Ökumenisches Heiligenlexikon

Johannes Calvin:
Institutio, Buch I,
Kapitel 16, 4 - 6 und 9

Gott erhält und schützt die von ihm erschaffene Welt und regiert sie bis ins einzelne mit seiner Vorsehung


Das Wesen der Vorsehung

Vorsehung - das muß der Leser festhalten - bedeutet also nicht, daß Gott müßig im Himmel betrachtete, was auf Erden vor sich geht, sondern im Gegenteil, daß er gewissermaßen das Ruder hält und also alle Ereignisse lenkt. Sie bezieht sich also auf die Hand Gottes nicht weniger als auf sein Auge. Wenn Abraham zu seinem Sohne sagte: Gott wird's versehen (Gen. 22, 8), so wollte er damit nicht nur behaupten, Gott sähe zukünftige Geschehnisse voraus, sondern er wollte vielmehr die Sorge um die ungewisse Zukunft auf den Willen dessen werfen, der stets verwickelten und verworrenen Dingen einen Ausgang zu geben weiß. Daraus folgt, daß die Vorsehung Gottes in seinem Wirken besteht, und deshalb ist es unklug, wenn einige von einem bloßen Vorherwissen Gottes schwatzen. Nicht gar so grob ist der Irrtum derer, die Gott zwar die Regierung zuschreiben, aber eine (mit den anderen Mächten) durcheinandergebrachte und verworrene, wie ich schon erwähnt habe. Danach würde er zwar das Weltgebäude mit allen seinen Teilen in allgemeiner Bewegung lenken und treiben, aber nicht etwa die Wirksamkeit jeder einzelnen Kreatur besonders regieren. Nichtsdestoweniger ist auch dieser Irrtum untragbar; denn man erklärt, diese Vorsehung, die man allgemein nennt, hindere keineswegs die Geschöpfe in ihrer zufälligen Bewegung und auch nicht den Menschen, sich in freiem Willensentscheid da- oder dorthin zu wenden. Auf diese Weise teilt man zwischen Gott und dem Menschen. Gott soll dem Menschen durch seine Kraft die Bewegung verleihen, vermöge deren dieser dann nach der Beschaffenheit der ihm innewohnenden Natur tätig sein könnte - der Mensch aber könnte seine Handlungen nach seinem freien Entschluß bestimmen! Man meint also kurz, die Welt, das Geschick des Menschen und der Mensch selbst würden zwar durch Gottes Macht, nicht aber durch seine Bestimmung regiert! Da übergehe ich die Epikuräer - von dieser Pest war die Welt je und je erfüllt! -, die sich einen müßigen und faulen Gott erträumen, auch andere, die keineswegs vernünftiger waren, die einst meinten, Gott beherrsche nur die mittlere Luftregion und überließe dabei das darunter Vorgehende dem Schicksal - denn gegen einen derart offenkundigen Wahnsinn erheben schon die stummen Geschöpfe genugsam Einspruch!

Allgemeine und besondere Vorsehung

Ich will nämlich hier die ganz allgemein verbreitete Meinung widerlegen, die Gott irgendeine sozusagen verworrene Bewegkraft zuschreibt und ihm dadurch das Wesentliche raubt, nämlich daß er alles in seiner unausforschlichen Weisheit zu seinem Zweck lenkt und leitet. Diese Meinung macht Gott bloß den Worten nach, nicht aber tatsächlich zum Regierer der Welt; denn sie nimmt ihm ja gerade die eigentliche Leitung! Was soll denn Regieren eigentlich anders heißen, als daß man einer Sache so vorsteht, daß man auch in bestimmter Ordnung lenkt, was man beherrscht? Die Redewendung von der allgemeinen Vorsehung will ich trotzdem nicht ganz ablehnen; nur muß man mir dann anderseits zugestehen, die Welt werde von Gott gelenkt, insofern er nicht nur die von ihm der Natur gesetzte Ordnung aufrechterhält, sondern auch die besondere Fürsorge für jedes einzelne seiner Werke ausübt! Denn es ist schon wahr, daß die einzelnen Gattungen sich aus verborgenem Naturtrieb bewegen, als ob sie einem ewigen Befehl Gottes gehorchten und als ob nun von selbst abliefe, was Gott einmal geordnet hat. Dahin kann man auch deuten, daß Christus bezeugt, er und der Vater seien vom Anfang an immerdar am Werke (Joh. 5, 17), daß Paulus lehrt: In ihm leben, weben und sind wir (Apg. 17, 28), oder daß der Verfasser des Hebräerbriefs, um Christi Gottheit zu beweisen, sagt, durch sein mächtiges Wort werde alles erhalten (Hebr. 1, 3). Aber es ist völlig verkehrt, wenn man unter diesem Vorwande die besondere Vorsehung verdunkeln will, die doch von so gewissen und klaren Schriftzeugnissen behauptet wird, daß man sich wundern muß, daß daran überhaupt jemand hat zweifeln können. Tatsächlich müssen ja auch solche, die jene Decke vorhängen, zur Richtigstellung ihres Irrtums selbst hinzufügen, es geschehe vieles aus besonderer Fürsorge Gottes heraus; aber das beschränken sie verkehrterweise bloß auf einzelne Akte. Wir wollen also festhalten: Gottes Walten geschieht so, daß er alle einzelnen Geschehnisse lenkt, und so kommt alles aus seinem bestimmten Ratschluß; es geschieht also nichts aus Zufall!

Gottes Vorsehung lenkt auch das einzelne

Geben wir zu, der Anfang der Bewegung liege bei Gott, danach aber werde alles vom Zufall gelenkt, wohin die natürliche Neigung es treibt, so ist ja der Wechsel von Tag und Nacht, Winter und Sommer Gottes Werk, sofern er ihnen Lauf und Aufgabe angewiesen und ihnen ein bestimmtes Gesetz gegeben hat. Das träfe jedenfalls zu, wenn alles in gleichem Ablauf immer die gleiche Ordnung hielte: die Tage in ihrer Aufeinanderfolge mit den Nächten, die Monate mit den Monaten, und die Jahre mit den Jahren. Wenn aber bald unmäßige Hitze und Dürre alle Frucht verbrennt, bald unzeitige Regengüsse die Saaten verderben, wenn Hagel und Sturm plötzliche Katastrophen hervorrufen, dann wäre das nicht Gottes Werk - oder doch nur insofern, als Wolken und heiterer Himmel, Kälte und Hitze aus der Stellung und dem Lauf der Gestirne oder aus anderen natürlichen Ursachen ihren Ursprung herleiten. Aber auf solche Weise bleibt weder für Gottes väterliche Huld, noch für seine Gerichte Raum. Sagt man, Gott erweise dem Menschengeschlecht doch schon dadurch genugsam seine Güte, daß er Himmel und Erde die geordnete Kraft eingebe, um die Nahrungsmittel hervorzubringen, so ist das ein nichtiger und gottferner Wahn - als ob die Fruchtbarkeit eines Jahres nicht Gottes besonderer Segen, der Mangel und der Hunger nicht sein Fluch und seine Vergeltung wäre! Aber es würde zu weit führen, alle Gründe aufzuzählen; es soll uns darum Gottes eigene Autorität genügen. Im Gesetz und in den Propheten verkündet er öfters, wenn er mit Tau und Regen die Erde netze, so bezeuge er dadurch seine Gnade, wenn anderseits der Himmel auf seinen Befehl wie Eisen erstarre, wenn Rost und andere Schäden die Saat verzehrten, wenn Hagel und Sturm die Felder verwüsteten, so sei das ein Zeichen seiner gewissen, besonderen Vergeltung. Wenn wir das annehmen, so ist uns klar, daß nicht ein Regentropfen ohne Gottes gewissen Befehl herniederfällt. So lobt David Gottes allgemeine Vorsehung, daß er den jungen Raben Speise gebe, die ihn anrufen (Ps. 147, 9). Aber wenn Gott anderseits selbst den Tieren mit Hunger droht, erklärt er dann nicht genugsam, daß er bald in geringerem, bald in reichlicherem Maße, je nach seinem Wohlgefallen, alles Lebendige versorgt und nährt? Es ist, wie ich schon sagte, kindisch, wenn man das auf einzelne Akte einschränken will; Christus selber sagt ja ohne Ausnahme, nicht einmal ein wertloser Sperling falle zur Erde ohne des Vaters Willen (Matth. 10, 29). Wahrlich, wenn Gott den Flug der Vögel mit bestimmtem Ratschluß lenkt, so müssen wir mit dem Propheten bekennen: Wer ist wie der Herr, unser Gott, der sich so hoch gesetzt hat und auf das Niedrige sieht im Himmel und auf Erden? (Ps. 113, 5. 6).

Gottes Vorsehung gilt besonders dem Menschen

Aber wir wissen, daß die Welt vornehmlich um des Menschengeschlechts willen geschaffen worden ist: diesen Zweck müssen wir auch im Auge behalten, wenn wir über die Weltregierung nachdenken. Der Prophet Jeremia ruft aus: Ich weiß, Herr, daß des Menschen Tun steht nicht in seiner Gewalt, und stehet in niemandes Macht, wie er ….seinen Gang richte… (Jer. 10, 23). Und Salomo sagt: Jedermanns Gänge kommen von dem Herrn; welcher Mensch versteht seinen Weg? (Spr. 20, 24). Nun soll man hingehen und sagen, der Mensch werde zwar von Gott bewegt gemäß der Neigung seiner Natur, aber er lenke diese Bewegung, wohin er selbst wolle! Wäre das recht geredet, so stände dem Menschen die Entscheidung über seine Wege zu! Dies wird man vielleicht verneinen, weil ja der Mensch nichts ohne Gottes Macht ausrichten könne. Aber der Prophet und Salomo legen Gott ja nicht nur die Macht, sondern auch die Entscheidung und Bestimmung bei, und deshalb hilft jener Einwand nichts. Auch noch an anderer Stelle straft Salomo feinsinnig diese Vermessenheit des Menschen, der sich ohne Rücksicht auf Gott ein Ziel vorsetzt, als ob er nicht von seiner Hand geführt würde: Der Mensch setzt sich's wohl vor im Herzen, aber vom Herrn kommt, was die Zunge reden soll (Spr. 16, 1). Es ist gewiß eine lächerliche Torheit, wenn elende Menschen ohne Gott handeln wollen, die doch nicht einmal reden können ohne seinen Willen!

Um ferner noch deutlicher auszudrücken, daß nichts in der Welt ohne seine Bestimmung geschieht, zeigt die Schrift, daß ihm gerade das unterworfen ist, was ganz zufällig scheint. Was wird man mehr dem Zufall zurechnen, als wenn ein Ast vom Baume bricht und dabei einen vorübergehenden Wanderer erschlägt? Aber der Herr sagt ganz im Gegenteil, er habe ihn in die Hand dessen fallen lassen, der ihn töte (Ex. 21, 13). Wer wird nicht den Loswurf dem blinden Glück zuschreiben? Aber auch das leidet der Herr nicht, der sich auch darüber die Entscheidung vorbehalten hat. Denn er lehrt nicht bloß, es geschehe durch seine Macht, daß die Lossteinchen in den Schoß geworfen und wieder herausgezogen würden, nein, gerade das, was man doch fast allein dem Glück zuschreiben möchte, ist nach seinem Zeugnis von ihm her (Spr. 16, 33). Dahin gehört auch das Wort des Salomo: Arme und Reiche begegnen einander, beider Augen erleuchtet der Herr (Spr. 29, 13). Denn es sind in der Welt die Reichen unter die Armen gemischt, weil ja von Gott her jedem seine Stellung zugewiesen wird; und deshalb erinnert Salomo daran, daß Gott, der ihnen allen das Licht gebe, nicht etwa selbst sein Auge verschließe, und er ermahnt auf diese Weise die Armen zur Geduld, weil die, welche mit ihrem Los unzufrieden sind, die ihnen von Gott auferlegte Last abzuschütteln suchen. So macht auch ein anderer Prophet den weltlich gesinnten Menschen Vorwürfe, weil sie es der Arbeit der Menschen oder dem Glück zuschreiben, daß die einen im Staube liegen, die anderen zu Ehren kommen: Nicht vom Aufgang, noch vom Untergang, noch von der Wüste kommt Erhöhung, denn Gott ist der Richter, erniedrigt und erhöht (Ps. 75, 7. 8). Denn Gott kann das Richter-amt nicht von sich legen, und daraus wird hier der Schluß gezogen, es geschehe aus seinem verbor-genen Ratschluß, daß die einen große Leute werden, die anderen in verachteter Lage bleiben müssen.

Uns sind die wahren Ursachen des Geschehens verborgen

Aber unser Geist erreicht in seiner Schwerfälligkeit die Höhe der Vorsehung Gottes nicht von ferne; und deshalb muß zu seiner Unterstützung eine Unterscheidung angewandt werden. Ich will mich also folgendermaßen ausdrücken: Obgleich alles durch Gottes Ratschluß in fest bestimmter Regelung geordnet ist, ist es doch für uns zufällig. Das bedeutet nicht, daß wir meinten, Welt und Menschen ständen unter der Herrschaft des Glücks und es rolle alles im Himmel und auf Erden zufällig ab - denn ein solcher Wahnwitz muß dem Herzen eines Christenmenschen fernbleiben! Aber weil die Ordnung, die Ursache, der Zweck und die Notwendigkeit der Ereignisse von der menschlichen Erkenntnis nicht begriffen werden, da sie größtenteils in Gottes Ratschluß verborgen sind, so ist das, was tatsächlich ganz gewiß aus Gottes Willen kommt, für uns gewissermaßen zufällig! Es ergibt sich kein anderes Bild, ob wir das alles hinsichtlich seiner eigenen Natur ansehen oder auch nach unserem Verstehen und Urteilen betrachten. Stellen wir uns zum Beispiel einen Kaufmann vor, der in Begleitung zuverlässiger Leute in einen Wald zieht, unvorsichtig von seinen Gefährten abkommt, auf seinem Irrwege in die Gewalt einer Räuberbande gerät und ermordet wird. Sein Tod war von Gottes Auge zuvor gesehen und auch durch seinen Ratschluß bestimmt. Denn es heißt nicht (nur), daß er eines jeden Menschen Lebenslänge vorher gesehen, sondern daß er Grenzen gesetzt und festgelegt habe, über die man nicht hinausgehen kann (Hiob 14, 5). Soweit aber unser Verstand reicht, scheint das alles zufällig. Was soll da der Christenmensch denken? Er wird gewiß das, was einen solchen Todesfall veranlaßte, seiner Natur nach, wie es das ja tatsächlich ist, als zufällig erkennen, aber er wird dennoch nicht zweifeln, daß Gottes Vorsehung dabei die Führung gehabt hat, um den Zufall zu ihrem Zweck zu leiten! Genau so sind auch die Zufälligkeiten der Zukunft anzusehen. Denn alles Zukünftige ist uns ungewiß, und darum lassen wir es unbestimmt, als ob es sich zu beiden Seiten neigen könnte. Aber trotzdem haben wir die feste Gewißheit im Herzen, daß nichts eintreten kann, das nicht der Herr schon vorgesehen hat!

In diesem Sinne braucht auch der Prediger mehrmals das Wort Ausgang (Ende?); denn die Menschen können auf den ersten Blick nicht auf die letzte Ursache dringen, weil diese fern und verborgen ist. Und doch ist das, was die Schrift über Gottes verborgene Vorsehung lehrt, niemals derart aus den Herzen der Menschen vertilgt worden, daß nicht mitten im Dunkel immer noch einige Fünklein geblieben wären. So schreiben die Wahrsager der Philister, obwohl sie im Zweifel hin und her schwanken, das Unglück teils Gott, teils dem Glück zu: Wenn die Lade auf dem einen Wege geht, so wissen wir, daß es Gott ist, der uns das Übel getan hat, geht sie auf dem anderen, so ist es uns von ungefähr widerfahren (1.Sam. 6, 9). Es ist gewiß töricht, daß sie, da ihnen die Weissagung fehlt, zum Zufall ihre Zuflucht nehmen; indessen merken wir doch, wie sie gezwungenermaßen nicht wagen, das ihnen widerfahrene Unglück für ganz zufällig zu halten. Übrigens können wir noch an einem ganz klaren Beispiel sehen, wie Gott mit dem Zügel seiner Vorsehung alle Ereignisse in der von ihm gewollten Weise lenkt: In dem nämlichen Zeitpunkt, wo David in der Wüste Maon überfallen wurde, brachen die Philister ins Land ein, und Saul mußte weichen! (1.Sam. 23, 26. 27). Da wollte Gott, um seinen Knecht zu erretten, dem Saul dieses Hindernis in den Weg legen - und so gewiß auch die Philister über alles Erwarten schnell zu den Waffen griffen, so können wir doch nicht sagen, das sei zufällig geschehen, sondern der Glaube wird anerkennen, daß das, was uns zufällig erscheint, tatsächlich Gottes geheimer Antrieb gewesen ist! Dieser Grundsatz tritt nicht immer so klar hervor; aber wir müssen doch festhalten, daß alle Veränderungen in der Welt als verborgene Wirkungen seiner Hand anzusehen sind. Was nun Gott beschlossen hat, das muß notwendig geschehen, auch wenn es an sich, aus seiner eigenen Natur heraus nicht notwendig ist. Ein bekanntes Beispiel haben wir an den Gebeinen Christi. Da er einen dem unseren gleichen Leib annahm, so wird kein vernünftiger Mensch bezweifeln, daß seine Gebeine zerbrechlich waren - und doch war es unmöglich, sie zu zerbrechen! (Joh. 19, 33. 36). Daraus können wir sehen, daß es nicht grundlos war, wenn man in der Schultheologie einen Unterschied zwischen bedingter (neccessitas secundum quid) und absoluter Notwendigkeit (neccessitas absoluta) gemacht oder dementsprechend zwischen solchen Geschehnissen, die sich bedingt notwendig (d. h. durch Mittelursachen mitbestimmt) ergeben (neccessitas consequentis), und solchen, die sich mit einer (auf Gottes Anordnung und Willen beruhenden) unbedingten Notwendigkeit (neccessitas consequentiae) ereignen, unterschieden hat. Denn Gott wollte nicht, daß die Gebeine seines Sohnes wirklich zerbrochen wurden, hat sie aber doch (vermöge der Menschwerdung) der Zerbrechlichkeit unterworfen; so hat er also etwas, das von Natur geschehen konnte, unter die Notwendigkeit seines Ratschlusses beschränkt!


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Autor: Johannes Calvin - zuletzt aktualisiert am 09.09.2016
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