Gerhard Tersteegen
auch: ter Stegen
Gedenktag evangelisch: 3. April
Name bedeutet: der Speerstarke (althochdt.)
Gerhard Tersteegen wurde als siebtes von acht Kindern in einem von reformierter Frömmigkeit geprägtem Elternhaus geboren.
Damals war die Erinnerung an die schrecklichen Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges noch lebendig. Als zwei Jahre nach
seiner Geburt der Spanische Erbfolgekrieg begann, kam von neuem Morden und Sterben über die Völker in Europa. Wenn
Tersteegen immer wieder dazu riet, der Bilder alle zu vergessen
, hatte er gewiss diese Situation vor Augen: seine
Absage an die Welt war wohl zuerst eine Absage an die Welt des Krieges.
Als Tersteegen sechs Jahre alt war, starb sein Vater. Gerhard besuchte die Lateinschule, der Unterricht bestand aus
Griechisch, Hebräisch, Latein und täglich vier Stunden Katechismuskunde; aus finanziellen Gründen war dem begabten Jungen
ein Studium nicht möglich. Als Sechzehnjähriger ging er nach
Mülheim an der Ruhr zu seinem ebenso
erfolgreichen wie brutalen Schwager in die Kaufmannslehre, versuchte dann zwei Jahre lang ein eigenes Geschäft zu
betreiben. Tersteegen machte die Bekanntschaft Erweckter, die ihm Schriften der Mystiker nahebrachten, auch die von
Thomas von Kempen. Er war davon so beeindruckt, dass er das
Gelesene ins Deutsche übersetzte. Er und sein Mitarbeiter arbeiteten von morgens 6 bis 11 Uhr, hierauf sonderten sie
sich ein Stündchen ab, um dem Gebet zu obliegen
, von 13 bis 18 Uhr setzten sie die Arbeit fort und verwendeten
abermals ein Stündchen
zur Absonderung und zum Gebet.
Verschreibung:
Meinem Jesus! Ich verschreibe mich dir, meinem einzigen Heiland … zu deinem völligen und ewigen Eigentum. Ich entsage von Herzen allem Recht und aller Macht über mich selbst. Von diesem Abend an sei dir mein Herz und meine ganze Liebe auf ewig zum schuldigen Dank ergeben und aufgeopfert. … Befehle, herrsche und regiere in mir!
1719 stieg er aus dem ungeliebten Beruf als Kaufmann aus und wurde Seidenbandweber - ein Hungerleiderberuf mit viel
Arbeit in verkrümmter Haltung vor dem Webstuhl. Er lebte nun zurückgezogen und ärmlich, hatte aber endlich Zeit, sich mit
seinen geliebten Büchern zu beschäftigen. Am Gründonnerstag
1724 hatte er sein Bekehrungserlebnis, das seine dunklen Jahre
beendete. Mit seinem eigenen Blut hielt er seine
Verschreibung
fest.
Vier Jahre später machte Tersteegen mit 31 Jahren mit seiner bürgerlichen Existenz endgültig Schluss; er gab seinen
Beruf auf, lebte äußerst bescheiden in einer einfachen Hütte und wirkte als Prediger in der protestantischen
Erweckungsbewegung. Er legte in Scheunen und Schuppen die Bibel aus; in seinem ganzen Leben stieg er nur einmal auf
eine Kanzel: in der Mennonitenkirche in
Krefeld, denn den Pastoren der Evangelischen Landeskirche war der seltsame Wanderprediger unheimlich: sie beschwerten
sich bei der Kirchenleitung über ihn und wollten ihn loswerden, aber das Konsistorium hatte an seiner Lehre nichts
auszusetzen. Abends studierte und übersetzte Tersteegen nun erbauliche Bücher, schrieb 24 Biografien von großen Christen,
die allesamt katholisch waren, darunter von Franziskus von Assisi
und Teresa von Ávila. Im Kurzen Bericht von der Mystik
erfahren
wir, wie wir uns sein Leben vorstellen können: Mystiker reden wenig, sie tun und sie leiden vieles, sie verleugnen
alles, sie beten ohne Unterlass, der geheime Umgang mit Gott ist ihr ganzes Geheimnis.
Tersteegens Predigten richteten viele Menschen auf; die Zahl seiner Briefe geht in die Tausende. Er besuchte auf
vielen Reisen die Menschen, und er wurde zu Hause in seiner Pilgerhütte
von ihnen besucht; oft war er von mehr als
dreißig bekümmerten Seelen auf einmal umringt. Er ermutigte Zweifelnde, stärkte Zaghafte, gab Nahrungsmittel, die man ihm
schenkte, an Arme weiter, wirkte als Laienarzt und verteilte an Bedürftige Heilmittel, die er eigens mixte. 1729
veröffentlichte er unter dem Titel Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen
Lieder, die zum Teil noch heute
Gemeingut in evangelischen Gemeinden sind; 111 von ihm gedichtete geistliche Lieder sind uns überliefert. Vier Jahrzehnte
lang bis zu seinem Tod lebte er seinen Glauben mit all der Inbrunst, die seine schwache Gesundheit erlaubte.
Tersteegens Schriften wurden weit verbreitet. Friedrich der Große lud auf einer Reise an den
Niederrhein den bekannten
Schriftsteller zu einem Gespräch ein, das Tersteegen allerdings - wie so oft krankheitshalber - absagen musste.
Johannes Evangelista Goßner gab 1824 - gemeinsam mit
Johann Heinrich Tscherlitzky - eine Liedsammlung heraus, in der eine Melodie von Dimitri Bortnianski, die Gossner in
Russland kennengelernt hatte, mit der Choralstrophe Ich bete an die Macht der Liebe
von Tersteegen verbunden wurde.
Bortnjanski hatte die Melodie ursprünglich für das Freimaurer-Lied Wie ruhmreich ist unser Herr in Zion
geschrieben,
es wurde schnell zu einer inoffiziellen Hymne Russlands und dort bei offiziellen Anlässen gespielt; in Deutschland hat dann
Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. es zum Abendgebet des preußischen Heeres
gemacht, schließlich wurde es in das
Ritual des Großen Zapfenstreiches
deutscher Soldaten aufgenommen.
Das Evangelische Gesangbuch enthält heute acht Lieder von Tersteegen, darunter so bekannte wie Brunn alles Heils,
dich ehren wir
(EG 140) und Gott ist gegenwärtig
(EG 165); einige Regionalteile haben auch Ich bete an die
Macht der Liebe
, so Württemberg unter EG 641; im katholischen Gotteslob findet sich Jauchzet, ihr Himmel (GL 144).
120 Lieder von Tersteegen aus
dem Blumengärtlein
hat Christian Hählke mit Noten online auf seiner Seite
Tersteegen Gesangbuch.
Gedichte von Gerhard Tersteegen
gibt es online im Projekt Gutenberg
.
1 Unsere Leserin Claudia Sperlich hat uns richtigerweise aufmerksam gemacht: Das in vielen Internet-Seiten und bis Mai 2011 auch von uns benutzte Bild - siehe rechts - stellt nicht Gerhard Tersteegen, sondern den deutschen Dichter, Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer der Romantik Johann Ludwig Tieck dar; es ist die schlechte Kopie einer Bleistiftzeichnung von Carl Christian Vogel von Vogelstein aus dem 19. Jahrhundert, heute im Goethe-Nationalmuseum in Weimar.
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Autor: Joachim Schäfer
- zuletzt aktualisiert am 15.02.2023
Quellen:
• dtv-Lexikon, Bd. 18, München 1980
• Evangelisches Gesangbuch. Gesangbuchverlag, Stuttgart 1996
• Johannes Rau: Die Kraft der Mystik. Evangelische Kommentare 3/1998
korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
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https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.