel: Leben der Väter, Bd. 1. Karl Kollmann, Augsburg 1840
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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 14.11.2023
korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
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