Søren Kierkegaard
Gedenktag evangelisch: 11. November
Name bedeutet: der Strenge (latein. - dänisch)
Søren Aabye Kierkegaard war das siebtes Kind eines reichen Wolllwarenhändlers; sein Vater, ein zum Schwermut neigender
Mann und Anhänger des Pietismus, war bei der Geburt bereits 56 Jahre alt. Ich
bin von einem Greis ungeheuer streng im Christentum erzogen worden; deshalb ist mein Leben mir furchtbar verwirrt
worden
, bekannte er später. 1830 begann der begabte Jüngling sein Theologiestudium, später auch das Studium der
Ästhetik bzw. Philosophie, bei dem er sich v. a. mit der deutschen Philosophie von Hegel und der Literatur der deutschen
Romantiker beschäftigte. Vom Christentum werde man seiner Mannheit beraubt
, es herrsche eine wunderlich stickige
Luft
. Fast überall … ist Strafe, Vernichtung, Untergang, ewige Qual und Pein
; dürftig
werde es
nur, wenn von der Seligkeit der Glaubenden und Auserwählten die Rede ist.
Sören Kierkegaard führte - ganz gegen die Praxis seines Vaters - das Leben eines Dandys und war mit seinem Lebensstil
in der ganzen Stadt bekannt; mit Ausnahme dreier Reisen nach Berlin blieb er aber immer in seiner Heimatstadt. Dahinter verbarg sich stetige Suche: Was mir eigentlich fehlt ist, dass ich mit mir selbst
ins Reine darüber komme, was ich tun soll, nicht darüber, was ich erkennen soll … Es kommt darauf an, meine
Bestimmung zu verstehen, zu sehen, was die Gottheit eigentlich will, dass ich tun solle; es gilt, eine Wahrheit zu finden,
die Wahrheit für mich ist … Was nützte es mir, dazu, wenn ich eine so genannte objektive Wahrheit ausfindig machte
.
Kierkegaard formulierte damit das Programm des späteren philosophischen Existentialismus. Nur die Subjektivität ist
die Wahrheit
; was von vielen oder der Mehrheit vertreten wird, die Menge
, ist die Unwahrheit
- somit
lehnte er auch Demokratie ab und hielt - gut lutherisch - die Monarchie für die beste Regierungsform. Nach dem Tod seines
Vaters erbte er ein reiches Vermögen; 1840 beendete er sein Theologiestudium und verlobte sich mit Regine Olsen, einem
hübschen Mädchen aus gutem Haus; um sie hatte er in ekstatischen Briefen geworben. Aber es kam nicht zur Eheschließung,
er könne sich der spontanen Frau gegenüber nicht öffnen. 1841 promovierte er mit einer Arbeit über den Begriff der
Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates
. Die Auflösung der Verlobung führte zur Schreibwut, die seine
berühmten Werke hervorbrachte: 1843 Entweder - oder
, Die Wiederholung
und Furcht und Zittern
, 1844
Der Begriff Angst
und Philosophische Brocken
, 1845 Stadien auf dem Lebensweg
, 1846 Abschließende
unwissenschaftliche Nachschrift
- alle unter bedeutungsschwangeren Pseudonymen erschienen. Denn wie Sokrates - den
Kierkegaard neben Jesus Christus am meisten bewunderte - müsse man die
Leser in die Wahrheit hineintäuschen
und in scheinbarer Aufnahme den Zeitgeist als leer und nichtig entlarven.
In Entweder - oder
zeichnete Kierkegaard das Bild eines Dandy - also des eigenen Lebens - und stellte diesem
einen verantwortungsbewussten Ehemann und Familienvater gegenüber. Der entlarvt den hedonistischen Ästheten seines
fehlenden Schuld- und Verantwortungsbewusstseins wegen, seine Fröhlichkeit verberge nur tiefe Verzweiflung. Aber auch
die Sicherheit des bürgerlichen Lebens sei trügerisch, in Wahrheit sei ein Drittes jenseits von Ästhetik und Ethik das
Lebensziel: das Religiöse, zu dem man gelangt durch Furcht und Zittern
, indem man den Blick über den Abgrund der
Verzweiflung und dann den Sprung in den Glauben wagt. Kierkegaard wurde zum Vorläufer einer dialektischen Theologie
wie beim späteren Karl Barth: Glaube zeigt sich erst in der Verzweiflung,
Gnade in der Sünde, Freiheit in der Angst, Seligkeit im Leiden, der allmächtige Gott im ohnmächtigen
Christus.
Wie Paulus in seinem Römerbrief erkannte Kierkegaard, dass Moral, Ethik und
Gesetz nicht frei machen, sondern in Schuld und Verzweiflung verstricken. Und die These der Aufklärung wie schon der
griechischen Philosophie, dass das Wissen über das gute auch zum rechten Handeln anleite, habe ihr Scheitern erlebt
aufgrund der Sündhaftigkeit des Menschen. Die Tugend ist herrenlos … Gott ist schuldlos
. Retten könne allein
der Glaube an die Vergebung der Sünde, eine religiöse Suspension des Ethischen
- ein Glaube, der aller Vernunft
spotte. Kierkegaard lief damit Sturm gegen den Versuch des von ihm so aufmerksam studierten Philosophen Georg Wilhelm
Friedrich Hegel, der Glaube und Vernunft versöhnen wollte. Glaube aber sei Ärgernis
und Torheit
(1.
Korintherbrief 1, 23) - genau dies habe die Kirche vergessen und verraten.
Kierkegaard wollte nun eigentlich die Schriftstellerei aufgeben und eine Pfarrei auf dem Land übernehmen; nach einer
literarischen Kontroverse mit dem Satireblatt Der Corsar
gaben öffentliche Anfeindungen den Anlass zu einer Reihe
weiterer Werke, die schärfer noch als zuvor das Wesen christlicher Existenz als durch die Prinzipien von Selbstverleugnung
und Nachfolge kennzeichnen, so 1850 die Einübung im Christentum
. Seine Angriffe auf die Verfallsformen bürgerlicher
Christenheit brachten ihn in immer stärkeren Gegensatz zur dänischen Staatskirche.
Kierkegaard wählte sich seinen früheren Lehrer Hans Lassen Martensen, der 1854 zum obersten Bischof der dänischen
Kirche gewählt worden war, als Ziel seiner nun auch konkret gegen die Kirche vorgebrachten Kritik. In der Zeitung
Vaterland
griff er an Weihnachten 1854 den Bischof und
den von ihm repräsentierten Protestantismus scharf an: Die Kirche habe das wahre Christentum preisgegeben und zum
Kulturgut neutralisiert, die lutherische Staatskirche sei das neue Heidentum. Zur Untermauerung seiner Auffassung gründete
Kierkegaard 1855 mit den letzten Resten seines Vermögens die Zeitschrift Der Augenblick
; in ihr veröffentlichte er -
nun unter eigenem Namen - Polemiken gegen die Scheinheiligkeit der Bischöfe und Pastoren; er wandte sich an den
gemeinen Mann
und forderte ihn auf, den Gottesdiensten fernzubleiben, denn sie seien Schmierenkomödien und
Gotteslästerung.
Noch bevor die zehnte Ausgabe seiner Zeitschrift gedruckt war, brach Kierkegaard auf offener Straße zusammen. Tage
später begab er sich in ein Krankenhaus, der diensthabende Arzt vermerkte: der Patient hält die Krankheit für tödlich.
Sein Tod ist für die Sache vonnöten … Will er leben, muss er seinen religiösen Kampf fortsetzen, … wohingegen
er bei seinem Tod seine Stärke erhalten wird und, wie er meint, seinen Sieg.
Kierkegaard konnte das Krankenhaus nicht
mehr verlassen, fünf Wochen nach seiner Aufnahme starb er.
Kierkegaard war einer der brillantesten und produktivsten religiösen und philosophischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts - in kritischer Distanz zur Romantik, aber auch Hegel und den Hegelianismus ablehnend. Seine Frage nach der Möglichkeit christlicher Existenz in der Moderne blieb nach seinem Tod in ihrer Wirkung zunächst auf Dänemark beschränkt; erst mit der allmählichen Übersetzung seiner Werke wuchs sein Einfluss, in Deutschland vor allem mit Beginn der 1920-er Jahre in der protestantischen Theologie, verschiedenen philosophischen Schulen, der frühen Psychoanalyse, dazu in der skandinavischen Literatur.
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Autor: Joachim Schäfer
- zuletzt aktualisiert am 03.02.2015
Quellen:
• Rolf Spinnler: Die Leidenschft für das Religiöse. Stuttgarter Zeitung, 5. 11. 2005
• Heiko Schulz. In: Friedrich-Wilhelm Bautz †, Traugott Bautz † (Hg.): Biographisch-Bibliographisches
Kirchenlexikon, Bd. III, Herzberg 1992
korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
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https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.