aus dem Lateinischen von Richard Benz
Hinweise zur Legenda Aurea
Von Sanct Lucia
Lucia ist gesprochen ein Licht. Nun hat das Licht Schönheit in seinem Anschauen; denn es ist seine Natur, daß in seinem Anschauen alle Gnade ist, als Ambrosius schreibet. Es hat auch Ausgießung ohne Trübnis; denn es giebt seinen Schein durch unreine Stätten und bleibet rein. Es hat rechten Gang ohne Krümmung und geht einen langen Weg ohne Aufenthalt. Daran so sollen wir verstehen, daß Sanct Lucia hatte die Zier jungfräulichen Lebens ohne Makel; daß in ihr war Ausgießung himmlischer Liebe ohne jegliche unreine Lust; daß sie einen geraden Weg hatte der Andacht zu Gott, und einen langen Weg in täglichen guten Werken ohn Unterlaß und ohn Verdruß. Oder Lucia ist gesprochen lucis via, ein Weg des Lichts.
Lucia war eine edle Jungfrau in der Stadt Syracus, die hörte von Sanct Agathen sagen, wie ihr heiliger Name wäre geehrt durch das ganze Land Sicilien. Da machte sie sich auf und kam zu ihrem Grabe mit Euthicia, ihrer Mutter; die litt das vierte Jahr am Blutfluß, und niemand konnte ihr helfen. Da sie an dem heiligen Orte waren, las man von ungefähr in der Messe das Evangelium, darin erzählt wird, wie unser Herr ein Weib von dieser Sucht gesund macht. Da sprach Lucia zu ihrer Mutter "Glaubst du, was man da lieset, so glaube auch, daß Sanct Agathe immer bei ihm ist, um des willen sie die Marter hat gelitten: und wenn du ihr Grab mit ganzem Glauben berührest, so wisse, daß du gesund wirst". Da das Volk alles aus der Kirche ging, blieb Lucia mit ihrer Mutter, und knieten mit Andacht bei dem Grabe Sanct Agathen. Da entschlief Lucia und sah Sanct Agathe mitten unter Engeln stehn, mit edlem Gestein gekrönt, und hörte, wie sie zu ihr sprach "Schwester mein Lucia, Jungfrau Gott geweiht, warum bittest du mich um deine Mutter, die du selber zuhand magst gesund machen? Siehe, deine Mutter ist durch deinen Glauben gesund worden". Lucia erwachte und sprach zu ihrer Mutter "Siehe Mutter, du bist gesund worden.
Nun aber bitte ich dich bei der, durch die du geheilt bist, daß du mir nicht mehr redest von einem Gemahl; und das Gut, das du mir geben wolltest zu einer Mitgift, das gieb armen Menschen um Gott". Die Mutter antwortete "Liebe Tochter; warte meines Todes, darnach tu mit dem Gute was du willst". Da sprach Lucia "Mutter, was du nach deinem Tode giebst, das giebst du darum, daß du es nicht mit dir führen magst: gieb es, dieweil du lebest, so wird dir Lohn darum". Da sie nun wieder zu Hause waren, gaben sie täglich den Armen von ihrem Gute also viel, daß sich ihr Erbteil minderte. Solches vernahm der Bräutigam und kam zu Sanct Lucien Amme und fragte sie um die Sache. Die antwortete ihm mit Listen und sprach "Deine Braut hat ein nützer Gut funden, das will sie für dich erwerben; darum verkauft sie das andere Gut, und scheint es also, daß das Gut sich mindere". Da wähnte er, es wäre zeitlich Gut, das sie wollte erwerben, und half ihr selbst das andere Gut verkaufen. Da aber alles verkauft war, ward er inne, daß sie es den Armen hatte gegeben; und zog sie voll Zornes vor den Richter Paschasius, und klagte wider sie, daß sie eine Christin wäre und wider das Gebot der Kaiser habe getan. Der Richter hieß sie den Abgöttern opfern. Dem antwortete sie und sprach "Ein Opfer, das Gott wohlgefällt, das ist: die armen Leute suchen und ihnen zu Hilfe kommen in ihrer Notdurft. Da ich nun nichts mehr habe, das ich ihm opfere, so opfere ich mich ihm selber". Da sprach Paschasius "Diese Worte sage du einem törichten Christen deinesgleichen, aber nicht mir; denn ich wache über der Fürsten Gebot". Antwortete Lucia "Halte du deiner Fürsten Gebot: ich halte das Gesetz meines Herrn Jesu Christi; fürchte du deine Fürsten: ich fürchte meinen Gott und Herrn. Scheue du dich, ihren Zorn zu erregen: ich sehe zu, daß nicht Gottes Zorn über mich komme. Suche du, deinen Fürsten zu gefallen, ich begehre, Christo genehm zu sein. Darum so sollst du tun, was dir nutz und gut dünket: ich werde tun, wovon mir Heil kommen mag". Sprach Paschasius "Du hast dein Erbteil verzehrt mit den bösen Buben, darum redest du als eine offene Sünderin". Antwortete Lucia "Ich hab mein Gut an einen sicheren Ort gelegt, und habe nie einen Schädiger empfunden des Gemütes oder Leibes". Da fragte Paschasius, wer die Schädiger wären. Antwortete Lucia "Die Sehädiger des Gemütes seid ihr, die ihr den Menschen ratet, daß sie von ihrem Schöpfer lassen sollen; aber die Schädiger des Leibes sind die, so den leiblichen Wollüsten mehr nachfolgen, als den ewigen Freuden". Sprach Paschasius "Du wirst dieser Worte schweigen, so ich dir Streiche lasse geben". Lucia antwortete "Gottes Wort kann nimmer aufhören". "So bist du Gott?" sprach Paschasius. Antwortete Lucia "Ich bin eine Magd Gottes, der gesprochen hat zu seinen Jüngern: 'So ihr steht vor den Königen und vor den Richtern, so dürfet ihr nicht gedenken noch betrachten, was oder wie ihr redet, denn ihr redet nicht alleine, der Geist eures Vaters im Himmel, der redet aus euch". Sprach Paschasius "So ist der heilige Geist in dir?" Antwortete Lucia "Wer keusch und rein lebet, der ist ein Tempel des heiligen Geistes". Da sprach Paschasius "So laß ich dich führen in den Tempel der offenen Weiber, da sollst du deine Keuschheit verlieren und der heilige Geist soll von dir weichen". Lucia antwortete "Der Leib wird nicht entreinet, es sei denn, daß der Geist seinen Willen dazu gebe. Darum, nimmst du mir meine Reinigkeit mit Gewalt, so magst du doch meinen Willen nicht dazu zwingen: davon wird mir der Lohn mägdlicher Reinigkeit zwiefaltig gegeben. Was wartest du? Mein Leib ist bereit zu aller Pein. Fang an, du Sohn des Teufels, und vollbring alle deine Grausamkeit an mir nach deinem Willen". Da rief Paschasius Hurenknechte und sprach zu ihnen "Gehet hin, und ladet alles Volk zu ihrem Leib, sie sollen ihn genießen, bis man sie tot finde". Aber da die bösen Buben Sanct Lucien führen wollten zu den Sünden, da war die Magd von Gnaden des heiligen Geistes so schwer, daß man sie nicht mochte von der Stelle bringen. Da gebot Paschasius, daß tausend Mann hinzugingen und ihr Hände und Füße bänden; aber sie mochten sie in keiner Weise bewegen. Er ließ zu den tausend Mann etliche Joch Ochsen an Sie spannen, doch blieb die Magd unbeweglich. Er ließ Zauberer herbeikommen, daß sie mit ihren Beschwörungen sie von der Stelle brächten; es verfing nicht. Da rief Paschasius "Was Zauberei ist dies, daß tausend Mann eine Jungfrau nicht bewegen mögen?" Lucia sprach "Es ist keine Zauberei, es ist Gottes Gewalt. Wisse, tätest du noch tausend zu den andern, sie könnten mich nicht bewegen". Etliche sprachen, daß durch Harn alle Zauberei aufgelöst werde; also ließ er Sie mit Harn begießen. Doch als man sie auch damit nicht von der Stelle brachte, ward dem Richter bange, und er gebot ein großes Feuer um sie zu entzünden, und hieß Pech und Harz und siedend Öl auf sie gießen. Da sprach Lucia "Ich hab um eine Frist gebeten meiner Marter, daß ich den Gläubigen die Furcht des Leidens nehme, und den Ungläubigen die Stimme der Lästerung". Da des Paschasius Freunde sahen, wie er so gar verzagt war, stießen sie der Magd ein Schwert in die Kehle. Doch verlor sie die Sprache nicht, und rief "Ich künde euch, daß der Christenheit der Friede ist wiedergeben: denn Maximianus ist heute tot und Diocletianus ist vertrieben von dem Reich. Und gleichwie der Stadt Catania meine Schwester Agatha zu einer Hüterin ist gegeben, also bin ich der Stadt Syracus verliehen zu einer Fürbitterin. Noch ehe die Magd diese Rede vollbracht hatte, waren die Boten der Römer da, und griffen Paschasium und führten ihn gebunden vor den Kaiser; denn der Kaiser hatte vernommen, daß er das Land alles beraubt hatte. Er ward gen Rom geführt vor den Senat und mit Zeugnis überwunden, und ward ihn' mit Urteil sein Haupt abgeschlagen. Lucia aber blieb an der Statt, da sie verwundet ward, und mochte davon nicht gebracht werden. Sie gab nicht ehe ihren Geist auf, bis die Priester kamen und ihr den Leib des Herrn spendeten: und alles Volk sprach Amen. An derselben Statt ist sie begraben und eine Kirche in ihrer Ehre erbaut. Sie litt unter Constantinus und Maxentius um das Jahr des Herrn dreihundert und zehn.