Die Augustinusregel
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel Das Grundideal: Liebe und Gemeinschaft
2. Kapitel Gebet und Gemeinschaft
3. Kapitel Die gemeinsame Sorge für das leibliche Wohl
4. Kapitel Die gemeinsame Verantwortung füreinander
5. Kapitel Der Erweis von Diensten untereinander
6. Kapitel Die Beilegung von Konflikten aus dem Geist der Liebe
7. Kapitel Amtsführung und gehorsames Dienen
8. Kapitel Ermahnung zum Schluß
1. Kapitel
1 Euch, die ihr eine Klostergemeinschaft bildet, tragen wir auf, folgendes
in eurem Leben zu verwirklichen:
2 Zu allererst sollt ihr einmütig zusammenwohnend, wie ein Herz
und eine Seele auf dem Weg zu Gott. Denn war das nicht der entscheidende
Grund, weshalb ihr euch zum gemeinsamen Leben entschlossen habt?
3 Bei euch darf von persönlichem Eigentum keine Rede sein. Sorgt
im Gegenteil dafür, dass euch alles gemeinsam gehört. Euer
Oberer soll jeden mit Nahrung und Kleidung versorgen. Nicht, dass
er jedem einzelnen gleich viel geben müßte, denn im Hinblick
auf die Gesundheit seid ihr nicht alle gleich, vielmehr soll jedem Bruder
gegeben werden, was er persönlich nötig hat. So lest ihr ja in
der Apostelgeschichte: Sie hatten alles gemeinsam, und jedem wurde so viel
zugetellt, wie er nötig hatte.
4 Die in der Welt etwas besaßen, als sie ins Kloster eingetreten
sind, sollen Wert darauf legen, dass dies der Gemeinschaft übertragen
wird.
5 Die aber nichts besaßen, sollen im Kloster nicht das suchen,
was sie sich draußen auch nicht leisten konnten. Dennoch soll man
ihrer Mittellosigkeit entgegenkommen und ihnen alles geben, was sie nötig
haben, selbst wenn sie zuvor so arm waren, dass sie nicht einmal über
das Allernotwendigste verfügen konnten. Sie dürfen sich aber
nicht schon deshalb glücklich schätzen, weil sie jetzt Nahrung
und Kleidung bekommen, und das in einem Maß, wie sie es draußen
nicht hätten erreichen können.
6 Sie dürfen sich ebensowenig etwas darauf einbilden, dass
sie jetzt mit solchen Menschen Umgang pflegen, denen sie sich früher
nicht zu nähern wagten. Vielmehr soll ihr Herz nach Höherem streben
und nicht nach irdischem Schein. Wenn sich in den Klöstern reiche
Menschen demütigten, arme hingegen stolz würden, dann wären
die Klöster nur für die Reichen von Nutzen, nicht aber für
die Armen.
7 Andererseits dürfen jene, die in der Welt etwas zu sein schienen,
nicht verächtlich auf ihre Brüder herabsehen, die aus ärmlichen
Verhältnissen in diese heilige Gemeinschaft eingetreten sind. Sie
sollen viel stärker darauf bedacht sein, sich des Zusammenlebens mit
diesen armen Brüdern zu rühmen als der gesellschaftlichen Stellung
ihrer reichen Eltern. Auch dürfen sie nicht überheblich werden,
wenn sie einen Teil ihres Vermögens der Gemeinschaft zur Verfügung
gestellt haben. Sonst könnten sie dem Hochmut eher zum Opfer fallen,
wenn sie der Gemeinschaft Anteil an ihrem Reichtum gewähren, als wenn
sie ihn selber in der Welt genießen würden. Denn während
jede andere Fehlhaltung ihren Ausdruck nur in bösen Taten findet,
trachtet der Hochmut darüber hinaus auch nach den guten Werken, um
sie zunichte zu machen. Und welchen Sinn hätte es, sein Vermögen
an die Armen zu verteilen und selbst arm zu werden, wenn das Wegschenken
des Reichtums einen Menschen noch hochmütiger machen würde als
der Besitz eines großen Vermögens?
8 Lebt also alle wie ein Herz und eine Seele zusammen und ehrt gegenseitig
in euch Gott; denn jeder von euch ist sein Tempel geworden.
2. Kapitel
1 Laßt nicht nach im Beten zu den festgesetzten Stunden und Zeiten.
2 Der Gebetsraum darf zu nichts anderem gebraucht werden als wozu er
bestimmt ist; denn er trägt seinen Namen nicht ohne Grund. Dann können
jene, die vielleicht auch außerhalb der festgesetzten Stunden beten
wollen, dort in ihrer freien Zeit im Gebet verweilen, ohne von irgendeinem
gestört zu werden, der meint, dort etwas anderes tun zu müssen.
3 Wenn ihr in Psalmen und Liedern zu Gott betet, dann sollen die Worte,
die ihr aussprecht, auch in eurem Herzen lebendig sein.
4 Haltet euch beim Singen an den Text, und singt nicht, was nicht zum
Singen bestimmt ist.
3. Kapitel
1 Bezwingt euren Leib durch Fasten und Enthaltung von Speise und Trank,
soweit es eure Gesundheit zuläßt. Wer es nicht ohne Nahrung
bis zur Hauptmahlzeit, die gegen Abend eingenommen wird, aushalten kann,
darf vorher etwas essen und trinken, jedoch nur zur Stunde der sonst üblichen
Mittagsmahlzeit. Wer aber krank ist, darf jederzeit etwas zu sich nehmen.
2 Hört vom Beginn bis zum Ende der Mahlzeit aufmerksam der üblichen
Lesung zu, ohne euch dabei lauthals zu äußern oder gegen die
Worte der Heiligen Schrift zu protestieren. Denn ihr sollt nicht nur mit
dem Mund euren Hunger stillen, sondern auch eure Ohren sollen hungern nach
dem Wort Gottes.
3 Einige haben als Folge ihrer früheren Lebensgewohnheit eine
schwächliche Gesundheit. Wenn für sie bei Tisch eine Ausnahme
gemacht wird, dürfen die übrigen, die aufgrund anderer Lebensgewohnheiten
kräftiger sind, dies nicht übelnehmen oder gar als ungerecht
empfinden. Auch sollen sie nicht meinen, dass jene glücklicher
sind, bloß weil sie bessere Speisen erhalten als die übrigen.
Sie sollen vielmehr froh sein, dass sie selber fertigbringen, wozu
jenen die Kraft fehlt.
4 Einige waren vor ihrem Klostereintritt eine üppigere Lebensführung
gewohnt und erhalten deswegen etwas mehr an Speise und Kleidung, ein besseres
Bett oder zusätzliche Bettdecken. Die anderen, die kräftiger
und somit glücklicher sind, bekommen dies nicht. Aber bedenkt dabei
wohl, wieviel diese Brüder jetzt im Vergleich zu ihren früheren
Lebensbedingungen entbehren müssen, selbst wenn sie nicht dieselbe
Anspruchslosigkeit aufbringen können wie jene, die vom Leib her kräftiger
sind. Nicht alle müssen das haben wollen, was sie andere zusätzlich
bekommen sehen. Das geschieht ja nicht, um jemanden zu bevorzugen, sondern
allein aus Rücksichtnahme. Andernfalls würde sich im Kloster
der widersinnige Mißstand ergeben, dass jene, die aus armen
Verhältnissen kommen, ein verweichlichtes Leben führen, während
die aus reichen Verhältnissen Stammenden alle möglichen Anstrengungen
auf sich zu nehmen hätten.
5 Kranke müssen selbstverständlich eine der Krankheit angepaßte
leichte Kost bekommen; andernfalls würde man die Krankheit verschlimmern.
Sobald aber die Besserung eintritt, sollen sie mit kräftiger Nahrung
versorgt werden, damit sie sich so schnell wie möglich erholen, selbst
wenn sie vor ihrem Klostereintritt zur ärmsten Schicht der Gesellschaft
gehörten. Während der Genesungszeit sollen sie dasselbe erhalten,
was den Reichen aufgrund ihrer früheren Lebensgewohnheit zugestanden
wird. Sobald sie aber wieder zu Kräften gekommen sind, sollen sie
von neuem anfangen, so zu leben wie früher, als sie glücklicher
waren, weil sie weniger nötig hatten. Je schlichter die Lebensführung
ist, desto besser paßt sie zu den Dienern Gottes! - Wenn ein Kranker
genesen ist, soll er sich in acht nehmen, dass er nicht zum Sklaven
der eigenen Behaglichkeit wird. Er muss auf die Vorrechte verzichten
lernen, die seine Krankheit mit sich brachte. Diejenigen, die zu einem
anspruchslosen Lebensstil am ehesten bereit sind, sollen sich für
die reichsten Menschen halten. Denn es ist besser, wenig nötig zu
haben als viel zu besitzen.
4. Kapitel
1 Seid nicht aufwendig gekleidet. Sucht nicht, durch eure Kleidung Gefallen
zu erwecken, sondern durch eure Lebensführung.
2 Wenn ihr ausgeht, dann macht euch gemeinsam auf den Weg, und wenn
ihr an den Ort gekommen seid, wo ihr hingehen wolltet, dann bleibt zusammen.
3 Euer Gehen und Stehen, euer ganzes Verhalten darf bei niemandem Anstoß
erregen, sondern muss mit eurem heiligen Lebensstand in Einklang stehen.
4 Wenn ihr eine Frau seht, laßt euren Blick nicht lüstern
auf ihr ruhen. Wenn ihr ausgeht, kann euch natürlich niemand verwehren,
Frauen zu sehen, wohl aber ist es schuldhaft, eine Frau sexuell zu begehren
oder von ihr begehrt werden zu wollen. Denn nicht nur die Gebärden
der Zuneigung, sondern auch die Augen erregen in Mann und Frau die Begierde
zueinander. Behauptet also nicht, euer Herz sei rein, wenn eure Augen unrein
sind, denn das Auge ist der Bote des Herzens. Und wenn man sich gegenseitig
seine unkeuschen Absichten zu erkennen gibt, auch ohne Worte, nur indem
man nach der anderen Ausschau hält, und wenn man an der zueinander
entbrannten Leidenschaft Gefallen findet, dann ist selbst wenn man sich
nicht in den Armen liegt - von der echten Reinheit, nämlich der Reinheit
des Herzens, schon keine Rede mehr.
5 Übrigens: Wer seine Augen nicht von einer Frau lösen kann
und gern ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkt, soll nicht meinen, dass
andere dies nicht wahrnehmen. Natürlich beobachten sie es, selbst
Menschen, von denen ihr es nicht vermutet, sehen es. Aber selbst wenn es
verborgen bliebe und von keinem Menschen bemerkt würde, wie willst
du dich Gott gegenüber verhalten, der das Herz eines jeden prüft
und dem nichts verborgen bleiben kann? Oder sollte jemand etwa annehmen:
Der Herr wird es mir nachsehen, weil Gott ja in dem gleichen Maße,
wie seine Weisheit die der Menschen übersteigt, auch mehr Geduld mit
den Menschen aufbringt. Ein Gottgeweihter soll sich hüten, Gottes
Liebe zu enttäuschen. Um dieser Liebe willen soll er keine sündhafte
Liebe zu einer Frau unterhalten. Wer bedenkt, dass Gott alles sieht,
wird keine Frau in sündhafter Absicht anschauen wollen. Denn durch
das Wort der Schrift Der Herr verabscheut ein lüsternes Auge
wird
uns gerade in diesem Punkt Ehrfurcht vor seinem Willen ans Herz gelegt.
6 Wenn ihr also in der Kirche zusammen seid oder überall sonst,
wo ihr auch mit Frauen zusammenkommt, dann fühlt euch gegenseitig
für eure Reinheit verantwortlich. Dann wird Gott, der in eurer Gemeinschaft
wohnt, euch durch eure Verantwortlichkeit füreinander beschützen.
7 Wenn ihr nun diesen lüsternen Blick, von dem ich spreche:, bei
einem Mitbruder bemerkt, dann ermahnt ihn sogleich, damit er sein Verhalten
so schnell wie möglich bessert und das schon begonnene Unheil nicht
noch schlimmer wird.
8 Sieht man aber nach einer solchen Ermahnung oder auch sonst, dass
dieser Bruder doch wieder dasselbe tut, dann soll jeder, der das merkt,
sein Herz als verwundet betrachten und um Heilung bemüht sein. Es
steht dann niemandem mehr frei zu schweigen. Aber zunächst sollst
du nur ein oder zwei weitere Personen darauf aufmerksam machen, damit dieser
Bruder durch die Aussage von Zweien oder Dreien von seinem Fehler überzeugt
werden kann und mit angemessener Strenge zur Ordnung gerufen wird. Du darfst
nicht meinen, dass du böswillig handelst, wenn du das tust. Im
Gegenteil: Du lädst Schuld auf dich, wenn du deine Brüder durch
dein Stillschweigen ihrem Untergang entgegengehen läßt, während
du sie doch auf den guten Weg zurückführen kannst, sobald du
offenbarst, was du weißt. Nimm zum Beispiel an, dein Bruder hätte
an seinem Leib eine Wunde und wollte sie aus Angst vor einem ärztlichen
Eingriff verbergen. Wäre es nicht herzlos von dir, darüber zu
schweigen? Und würde es demgegenüber nicht von Mitgefühl
zeugen, dies bekanntzumachen? Um wieviel größer ist dann aber
deine Pflicht, den Zustand deines Bruders offenzulegen, wenn du dadurch
verhindern kannst, dass das Böse sein Herz weiter angreift; und
das wäre viel schlimmer.
9 Will er nicht auf deine Ermahnung hören, dann soll man zunächst
den Oberen zu einem Gespräch unter vier Augen hinzurufen, um dadurch
die anderen noch herauszuhalten. Bessert er sich daraufhin noch nicht,
dann darfst du andere hinzuziehen, um diesen Bruder von seinem Fehlverhalten
zu überzeugen. Wenn er weiterhin bestreitet, soll man ohne sein Wissen
weitere Personen verständigen, um ihn in Gegenwart aller durch die
Aussage von mehreren auf sein Fehlverhalten hinweisen zu können, weil
ja zwei oder drei eher jemanden überzeugen können als einer allein.
Ist seine Schuld einmal erwiesen, dann soll der Obere oder der Priester,
unter dessen Zuständigkeit das Kloster fällt, urteilen, welche
Strafe er zur Besserung auf sich zu nehmen hat. Wenn er es ablehnt, sich
dieser Strafe zu unterziehen, soll er aus eurer Gemeinschaft entlassen
werden, auch wenn er selbst nicht austreten möchte. Auch dies geschieht
nicht aus Herzlosigkeit, sondern aus Liebe. Denn dadurch beugt man vor,
daß er andere durch seinen schlechten Einfluß ansteckt und
ins Verderben zieht.
10 Was ich über die lüsterne Begierde gesagt habe, gilt in
entsprechender Weise bei allen anderen Fehlern. Folgt derselben Verfahrensordnung
gewissenhaft und treu beim Aufdecken, Verhindern, Ans-Licht-Bringen, Beweisen
und Bestrafen anderer Sünden, und zwar mit Liebe gegenüber den
betreffenden Menschen, aber mit Abkehr von ihren Fehlern.
11 Wenn ein Bruder spontan eingesteht, dass er schon so weit auf
dem verkehrten Weg fortgeschritten ist, dass er im geheimen von einer
Frau Briefe empfängt oder Geschenke annimmt, dann soll man ihn schonend
behandeln und für ihn beten. Wird er aber auf frischer Tat ertappt
und für schuldig befunden, dann soll er nach dem Urteil des Priesters
oder des Oberen zu seiner Besserung hart bestraft werden.
5. Kapitel
1 Eure Kleidungsstücke sollen durch eine oder mehrere Personen als
gemeinsamer Besitz betreut werden. Deren Aufgabe ist es, sie zu lüften
und auszuklopfen, damit sie nicht von Motten zerfressen werden. Wie euer
Essen aus einer gemeinsamen Küche kommt, so sollt ihr eure Kleidungsstücke
auch aus einer gemeinsamen Kleiderkammer erhalten. Eigentlich sollte es
euch gleich sein, welche Sommer- oder Winterkleidung ihr zugetellt bekommt.
Es sollte euch nichts ausmachen, ob man euch dasselbe Kleidungsstück
aushändigt, das ihr abgegeben habt, oder eins, das schon ein anderer
getragen hat, wenn nur keinem Bruder verweigert wird, was er notwendig
braucht. Wenn dies bei euch Eifersucht und Unzufriedenheit hervorruft oder
wenn gar einer sich beklagt, dass er jetzt ein Kleidungsstück
erhalten habe, das minderwertiger sei als das, was er zuvor hatte, und
wenn er es unter seinem Stand fände, Kleidungsstücke zu tragen,
die schon ein anderer getragen hat, wäre das keine Lehre für
euch? Wenn ihr um die äußere Ausstattung eures Leibes Streit
bekommt, wäre das kein Beweis, dass an der inneren Ausstattung
eures Herzens noch allerhand fehlt? Aber auch wenn ihr solch eine selbstlose
Einstellung nicht aufbringen könntet und man euch dadurch entgegenkäme,
daß ihr die von euch selbst getragenen Kleidungsstücke wiederbekommt,
dann verwahrt sie trotzdem in einer gemeinsamen Kleiderkammer, wo andere
für sie sorgen.
2 Der Sinn von all dem ist: Niemand möge bei seiner Arbeit auf
seinen persönlichen Vorteil bedacht sein, sondern alles geschehe im
Dienst der Gemeinschaft, und zwar mit mehr Eifer und größerer
Begeisterung, als wenn jeder für sich selbst und zum eigenen Nutzen
arbeiten würde. Denn über die Liebe steht geschrieben, dass
sie nicht ihren Vorteil sucht, das heißt: Sie stellt das Gemeinschaftsinteresse
über das Eigeninteresse und nicht umgekehrt. Die Tatsache, dass
ihr mehr Sorge für die Belange der Gemeinschaft als für eure
eigenen an den Tag legt, ist deshalb ein Prüfstein für euren
Fortschritt. So wird sich in allem, was die vergängliche Not des Menschen
betrifft, etwas Bleibendes und Überragendes zeigen, nämlich die
Liebe.
3 Hieraus folgt, dass ein Mitbruder, der von seinen Eltern oder
Angehörigen Kleidungsstücke oder andere notwendige Dinge bekommen
hat, diese nicht heimlich für sich selbst zurückbehalten darf.
Er muss sie dem Oberen zur Verfügung stellen. Einmal gemeinsamer
Besitz geworden, soll der Obere diese Dinge demjenigen geben, der sie nötig
hat.
4 Bevor ihr eure Kleidungsstücke wascht oder in eine Wäscherei
gebt, sollt ihr erst Rücksprache mit dem Oberen halten, um vorzubeugen,
daß ein übertriebenes Verlangen nach reiner Kleidung euer Inneres
verunreinigt.
5 Das Aufsuchen der öffentlichen Bäder darf von euch, wenn
es aus Gesundheitsgründen nötig ist, niemals abgelehnt werden.
Folgt in diesem Punkt ohne Widerspruch der Anordnung des Arztes; und selbst
wenn ein Bruder zunächst ablehnt, soll er, notfalls auf Befehl des
Oberen, trotzdem tun, was für seine Gesundheit notwendig ist. Wenn
aber ein Bruder die öffentlichen Bäder nur zu seinem Vergnügen
aufsuchen möchte, obwohl es die Gesundheit nicht erfordert, dann soll
er von seinen Wünschen Abstand nehmen. Denn was Vergnügen bereitet,
ist nicht immer angebracht, sondern kann auch schädlich sein.
6 Wie es im Einzelfall auch sein mag: Sobald ein Mitbruder sagt, dass
er sich nicht wohl fühlt und Schmerzen hat, dann glaubt ihm ohne weiteres,
selbst wenn die Krankheit noch nicht zum Ausbruch gekommen ist. Wenn ihr
aber nicht sicher seid, ob die bevorzugte Behandlung, die er erbittet,
zur Wiederherstellung seiner Gesundheit auch angebracht ist, dann fragt
einen Arzt um Rat.
7 Sorgt dafür, dass ihr wenigstens zu zweit oder zu dritt
seid, wenn ihr in die öffentlichen Bäder geht. Das gilt übrigens
auch, wenn es nötig ist, anderswohin zu gehen. Und wählt dabei
nicht selbst die Personen aus, die euch begleiten, sondern überlaßt
dem Oberen die Entscheidung, wer mitgehen soll.
8 Die Gemeinschaft soll einem der Brüder die Verantwortung für
die Betreuung der Kranken übertragen. Der gleiche soll sich auch um
diejenigen Patienten kümmern, die auf dem Weg der Besserung sind,
und um die gesundheitlich noch Schwachen, selbst wenn sie kein Fieber mehr
haben. Der Krankenbruder darf für sie aus der Küche erbitten,
was er für nötig erachtet.
9 Diejenigen, die mit der Sorge für die Küche, die Kleiderkammer
oder die Bibliothek betraut sind, sollen ihren Mitbrüdern stets ohne
Murren zu Diensten stehen.
10 Die Bücher könnt ihr täglich zur vereinbarten Zeit
in Empfang nehmen. Außerhalb dieser Zeit werden sie nicht ausgehändigt,
auch wenn ein Mitbruder darum bittet.
11 Wer hingegen für die Ausgabe von Kleidung und Schuhwerk verantwortlich
ist, darf nicht zögern, sie zu jeder gewünschten Zeit an diejenigen
auszuteilen, die sie notwendig brauchen.
6. Kapitel
1 Seid nie untereinander zerstritten. Sollte es doch einmal zum Streit
kommen dann macht so schnell wie möglich Schluß damit. Sonst
wächst der Zorn zum Haß. Dann wird ein Splitter zum Balken und
macht aus eurem Herzen eine Mördergrube. Denn es steht geschrieben:
jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Mörder.
2 Wenn du einen Bruder verletzt hast, indem du ihn ausgeschimpft, verwünscht
oder zu Unrecht schwer beschuldigt hast, dann denk daran, das Unheil, das
du angerichtet hast, so schnell wie möglich durch deine Entschuldigung
wiedergutzumachen; und der Bruder, der verletzt wurde, soll dir seinerseits
ohne große Umstände verzeihen. Wenn sich zwei aber gegenseitig
beleidigt haben, dann müssen sie sich auch gegenseitig ihre Schuld
v ergeben andernfalls wird euer Vater unser
-Beten zur Lüge. Übrigens,
je mehr ihr betet, desto ehrlicher und aufrichtiger wird euer Gebet sein
müssen. Man kann besser mit einem Bruder auskommen, der zwar schnell
wütend wird, dies aber auch schnell wiedergutmacht, sobald er einsieht,
daß er einem anderen Unrecht getan hat, als mit einem anderen, der
weniger aufbrausend ist, der aber auch nur zögernd bereit ist, seine
Entschuldigung anzubieten. Wer aber nie um Verzeihung bitten will oder
dies nicht von ganzem Herzen tut, gehört nicht in ein Kloster, selbst
wenn man ihn nicht aus der Gemeinschaft entläßt. Hütet
euch also vor verletzenden Worten. Wenn sie doch gefallen sind, dann seid
nicht bange, das heilende Wort mit demselben Mund zu sprechen, der die
Verletzung verursachte.
3 Es kann jedoch vorkommen, dass die notwendige Sorge für
den rechten Gang der Dinge jemanden von euch zwingt, harte Worte gegenüber
Minderjährigen zu gebrauchen, um sie zur Ordnung zu rufen. In diesem
Fall wird von euch nicht verlangt, dass ihr sie dafür um Verzeihung
bittet, auch wenn ihr selber das Gefühl habt, dass ihr dabei
zu weit gegangen seid. Denn wenn ihr euch gegenüber diesen jüngeren
durch übertriebene Demut als zu unterwürfig erweist, schadet
ihr damit der Autorität, die ihnen die nötige Leitung zu geben
hat und der sie sich zu unterwerfen haben. Bei solchen Gelegenheiten sollt
ihr allerdings den Herrn aller Menschen um Verzeihung bitten, der weiß,
wie sehr ihr auch jene schätzt, die ihr vielleicht mit zu großer
Strenge behandelt habt. Eure Liebe zueinander darf nicht in der Selbstsucht
stecken bleiben; sie muss sich vielmehr vom Geist Gottes leiten lassen.
7. Kapitel
1 Gehorcht eurem Oberen so wie einem Vater, aber auch mit dem gebührenden
Respekt, der ihm aufgrund seines Amtes zusteht; andernfalls verfehlt ihr
euch gegen Gott in ihm. Das gilt noch mehr für euer Verhalten gegenüber
dem Priester, der für euch alle die Verantwortung trägt.
2 Es ist in erster Linie Aufgabe des Oberen, dafür zu sorgen,
daß man alles, was hier gesagt ist, auch verwirklicht und dass
man Übertretungen nicht achtlos übergeht. Es ist seine Aufgabe,
auf fehlerhaftes Verhalten hinzuweisen und für Besserung zu sorgen.
Was seine Befugnisse und Kräfte übersteigt, soll er dem Priester
vorlegen, weil dessen Amtsautorität in bestimmter Hinsicht größer
ist als seine.
3 Euer Oberer soll sich nicht deshalb glücklich schätzen,
weil er kraft seines Amtes gebieten, sondern weil er in Liebe dienen kann.
Aufgrund eurer Hochachtung soll er unter euch herausgehoben sein, doch
aufgrund seiner Verantwortlichkeit vor Gott soll er sich als der Geringste
von euch einschätzen. Allen soll er durch gute Werke ein Beispiel
geben. Er soll diejenigen, die ihre Arbeit vernachlässigen, zurechtweisen,
den Ängstlichen Mut machen, sich der Schwachen annehmen, mit allen
Geduld haben. Er selber soll die Richtlinien der Gemeinschaft in Ehren
halten und auch bei den anderen auf Beachtung drängen. Wiewohl beides
in gleicher Weise nötig ist, soll er mehr darauf bedacht sein, von
euch geliebt als gefürchtet zu werden. Er soll stets daran denken,
daß er vor Gott für euch Rechenschaft ablegen muss.
4 Indem ihr aus Liebe gehorcht, stellt ihr unter Beweis, dass
ihr nicht nur mit euch selbst Erbarmen habt, sondern auch mit eurem Oberen.
Denn auch für eure Gemeinschaft gilt: je höher einer gestellt
ist, desto größer ist die damit verbundene Gefahr!
8. Kapitel
1 Der Herr gebe, dass ihr, ergriffen vom Verlangen nach geistlicher
Schönheit, dies alles mit Liebe befolgt. Lebt so, dass ihr durch
euer Leben den lebensweckenden Wohlgeruch Christi verbreitete. Lebt nicht
als Sklaven, niedergebeugt unter dem Gesetz, sondern als freie Menschen
unter der Gnade.
2 Einmal pro Woche soll diese Regel vorgelesen werden. Sie ist wie
ein Spiegel: Ihr könnt darin sehen, ob ihr etwas vernachlässigt
oder vergeßt. Wenn ihr findet, dass ihr dem entsprecht, was
darin steht, dann dankt dem Herrn, dem Spender alles Guten. Bemerkt einer
aber, dass er hinter dem zurückgeblieben ist, was hier verlangt
wird, dann soll er bereuen, was geschehen ist, und in Zukunft auf der Hut
sein. Er bete: Vergib mir meine Schuld und führe mich nicht in Versuchung.
Übersetzung nach Tarsicius Jan van Bavel: Augustinus von
Hippo - Regel für die Gemeinschaft (Augustinusverlag Würzburg).
Diese Regelübersetung der eigentlich für Frauenklöster bestimmten
Augustinusregel, wurde von mir für Männergemeinschaften übertragen.
Diese Seite wird von © P. Lukas Schmidkunz OSA, Augustinerkloster
Fährbrück betreut
Letzte Aktualisierung 22. 05. 1997
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