Ökumenisches Heiligenlexikon

Johannes Calvin:
Institutio, Buch III, Kapitel 22

Bekräftigung dieser Lehre (von der ewigen Erwählung) aus Zeugnissen der Heiligen Schrift


Die Bestreitung der Erwählungslehre vom Verdienstgedanken her

Alles, was wir hier behauptet haben, findet nun bei vielen Widerspruch: vor allem die gnädige Erwählung der Gläubigen. Trotzdem kann sie nicht umgestoßen werden. Die gewöhnliche Meinung ist hier die: Gott trifft seine Unterscheidung unter den Menschen je nachdem, wie nach seiner Voraussicht die Verdienste des einzelnen sein werden; er nimmt also die, von denen er zuvor erkennt, daß sie seiner Gnade nicht unwürdig sein werden, als Kinder an; dagegen gibt er die, von denen er sieht, daß ihr Wesen zum Bösen und zur Unfrömmigkeit sich neigen wird, der Verdammnis des Todes preis. So zieht man also das Vorherwissen Gottes als Deckmantel vor und verdunkelt damit die Erwählung, ja, man tut so, als ob diese ihren Ursprung von anderswoher nähme! Aber diese im Volke allgemein angenommene Meinung ist nicht allein Sache des gewöhnlichen Menschen - sie hat nämlich in allen Jahrhunderten auch hochbedeutende Verfechter gehabt! Das gestehe ich freimütig zu, damit keiner darauf vertraut, es werde unserer Sache schwer schaden, wenn man ihre Namen dagegen aufführt! Denn hier ist Gottes Wahrheit zu gewiß, als daß sie durch menschliche Autorität erschüttert, als daß sie von ihr verdunkelt werden könnte!

Dann gibt es andere Leute, die weder in der Schrift erfahren sind, noch auch sonst eine Stimme verdienen, die mit so großer Unverschämtheit die gesunde Lehre zersetzen, daß man ihre Frechheit nicht ertragen kann. Weil Gott, indem er einige Menschen nach seinem Ermessen erwählt, bestimmte andere übergeht, darum wollen sie mit ihm hadern. Aber wenn doch die Sache selbst wohlbekannt ist - was wollen sie dann mit ihrem Rechtsstreit gegen Gott ausrichten? Wir lehren nichts, was nicht die Erfahrung selbst ergibt, nämlich daß es Gott stets freigestanden hat, seine Gnade zu gewähren, wem er will! Ich will nicht sagen, woher Abrahams Nachkommenschaft eine solche Vorzugsstellung vor anderen gehabt hat - sie kommt doch nur aus jenem Vorrang, für den sich außerhalb Gottes keine Ursache finden läßt! Sie sollen mir doch antworten, warum sie denn Menschen sind und nicht Ochsen oder Esel; - denn in Gottes Hand stand es auch, Hunde aus ihnen zu machen, und er hat sie doch zu seinem Ebenbild gestaltet! Wollen sie auch den unverständigen Tieren das Recht zuerkennen, über ihr Los mit Gott zu hadern, als ob ihre Unterschiedenheit vom Menschen unbillig wäre? Wahrlich, daß sie diesen Vorzug (Menschen zu sein), den sie durch keinerlei Verdienste erlangt haben, doch genießen - das ist um nichts billiger, als daß Gott seine Wohltaten nach dem Maß seines Urteils verschieden austeilt!

Wenn sie aber dann zu den einzelnen Personen überspringen, wo ihnen die Ungleichheit noch mehr Ärger bereitet, so werden sie doch wenigstens angesichts des Beispiels Christi stutzig werden, um von diesem erhabenen Geheimnis nicht gar so unbekümmert zu schwatzen! Er wird aus dem Samen Davids als sterblicher Mensch empfangen - mit was für Tugenden soll er es nun nach ihrer Meinung verdient haben, daß er bereits im Mutterleibe zum Haupt der Engel, zum eingeborenen Sohne Gottes, zum Ebenbild und zur Herrlichkeit des Vaters, zum Licht, zur Gerechtigkeit und zum Heil der Welt wurde? Weislich bemerkt Augustin, daß wir gerade an dem Haupt der Kirche einen leuchtenden Spiegel der gnädigen Erwählung vor uns haben, damit sie uns an seinen Gliedern nicht irre macht! (Von der Züchtigung und der Gnade an Valentinus, 11, 30; ebenso: Von der Gabe der Beharrung 24, 67). Er bemerkt auch weiter, daß Christus nicht durch ein gerechtes Leben zum Sohn Gottes gemacht worden, sondern aus Gnaden mit solcher Ehre beschenkt worden sei, um hernach andere zu Mitgenossen seiner Gaben zu machen (Predigt 174). Will nun hier jemand fragen, warum andere nicht sind, was er ist, oder warum wir alle von ihm durch einen so weiten Abstand getrennt sind, warum wir alle verderbt sind und er die Reinheit ist, so legt er damit nicht bloß seinen Wahnsinn, sondern zugleich auch seine Schamlosigkeit an den Tag. Wenn sie nun in dem Unterfangen fortfahren, Gott das freie Recht zu entreißen, daß er erwählen und verwerfen kann -, so sollen sie zugleich auch Christus wegnehmen, was ihm gegeben ist!

Nun ist es aber vonnöten, wohl darauf zu achten, was uns die Schrift über die einzelnen Punkte kundmacht.

Epheser 1, 4ff. und verwandte Stellen

Wenn Paulus lehrt, daß wir in Christus erwählt worden sind vor Grundlegung der Welt (Eph. 1, 4), so hebt er damit sicherlich jede Rücksicht auf unsere Würdigkeit auf. Es ist so, als ob er sagte: Der himmlische Vater fand ja in dem ganzen Samen Abrahams nichts, was seiner Erwählung würdig gewesen wäre, deshalb hat er seinen Blick auf seinen Christus gerichtet, um gewissermaßen aus seinem Leibe die Glieder zu erwählen, die er zur Mitgenossenschaft am Leben aufnehmen wollte. Bei den Gläubigen soll also dieser Grund gelten: wir sind deshalb in Christus zum himmlischen Erbe als Kinder angenommen, weil wir in uns selbst solche hervorragende Würde nicht zu fassen vermochten! Das bemerkt Paulus auch an anderer Stelle: da ermahnt er nämlich die Kolosser zur Danksagung, und zwar darum, weil sie von Gott aus tüchtig gemacht worden sind, an dem Erbteil der Heiligen teilzuhaben (Kol. 1, 12). Wenn nun dieser Gnade Gottes, daß wir nämlich tüchtig gemacht werden, die Herrlichkeit des zukünftigen Lebens zu erlangen, die Erwählung voraufgeht - was wird dann Gott selber wohl schon bei uns finden, das ihn bewegen könnte, uns zu erwählen? Noch deutlicher findet sich das, was ich im Auge habe, in einem anderen Wort des Apostels ausgedrückt: Er hat uns erwählt, ehe denn der Welt Grund gelegt war, nach dem Wohlgefallen seines Willens, daß wir sollten sein heilig und unbefleckt und unsträflich vor ihm! (Eph. 1, 4. 5). Hier stellt er Gottes Wohlgefallen jedweden Verdiensten von unserer Seite entgegen!

Damit der Beweis festeren Grund hat, ist es der Mühe wert, die einzelnen Stücke dieser Stelle (Eph. 1, 4. 5) zu betrachten, die dann, miteinander verbunden, keinerlei Zweifel mehr übriglassen. Wenn Paulus hier solche Menschen nennt, die erwählt sind (Vers 4), so redet er damit ohne jeden Zweifel die Gläubigen an, wie er das denn auch bald nachher bezeugt. Daher  verdrehen die Leute , welche diesen Ausdruck (Erwählte) gewaltsam auf die Zeit beziehen, in der das Evangelium (erstmalig) öffentlich kundgemacht wurde, den Begriff mit einer gar zu schmählichen Phantasterei! - Wenn er dann erklärt, sie seien erwählt worden, ehe denn der Welt Grund gelegt war, - so hebt er damit jede Rücksicht auf Würdigkeit auf. Denn wie sollte unter denen, die noch nicht da waren und die hernach in Adam alle gleich sein sollten, eine Unterscheidung stattfinden? Wenn sie nun in Christus erwählt sind, so ergibt sich, daß nicht nur jeder einzelne außerhalb seiner selbst erwählt ist, sondern auch die einen aus den anderen ausgesondert sind; denn wir sehen ja, daß nicht alle Menschen Christi Glieder sind! Er sagt dann weiter, sie seien erwählt, um heilig zu sein; damit widerlegt er offen den Irrtum, der die Erwählung aus Gottes Vorherwissen ableitet (nämlich aus Gottes Vorherwissen hinsichtlich der zukünftigen Verdienste!); denn Paulus behauptet ja hier im Gegenteil, daß alles, was in den Menschen an Tugend sichtbar wird, die Wirkung der Erwählung ist! Fragt man nun nach der übergeordneten Ursache, so antwortet Paulus, Gott habe es so vorbestimmt, und zwar nach dem Wohlgefallen seines Willens! Damit stößt er alles um, was die Menschen als Mittel ihrer Erwählung in sich zu haben vermeinen; denn er lehrt ja, daß alle Wohltaten, die uns Gott zum geistlichen Leben darreicht, aus dieser einen Quelle hervorströmen, daß er nämlich erwählt hat, welche er wollte, und für diese Erwählten, bevor sie geboren waren, bei sich selbst die Gnade aufgehoben hat, die er ihnen gewähren wollte.

Wo nun auch immer dieses Wohlgefallen Gottes regiert, da kommen keinerlei Werke in Betracht. Diesen Gegensatz verfolgt der Apostel hier zwar nicht; er ist aber herauszuhören, so wie er ihn anderswo selbst entfaltet. Da heißt es: Der uns hat … berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Vorsatz und der Gnade, die uns gegeben ist in Christo Jesu vor der Zeit der Welt (2.Tim. 1, 9). Wir haben ja auch bereits gezeigt, wie in den (auf die erstgenannte Stelle Eph. 1, 4) folgenden Worten: daß wir sollten sein heilig und unsträflich … aller Zweifel behoben wird. Wenn man nämlich sagt: er hat sie eben erwählt, weil er voraussah, daß sie einst heilig sein würden, so hat man die Reihenfolge bei Paulus umgekehrt! Demnach kann man mit Sicherheit die Schlußfolgerung ziehen: Wenn er uns erwählt hat, damit wir heilig würden, so hat er uns eben nicht erwählt, weil er voraussah, daß wir es sein würden! Denn diese beiden Aussagen: Die Frommen erlangen durch ihre Erwählung, daß sie heilig sein sollen, und: die Erwählung kommt ihnen auf Grund der Werke zu - stehen im Gegensatz zueinander. Hier vermag auch die Ausflucht nichts zu helfen, zu der man immer wieder seine Zuflucht nimmt: der Herr vergelte die Gnade der Erwählung nicht etwa voraufgehenden Verdiensten, gewähre sie aber doch zukünftigen. Denn wenn es heißt, die Gläubigen seien erwählt worden, damit sie heilig seien, so wird uns damit zugleich zu verstehen gegeben, daß alle Heiligkeit, die sich später bei ihnen finden wird, ihren Ursprung in der Erwählung hat! Und wie sollte sich da solch eine Aussage zusammenreimen, nach der das, was von der Erwählung abgeleitet wird, die Ursache der Erwählung abgegeben haben soll? Eben das, was Paulus ausgesprochen hat, scheint er nachher noch besser zu bekräftigen, wo er sagt: Nach dem Wohlgefallen seines Willens …, so er sich vorgesetzt hatte in ihm (Eph. 1, 5. 9). Denn wenn es heißt, Gott habe es sich in sich selber vorgenommen, so bedeutet das genau soviel, als wenn da stünde: er hat außer sich nichts in Betracht gezogen, das er bei seiner Entscheidung berücksichtigt hätte! Deshalb setzt er auch gleich hinzu, daß unsere Erwählung insgesamt darauf hinausgeht, daß wir zum Lob der göttlichen Gnade gereichten! (Eph. 1, 6). Wahrlich, Gottes Gnade würde es nicht verdienen, angesichts unserer Erwählung allein gepriesen zu werden, wenn diese nicht eben rein aus Gnaden geschähe! Sie geschieht aber nun nicht aus Gnaden, wenn Gott selbst bei der Erwählung der Seinen darauf achtet, wie nun in Zukunft die Werke jedes einzelnen aussehen werden! Deshalb findet es sich, daß für alle Gläubigen allgemein das Wort in Geltung steht, das Christus zu seinen Jüngern sprach: Nicht ihr habt mich erwählet, sondern ich habe euch erwählet … (Joh. 15, 16). Hier schließt er nicht nur vergangene Verdienste aus, sondern macht ihnen deutlich, daß in ihnen selbst keinerlei Grund zu ihrer Erwählung läge, wenn er ihnen nicht mit seinem Erbarmen zuvorgekommen wäre! In diesem Sinne müssen wir auch das Wort des Paulus verstehen: Wer hat ihm etwas zuvor gegeben, daß ihm werde wiedervergolten? (Röm. 11, 35). Denn er will zeigen, wie Gottes Güte den Menschen in solcher Weise zuvorkommt, daß er bei ihnen nichts, weder Vergangenes noch Zukünftiges findet, auf Grund dessen er mit ihnen versöhnt würde.

Römer 9 - 11 und ähnliche Stellen

Im Römerbrief überdenkt Paulus diesen Gegenstand noch tiefer und verfolgt ihn auch weitläufiger. Hier bestreitet er, daß alle, die von Israel abstammen, auch Israeliten seien (Röm. 9, 6); denn es waren zwar alle mit einem erblichen Recht gesegnet worden, aber die Erbfolge ging nicht gleichermaßen auf alle über. Diese Erörterung hatte ihren Ursprung in dem Hochmut und dem falschen Rühmen des jüdischen Volkes: die Juden schrieben sich selbst den Namen Kirche zu und meinten deshalb, der Glaube an das Evangelium hinge von ihrem Gutdünken ab. In gleicher Weise möchten sich heutzutage die Papisten gern unter diesem trügerischen Schein an Gottes Stelle setzen! Paulus gesteht nun durchaus zu, daß Abrahams Geschlecht auf Grund des mit ihm geschlossenen Bundes heilig sei; aber er behauptet doch, daß sehr viele aus ihm tatsächlich Draußenstehende sind, und zwar nicht allein, weil sie entartet und so aus rechtmäßigen Kindern zu Bastarden geworden sind, sondern weil Gottes besondere Erwählung hier an allerhöchster Stelle steht und regiert; - und sie allein macht ja erst die Aufnahme in die Kindschaft wirksam, die er übt. Wenn die einen allein durch ihre Frömmigkeit in der Hoffnung auf das Heil gestärkt, die anderen allein durch ihren Abfall von ihm ausgeschlossen würden, so wäre es wahrhaftig töricht und widersinnig, daß Paulus seine Leser bis zur verborgenen Erwählung emporführt! Wenn nun aber Gottes Wille, für den außerhalb seiner selbst keine Ursache sichtbar wird oder zu suchen ist, die einen von den anderen unterscheidet, so daß nicht alle Kinder Israels wahre Israeliten sind, - dann ist es umsonst, sich vorzumachen, der Ursprung der Stellung jedes einzelnen läge in ihm selber.

Dann verfolgt Paulus die Sache noch weiter, und zwar mit Hilfe des Beispiels von Jakob und Esau. Denn sie waren doch alle beide Söhne Abrahams, wohnten miteinander in dem gleichen Mutterleibe; wenn nun die Ehre der Erstgeburt auf Jakob übertragen wird, so ist das eine ungeheuerliche Vertauschung; - und doch behauptet Paulus, daß dadurch die Erwählung des einen und die Verwerfung des anderen bezeugt wurde! Es fragt sich nun, aus was für einem Ursprung und was für einem Grund heraus das geschieht. Die Männer, die hier Gottes Vorherwissen lehren, meinen, die Ursache läge in den Tugenden und Lastern der Menschen. Sie kommen nämlich leichtlich zu der kurzen Antwort: Gott habe eben in der Person des Jakob gezeigt, daß er die erwähle, die seiner Gnade würdig seien, und in der Person des Esau, daß er die verwerfe, von denen er vorhersehe, daß sie solcher Gnade unwürdig sei würden. So behaupten sie es nun kühnlich! Was sagt aber Paulus? Ehe denn die Kinder geboren wurden und weder Gutes noch Böses getan hatten - auf daß der Vorsatz Gottes bestünde nach der Wahl, nicht aus Verdienst der Werke, sondern aus Gnade des Berufers - ward zu ihr gesagt: Der ältere soll dienstbar werden dem Jüngeren. Wie denn geschrieben steht: Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehaßt (Römer 9, 11-13). Wenn das Vorherwissen Gottes bei dieser Unterscheidung der beiden Brüder eine Bedeutung hätte, so wäre es wahrlich unangemessen, hier die Zeit (der Erwählung) zu erwähnen! Geben wir zu, Jakob sei erwählt worden, weil ihm aus seinen künftigen Tugenden eine Würdigkeit erwachsen sei; - wozu soll dann aber Paulus gesagt haben, er sei damals noch gar nicht geboren gewesen? Unbedacht wäre dann auch die anschließende Bemerkung, er habe dazumal noch nichts Gutes getan. Denn man könnte doch da sogleich einwenden, es sei Gott nichts verborgen, und so sei Jakobs Frömmigkeit vor ihm gegenwärtig gewesen! Wenn die Werke wirklich einem Menschen Gnade verschaffen, so mußten sie verdientermaßen ihren Wert auch schon damals haben, als Jakob nicht geboren war, genau, als wenn er damals schon herangewachsen gewesen wäre! Aber Paulus fährt fort, diesen Knoten aufzulösen, und er lehrt, die Annahme des Jakob in die Kindschaft sei nicht aus den Werken hervorgegangen, sondern aus Gottes Berufung. Bei den Werken erwähnt er weder die zukünftige noch die vergangene Zeit, ferner stellt er sie auch in scharfen Gegensatz zu Gottes Berufung; er will also ohne Zweifel durch die Behauptung des einen das andere ausdrücklich umstoßen. Es ist, als ob er sagte: wir müssen darauf achten, was Gott wohlgefiel, nicht aber darauf, was die Menschen aus sich selbst heraus beigebracht haben! Und schließlich ist es sicher, daß durch die Worte Erwählung und Vorsatz alle Ursachen, die die Menschen sich außerhalb des verborgenen Ratschlusses Gottes auszudenken pflegen, aus dieser Sache ausgeschlossen werden.

Was wollen nun die Leute, die unseren vergangenen oder auch zukünftigen Werken bei der Erwählung eine Bedeutung zuerkennen, für einen Vorwand brauchen, um dies zu verdunkeln? Denn das hieße ja, ganz und gar zu verspotten, was der Apostel behauptet, nämlich daß die Unterscheidung zwischen den beiden Brüdern nicht von irgendwelcher Rücksicht auf die Werke, sondern von Gottes reiner Berufung abhing, weil sie ja bereits beschlossen wurde, als sie noch gar nicht geboren waren. Auch wäre die Spitzfindigkeit dieser Leute dem Paulus nicht unbekannt gewesen, wenn sie einen festen Grund gehabt hätte; aber er wußte ja nur zu genau, daß Gott im Menschen gar nichts Gutes vorhersehen kann, außer dem, was er schon zuvor beschlossen hat, ihnen auf Grund ihrer Erwählung als Wohltat zu verleihen, und darum nimmt er seine Zuflucht nicht zu der verkehrten Ordnung, daß er etwa die guten Werke ihrer eigenen Ursache voranstellte. Wir entnehmen den Worten des Apostels, daß das Heil der Gläubigen allein auf das Gutdünken der göttlichen Erwählung gegründet ist und daß diese Gunst Gottes nicht durch Werke erworben wird, sondern aus seiner gnädigen Berufung hervorgeht. Wir bekommen auch für diesen Tatbestand gewissermaßen ein Beispiel vor Augen gestellt. Jakob und Esau sind Brüder, von den gleichen Eltern abstammend, noch von dem gleichen Mutterleibe umschlossen, noch nicht ins Licht der Welt getreten! Alles an ihnen ist gleich - und doch ist Gottes Urteil über sie verschieden! Den einen nimmt er an, den anderen verwirft er! Einzig und allein durch das Recht der Erstgeburt hatte der eine einen Vorrang vor dem anderen. Aber auch diese wird beiseite gelassen, und es wird dem Jüngeren übertragen, was dem älteren versagt wird! Ja, auch bei anderen sieht man, wie Gott mit voller Absicht stets die Erstgeburt verachtet hat, um dem Fleisch allen Anlaß zum Rühmen abzuschneiden! Er verwarf den Ismael und wandte sein Herz dem Isaak zu! Er setzte Manasse zurück und ehrte den Ephraim mehr als ihn!

Es könnte nun aber jemand Einspruch erheben und meinen, aus diesen unter-geordneten und geringfügigen Wohltaten könne man doch nicht auf das ganze zukünftige Leben schließen; man könne doch nicht sagen, daß der, welcher zur Ehre der Erstgeburt erhoben worden ist, nun auch dafür gelten könnte, daß er dazu aufgenommen sei, den Himmel zu ererben! Es gibt ja sehr viele, die nicht einmal den Paulus ungeschoren lassen und ihm vorwerfen, er hätte mit der Anführung dieser Zeugnisse der Schrift gewaltsam einen ihr fremden Sinn gegeben! Darauf antworte ich wie bisher auch: der Apostel ist weder in Unbedachtsamkeit verfallen noch hat er die Zeugnisse der Schrift mit Absicht mißbraucht. Nein, er sah, was unsere Gegner nicht beachten wollen, daß Gott die geistliche Erwählung des Jakob, die sonst vor seinem unzugänglichen Richtstuhl verborgen bleiben mußte, an einem irdischen Merkzeichen hat deutlich machen wollen! Denn wenn wir die Erstgeburt, die dem Jakob gewährt wurde, nicht auf die künftige Zeit beziehen, so muß sie ja bloß eine leere, lächerliche Art von Segen sein, aus der ihm nichts erwachsen ist als vielerlei Mühsal und Ungemach, als elende Verbannung und die vielen Bitterkeiten der Trauer und der Sorge! Paulus hat also ohne jeden Zweifel gesehen, daß Gott mit dieser äußerlichen Segnung jenen geistlichen und schlechterdings unvergänglichen Segen bezeugt hat, den er seinem Knecht in seinem Reiche bereitet hatte; und darum zögerte er auch nicht, den Beweis für den geistlichen Segen aus der äußerlichen Segnung zu entnehmen! Wir müssen auch im Gedächtnis behalten, daß an das Land Kanaan ein Unterpfand der himmlischen Wohnstatt geheftet war; wir dürfen also in keiner Weise bezweifeln, daß Jakob mit den Engeln in Christi Leib eingefügt war, um Mitgenosse des gleichen Lebens zu sein!

So wird also Jakob erwählt. Esau wird verworfen. Durch Gottes Vorbestimmung wird er von ihm unterschieden, obwohl er durch keinerlei Verdienste von ihm verschieden war! Fragt man nach der Ursache, so gibt der Apostel folgende an: Denn er spricht zu Mose: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und welches ich mich erbarme, des erbarme ich mich! (Röm. 9, 15; Ex. 33, 19). Und nun frage ich: was will er damit sagen? Doch dies, daß der Herr mit voller Klarheit verkündet, er habe in den Menschen selbst keinerlei Ursache, ihnen wohlzutun, sondern nehme sie allein aus seinem Erbarmen, es sei also das Heil der Seinen sein Werk! Wenn nun Gott dein Heil einzig auf sich gründet, - weshalb wendest du dich denn dir selber zu? Wenn er dir allein seine Barmherzigkeit zuspricht, - weshalb nimmst du denn deine Zuflucht zu deinen eigenen Verdiensten? Wenn er deine Gedanken stracks auf sein Erbarmen gerichtet hält, - weshalb kehrst du dich denn zum Teil auch noch dazu, deine eigenen Werke anzuschauen?

Wir müssen also auf das kleinere Volk kommen, von dem Paulus anderwärts sagt, es sei Gott zuvor bekannt gewesen. (Röm. 11, 2-5). Das ist freilich nicht so zu verstehen, wie sich das jene Leute einbilden, als ob er nämlich in müßigem Zuwarten etwas vorherwisse, was er doch nicht selbst tut, sondern in dem Sinne, wie wir es oft zu lesen bekommen. Wenn nämlich Petrus bei Lukas erklärt, Christus sei aus vorbedachtem Rat und Vorsehung Gottes dem Tode überliefert worden, so stellt er uns Gott sicherlich nicht etwa als Zuschauer vor, sondern als den Urheber unseres Heils! Wenn nun ebenso derselbe Petrus von den Gläubigen, an die er schreibt, sagt, sie seien nach der Vorerkenntnis Gottes erwählt (1.Petr. 1, 2), so bringt er doch damit im eigentlichen Sinne jene verborgene Vorbestimmung zum Ausdruck, kraft deren Gott als Kinder bezeichnet hat, welche er wollte! Auch das Wort Vorsatz, das er als gleichbedeutenden Ausdruck anfügt, bezeichnet ja allgemein eine feste Entschließung, wie man das gewöhnlich ausdrückt: und es lehrt ohne Zweifel, daß Gott, indem er der Urheber unseres Heils ist, nicht aus sich selbst herausgeht. In diesem Sinne sagt Petrus auch in dem gleichen Kapitel, Christus sei das Lamm gewesen, das zuvor ersehen ist, ehe der Welt Grund gelegt ward (1.Petr. 1, 19. 20). Was wäre denn doch ungereimter und frostiger, als daß Gott von seiner Höhe her zuschauen sollte, woher dem Menschen-geschlecht das Heil käme! Das Volk, das Gott zuvor ersehen hat (Röm. 11, 2), bedeutet also bei Paulus das gleiche wie der kleine Teil, der unter die große Schar gemischt ist, die Gottes Namen fälschlich für sich in Anspruch nimmt! So will Paulus auch an anderer Stelle den hohen Anspruch solcher Menschen dämpfen, die bloß von einer Larve umhüllt sind und sich vor der Welt den ersten Platz unter den Frommen anmaßen; dazu erklärt er: Der Herr kennt die Seinen … (2.Tim. 2, 19). Kurz, Paulus bezeichnet uns mit jenem Ausdruck ein zwiefaches Volk: das eine besteht aus dem ganzen Geschlecht Abrahams, das andere aber ist davon abgesondert, es ist unter Gottes Augen verborgen und deshalb dem Anblick der Menschen entzogen! Ohne Zweifel hat er das auch Mose entnommen, der ja behauptet, Gott werde barmherzig sein, welchen er will (Ex. 33, 19). Allerdings ist an dieser Stelle von dem auserwählten Volk die Rede, dessen Stellung dem Augenschein nach die gleiche war. Es ist, als ob er sagte: in die allgemeine Annahme zur Kindschaft ist bei Gott die besondere Gnade gegen bestimmte Menschen wie ein noch heiligerer Schatz eingeschlossen, und der allgemeine Bund hindert nicht, daß diese kleine Zahl aus der Schar der anderen ausgesondert wird. Indem sich nun aber Gott als freier Verwalter und Lenker darüber erweisen will, erklärt er ausdrücklich, er werde nur aus dem einen Grunde dem einen mehr barmherzig sein als dem anderen, daß es ihm eben so wohlgefalle! Denn wo die Barmherzigkeit dem widerfährt, der sie sucht, da mag ein solcher Mensch zwar nicht abgewiesen werden, aber er kommt jener Gunst Gottes doch zuvor oder erwirbt sie sich gar zum Teil, - während sich Gott doch tatsächlich den Lobpreis für diese Gunst selber vorbehält!

Christi Zeugnis über die Erwählung

Nun soll der oberste Richter und Lehrmeister über die ganze Sache sein Urteil sprechen! Er gewahrte bei seinen Hörern eine solche Verhärtung, daß er bei der großen Masse seine Worte fast ohne Frucht ausstreute; um nun diesem Ärgernis abzuhelfen, rief er aus: Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir … Das aber ist der Wille des Vaters, daß ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat (Joh. 6, 37. 39). Bemerke wohl: es hat bei des Vaters Geschenk seinen Ursprung, daß wir in Christi Treue und Schutz übergeben werden! Vielleicht wird aber jemand den Kreis umdrehen und einwenden, es würden nur die zu Gottes Eigentum gezählt, die sich ihm aus dem Glauben heraus freiwillig ergeben. Aber Christus legt doch nur auf folgendes Nachdruck: Mag auch der Abfall gewaltiger Scharen die ganze Welt erschüttern, so bleibt doch Gottes Ratschluß fest und stärker als selbst der Himmel bestehen, so daß die Erwählung nie und nimmer ins Wanken gerät! Von den Erwählten heißt es, daß sie dem Vater schon eher gehörten, als er sie seinem eingeborenen Sohne gab. Man fragt, ob sie das von Natur hätten. Nein, gewiß nicht, er zieht die heran, die Fremde waren, und macht sie dadurch zu den Seinen! Christi Worten wohnt eine Klarheit inne, die zu groß ist, als daß man sie durch irgendeine Ausflucht im Nebel versinken lassen könnte! Er spricht: Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater … Wer es nun hört vom Vater und lernt es, der kommt zu mir (Joh. 6, 44. 45). Wenn wirklich alle ihre Knie vor Christus beugten, dann wäre die Erwählung allgemein; nun aber wird an der geringen Zahl der Glaubenden eine unverkennbare Ungleichartigkeit sichtbar. Deshalb erklärt Christus, daß die Jünger, die ihm gegeben waren, das Eigentum Gottes, des Vaters waren, und fügt dann bald darauf hinzu: Ich bitte … nicht für die Welt, sondern für die, die du mir gegeben hast; denn sie sind dein! (Joh. 17, 6. 9). So kommt es, daß die ganze Welt ihrem Schöpfer nicht angehört, außer insofern, als die Gnade einige wenige aus der Verdammnis, aus Gottes Zorn und dem ewigen Tode herausreißt, die sonst verlorengehen würden, die Welt aber in ihrem Verderben, das für sie bestimmt ist, beläßt. So sehr übrigens Christus sich hier als Mittel einfügt, so eignet er sich das Recht der Erwählung doch selbst gemeinsam mit dem Vater zu. Er sagt: Nicht sage ich von euch allen; ich weiß, welche ich erwählt habe (Joh. 13, 18). Wenn jemand fragt, aus was er sie denn erwählt habe, so antwortet er an anderer Stelle: Aus der Welt (Joh. 15, 19), aus der Welt also, die er, als er seine Jünger dem Vater ans Herz legt, von seinem Gebet ausschließt! (Joh. 17, 9). Dabei ist aber festzuhalten: Wenn er sagt: Ich weiß, welche ich erwählt habe, so wird damit eine bestimmte Gruppe im menschlichen Geschlecht bezeichnet. Ferner müssen wir beachten, daß diese Menschen nicht nach der Art ihrer Tugenden abgesondert werden, sondern auf Grund des himmlischen Beschlusses. Daraus folgt, daß keiner von ihnen durch eigene Bemühung oder eigenen Fleiß solchen Vorrang besitzt; denn Christus macht sich ja selbst zum Urheber der Erwählung! Denn wenn er an anderer Stelle auch den Judas zu den Erwählten zählt, der doch ein Teufel war (Joh. 6, 70), so bezieht sich das nur auf das apostolische Amt; denn dies ist zwar ein herrlicher Spiegel der Huld Gottes, wie es ja Paulus an seiner Person oft bemerkt, aber es trägt doch nicht die Hoffnung auf das ewige Heil in sich! So konnte es der Fall sein, daß Judas weil er sein Apostelamt treulos führte, schlimmer war als der Teufel; von denen aber, die Christus einmal in seinen Leib eingefügt hat, läßt er keinen umkommen! (Joh. 10, 28). Denn er wird ihr Heil bewahren und damit seine Verheißung erfüllen, nämlich Gottes Macht an den Tag legen, die größer ist als alles! (Joh. 10, 29). Wenn er nämlich anderwärts sagt: Vater, die du mir gegeben hast, die habe ich bewahrt und ist keiner von ihnen verloren, als das verlorene Kind … (Joh. 17, 12), so ist das zwar eine uneigentliche Redeweise, aber sie hat doch mit keinerlei Zweideutigkeit zu kämpfen. Insgesamt ist zu sagen: Gott schafft sich in gnädiger Aufnahme in die Kindschaft die zu seinen Kindern, die er als solche haben will; die Ursache dazu aber trägt er in sich selbst; denn er hält sich allein an sein verborgenes Wohlgefallen!

Die Kirchenväter, insbesondere Augustin, über das Vorherwissen Gottes

Aber Ambrosius, Origenes und Hieronymus sind doch der Ansicht gewesen, Gott teile seine Gnade unter den Menschen je nachdem aus, wie sie nach seiner Voraussicht jeder einzelne anwenden werde! Ja, noch mehr: selbst Augustin hat diese Meinung einige Zeit geteilt; - aber als er in der Schrift bessere Fortschritte gemacht hatte, da hat er sie nicht allein als offenbar falsch widerrufen, sondern scharf widerlegt! (Rektraktationen I, 23). Ja, auch nach seinem Widerruf nimmt er sich die Pelagianer vor, weil sie in diesem Irrtum verharren, und sagt: Wer wollte sich nicht verwundern, daß dem Apostel ein dermaßen spitzfindiger Sinn gefehlt haben soll! Denn er bringt doch da zunächst diese merkwürdige Geschichte von den noch ungeborenen Brüdern vor und stellt sich dann selbst die Frage: 'Was wollen wir denn hier sagen? Ist denn Gott ungerecht?' (Röm. 9, 14). Das wäre doch die Stelle gewesen, an der er hätte antworten können, Gott habe eben beider Verdienste vorausgesehen! Das sagt er aber nicht, sondern er nimmt seine Zuflucht zu Gottes Gerichten und zu Gottes Barmherzigkeit! (Brief 194). Und an anderer Stelle sagt er, nachdem er alle der Erwählung voraufgehenden Verdienste aufgehoben hat: Hier unterbleibt nun sicherlich die eitle Schlußfolgerung derer, die Gottes Vorherwissen gegen Gottes Gnade verteidigen, und die da meinen, wir seien deshalb vor Grundlegung der Welt erwählt worden, weil Gott im voraus gewußt hätte, daß wir gut sein würden, nicht aber, daß er uns selbst gut machen würde. So redet aber der nicht, der da spricht: 'Ihr habt mich nicht erwählt, sondern ich habe euch erwählet!' (Joh. 15, 16). Denn wenn er uns deshalb erwählt hätte, weil er vorausgesehen hätte, daß wir gut sein würden - dann hätte er auch vorhergewußt, daß wir ihn erwählen würden! Dazu kommen dann an dieser Stelle noch weitere Äußerungen zur gleichen Sache. (Johannespredigten 86, 2). So mag nun das Zeugnis Augustins bei denen gelten, die sich gerne auf die Autorität der Kirchenväter verlassen.

Allerdings will es Augustin auch nicht dulden, daß man ihn von den anderen Kirchenvätern trennt; nein, er weist mit klaren Zeugnissen nach, daß diese Mißhelligkeit (zwischen ihm und den anderen), die ihm die Pelagianer in übler Nachrede vorwarfen und mit der sie ihn verhaßt zu machen suchten, fälschlich erdacht sei. Er führt nämlich aus Ambrosius das Wort an: Christus ruft den, dessen er sich erbarmt (Auslegung des Lukasevangeliums I, 10). Oder auch: Wenn er es gewollt hätte, dann hätte er aus Widerspenstigen solche gemacht, die ihm ergeben sind; aber Gott ruft die, die er dessen würdigt, und er macht fromm, wen er will! (Ebenda VII, 27). Wenn ich aus Augustin einen ganzen Band zusammensetzen wollte, so würde ich den Lesern gleich zeigen, daß ich nichts nötig habe, als seine Worte; aber ich will sie nicht mit Weitläufigkeit beschweren!

Aber wohlan, setzen wir den Fall, daß die Kirchenväter hiervon nicht redeten, - und wenden wir uns der Sache selbst zu! Es war doch eine schwere Frage gestellt worden: ob nämlich Gott gerecht daran täte, wenn er bestimmte Menschen seiner Gnade würdigte (und andere nicht). Paulus hätte sich mit einem einzigen Wort losmachen können, wenn er nämlich eine Rücksicht auf die Werke vorgewendet hätte! Weshalb tut er das denn nicht? Weshalb setzt er lieber eine Erörterung fort, die sich doch stets in der gleichen Schwierigkeit bewegt? Aus was für einer anderen Ursache, als weil er es nicht darf? Denn der Heilige Geist, der durch seinen Mund redet, hat nicht mit dem Gebrechen der Vergeßlichkeit zu kämpfen! Paulus antwortet also ohne alle Umschweife, Gott wende seinen Erwählten seine Huld zu, weil er es so wolle, er erbarme sich eben, weil er es so wolle! Denn das Gotteswort: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und welches ich mich erbarme, des erbarme ich mich (Ex. 33, 19), heißt doch mit anderen Worten: Gott läßt sich durch keine andere Ursache zum Erbarmen bewegen, als dadurch, daß er sich eben erbarmen will! Daher bleibt das Wort des Augustin wahr: die Gnade Gottes findet nicht solche, die sie erwählen könnte, sondern schafft sie! (Brief 186).

Ist nicht die Erwählung insofern an Gottes Vorherwissen der Verdienste des Menschen geknüpft, als die geschenkte Gnade eben solche Verdienste möglich macht?

Wir lassen uns aber durch die Spitzfindigkeit des Thomas nicht aufhalten, wonach das Vorherwissen der Verdienste zwar nicht von seiten dessen eine Ursache der Vorbestimmung sein soll, der sie übt (also Gottes), dagegen auf unserer Seite gewissermaßen so genannt werden könnte, nämlich gemäß einer besonderen Einschätzung der Vorbestimmung! So heißt es etwa, Gott bestimme für den Menschen die Herrlichkeit auf Grund der Verdienste zuvor, weil er beschlossen habe, ihm die Gnade zu gewähren, durch die er sich solche Herrlichkeit verdienen könne! (Zu den Sentenzen, I, 41, 1, 3). - (Wir lehnen das ab.) Denn der Herr will, daß wir bei der Erwählung einzig und allein seine Güte anschauen; wenn also hier jemand noch etwas mehr schauen will, so ist das ein verkehrtes Trachten! Wenn es aber gilt, hier mit Klügelei zu fechten, so fehlt es auch dann nicht daran, daß wir solche Spitzfindigkeit des Thomas niederschlagen. Er behauptet, den Erwählten werde die Herrlichkeit gewissermaßen auf Grund ihrer Verdienste vorbestimmt, weil Gott ihnen nämlich die Gnade vorbestimme, kraft deren sie die Herrlichkeit verdienen könnten. Wenn ich nun aber dagegen geltend mache, die Vorbestimmung zur Gnade stehe im Dienst der Erwählung zum Leben, sie folge ihr also auf dem Fuße nach? Wenn ich nun sage, die Gnade werde denen vorbestimmt, denen der Besitz der Herrlichkeit schon lange zugewiesen ist, weil es eben dem Herrn gefällt, seine Kinder auf Grund der Erwählung zur Rechtfertigung zu führen? Denn daraus ergibt sich doch, daß die Vorbestimmung zur Herrlichkeit vielmehr die Ursache der Vorbestimmung zur Gnade ist - und nicht umgekehrt! Aber lassen wir solche Streitereien fahren, wie sie auch unter solchen überflüssig sind, die dafür halten, daß sie im Worte Gottes Weisheit genug haben. Denn es ist richtig, was einst ein kirchlicher Schriftsteller ausgesprochen hat: Wer Gottes Erwählung den Verdiensten zuschreibt, der ist klüger , als man sein soll!

Die Allgemeinheit der Einladung Gottes und die Besonderheit der Erwählung

Nun machen einige den Einwand, Gott gerate ja mit sich selbst in Widerspruch, wenn er alle zu sich einlüde und doch nur wenige Auserwählte annähme. Nach ihrer Meinung hebt also die Allgemeinheit der Verheißungen die Besonderheit der dem einzelnen zukommenden Gnade auf. Und so reden gewisse maßvolle Leute, nicht etwa, um die Wahrheit zu unterdrücken, sondern um spitzfindige Fragen abzuwehren und den Vorwitz vieler im Zaum zu halten. Das ist gewiß eine löbliche Absicht; aber der Rat, den man gibt, ist keineswegs zu billigen; denn Ausflucht ist nie entschuldbar! Andere fallen uns unverschämter an, aber ihr Geschwätz ist doch allzu faul, und ihr Irrtum ist allzu beschämend!
Wie die Schrift dies beides in Übereinstimmung bringt, daß in der äußeren Predigt alle zu Buße und Glauben gerufen werden, und daß doch nicht allen der Geist der Umkehr und des Glaubens geschenkt wird, das habe ich an anderer Stelle entfaltet, und einiges davon muß bald abermals erörtert werden. Was diese Leute nun aber fordern, das gestehe ich ihnen nicht zu, weil es nämlich in doppelter Hinsicht verkehrt ist. Denn der, der da droht, auf die eine Stadt regnen zu lassen und über die andere Dürre zu verhängen (Am. 4, 7), der an anderer Stelle einen Hunger nach Unterweisung ankündigt (Am. 8, 11) - der bindet sich nicht an ein bestimmtes Gesetz, alle gleichermaßen zu berufen! Und der, der dem Paulus untersagt, in Asien zu predigen (Apg. 16, 6), der ihn von Bithynien weglenkt und nach Makedonien herüberzieht (Apg. 16, 7ff.), der zeigt, daß es sein Recht ist, diesen Schatz auszuteilen, an wen es ihm gut scheint! Durch Jesaja aber zeigt er noch deutlicher, wie er die Heilsverheißungen besonders für die Erwählten bestimmt; denn er sagt nur von ihnen, sie sollten seine Jünger sein (Jes. 8, 16), nicht aber unterschiedslos von der ganzen Welt! Daraus ergibt sich: es ist falsch, wenn man meint, die Lehre des Heils sei vor alle Menschen ohne Unterschied öffentlich hingestellt, so daß sie da wirksamen Nutzen stifte; denn es heißt ja, daß sie allein für die Kinder der Kirche insonderheit aufbehalten ist. Im Augenblick mag die Feststellung genügen: obwohl die Stimme des Evangeliums allgemein alle Menschen anredet, so ist doch das Geschenk des Glaubens eine seltene Sache. Die Ursache gibt Jesaja an: es ist eben nicht allen der Arm des Herrn offenbar! (Jes. 53, 1), Hätte er gesagt, das Evangelium würde in Bosheit und Verkehrtheit verachtet, weil viele sich ja hartnäckig weigern, es zu hören, so würde jene Scheinwahrheit von der allgemeinen Berufung vielleicht Geltung haben. Aber ist es nicht die Absicht des Propheten, die Schuld des Menschen zu verkleinern, wenn er lehrt, die Quelle seiner Blindheit liege darin, daß Gott sich nicht herbeilasse, ihm seinen Arm zu offenbaren; nein, er macht nur darauf aufmerksam, daß der Glaube ein besonderes Geschenk ist und daß deshalb die Ohren durch äußere Unterweisung vergebens berührt werden.

Ich möchte aber von jenen Lehrern gern wissen, ob denn allein die Predigt Kinder Gottes macht - oder der Glaube. Bei Johannes heißt es doch im ersten Kapitel, alle, die an den eingeborenen Sohn Gottes glaubten, die würden auch zu Kindern Gottes! (Joh. 1, 12). Damit wird uns aber sicherlich nicht ein wirrer Haufe vor Augen gestellt, sondern den Gläubigen ein besonderer Stand gegeben, die nicht von dem Geblüt noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind! (Joh. 1, 13). Aber - sagt man - es besteht doch ein wechselseitiges Zusammenklingen von Glaube und Wort! Freilich: wo Glaube ist! Aber es ist doch nichts Neues, daß auch Same unter die Dornen oder auf steiniges Land fällt (Matth. 13, 5. 7), nicht nur, weil der größere Teil tatsächlich in offenbarer Halsstarrigkeit gegen Gott lebt, sondern weil auch nicht alle mit Augen und Ohren begabt sind! Wie reimt es sich nun zusammen, daß Gott Menschen zu sich ruft, von denen er weiß, daß sie nicht kommen werden? Augustin möge an meiner Statt die Antwort geben: Du willst mit mir streiten? Verwundere dich lieber mit mir und rufe aus: 'O, welche Tiefe!' Wir wollen beide in der Furcht einhellig sein, damit wir nicht im Irrtum verlorengehen! (Predigt 26). Außerdem ist ja auch nach dem Zeugnis des Paulus die Erwählung die Mutter des Glaubens, und deshalb drehe ich die Beweisführung meiner Gegner um, so daß sie auf ihr eigenes Haupt zurückfällt; der Glaube ist eben deshalb nicht allgemein, weil die Erwählung etwas Besonderes ist! Wenn Paulus sagt, wir seien erfüllt mit allerlei geistlichem Segen, wie Gott uns denn erwählt hat …, ehe der Welt Grund gelegt war, so ergibt sich aus der Aufeinanderfolge von Ursachen und Wirkungen, daß diese Reichtümer deshalb nicht allen gemeinsam sind, weil eben Gott nur erwählt hat, welche er wollte! Das ist auch der Grund, weshalb er an anderer Stelle den Glauben der Auserwählten rühmt (Tit. 1, 1): es soll niemand meinen, er erwürbe sich den Glauben aus eigenem Antrieb, sondern es soll Gott die Ehre verbleiben, daß die, welche er zuvor erwählt hat, auch von ihm aus Gnaden erleuchtet werden! Es ist nämlich richtig, wenn Bernhard sagt: Seine Freunde hören ihn besonders. Zu ihnen spricht er ja auch: 'Fürchte dich nicht, du kleine Herde …; denn euch ist's gegeben, daß ihr das Geheimnis des Himmelreichs versteht!' (Luk. 12, 32; Matth. 13, 11). Wer sind aber diese? Doch die, 'welche er zuvor ersehen … und verordnet hat, daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes!' (Röm. 8, 29). Das ist ein großer und verborgener Ratschluß, der hier bekannt geworden ist: 'Es kennt der Herr die Seinen' (2.Tim. 2, 19). Aber was Gott bekannt war, das ist den Menschen offenbar gemacht, und er würdigt wahrhaftig keinen anderen des Teilhabens an solchem Geheimnis, als die, welche er zuvor ersehen und dazu vorbestimmt hat, daß sie sein Eigentum sein sollten! (Brief 107). Kurz darauf kommt er zu dem Schluß: Gottes Erbarmen 'währet von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten' (Ps. 103, 17); - 'von Ewigkeit' um der Vorbestimmung willen, 'zu Ewigkeit' um der Seligmachung willen; die eine kennt keinen Anfang, die andere kein Ende! (Ebenda). Aber wozu ist es nötig, den Bernhard als Zeugen anzuführen, wo wir doch aus des Meisters eigenem Munde vernehmen, daß nur die sehen, die aus Gott sind! (Joh. 6, 46). Mit diesen Worten zeigt er uns, daß alle, die nicht aus Gott wiedergeboren sind, vor dem Glanz seines Anblicks erstarren!

Nun wird zwar der Glaube sehr wohl mit der Erwählung verbunden, nur soll er den zweiten Platz innehaben! Diese Stufenfolge bringen Christi Worte an anderer Stelle deutlich zum Ausdruck: Das ist der Wille des Vaters …, daß ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat. Denn das ist sein Wille, daß, wer an den Sohn glaubt, habe das ewige Leben! (Joh. 6, 39. 40). Wenn er sie alle selig machen wollte, so würde er ihnen den Sohn zum Hüter setzen und alle durch das heilige Band des Glaubens in seinen Leib einfügen. Nun steht es aber fest, daß der Glaube ein besonderes Unterpfand seiner Vaterliebe ist, das für die Kinder verborgen gehalten wird, die er sich angenommen hat! Darum sagt Christus an anderer Stelle: Die Schafe folgen dem Hirten nach, denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber folgen sie nicht nach …; denn sie kennen der Fremden Stimme nicht (Joh. 10, 4. 5). Woher kommt dieses Unterscheiden? Doch nur daher, daß ihnen von Gott her die Ohren geöffnet sind! Denn keiner macht sich selbst zu einem Schaf, sondern er wird durch die himmlische Gnade dazu gestaltet! Daher lehrt der Herr auch, daß unser Heil allezeit gewiß und sicher sein wird, weil es nämlich von Gottes unüberwindlicher Macht gehütet wird (Joh. 10, 29). Und von da her kommt er zu dem Schluß, daß die Ungläubigen nicht zu seinen Schafen gehören (Joh. 10, 26). Denn sie gehören ja nicht zu der Zahl derer, von denen Gott durch Jesaja verheißen hat, sie sollten seine Jünger sein (Jes. 8, 16; auch Jes. 54, 13).
Weil nun weiter durch die von mir angeführten Zeugnisse auch die Beharrung zum Ausdruck kommt, so bezeugen sie zugleich die unwandelbare Beständigkeit der Erwählung.

Auch die Verwerfung geschieht nicht auf Grund von Werken, sondern allein nach Gottes Willen.

Nun wenden wir uns den Verworfenen zu, die der Apostel (Röm. 9-11) zugleich in seine Betrachtung einbezieht. Wie nämlich Jakob, als er sich noch durch keinerlei gute Werke Verdienste erworben hat, zu Gnaden angenommen wird, so wird andererseits Esau, als er noch durch keinerlei Missetat befleckt ist, gehaßt (Röm. 9, 13). Richten wir unser Auge auf die Werke, so fügen wir dem Apostel Unrecht zu, als hätte er eben das, was uns deutlich ist, nicht gesehen. Daß er es aber nicht gesehen hat, liegt klar zutage; denn er legt ausdrücklich darauf Gewicht, daß, als die beiden Brüder noch nichts Gutes oder Böses aus sich hervorgebracht hatten, der eine erwählt, der andere dagegen verworfen worden ist; er will ja eben beweisen, daß das Fundament der göttlichen Vorbestimmung nicht in den Werken liegt. Dann bringt er weiter den Einwand zur Sprache, ob denn Gott ungerecht sei (Röm. 9, 14); aber dabei beruft er sich nicht auf das, was doch der sicherste und offenste Beleg für Gottes Gerechtigkeit gewesen wäre, nämlich darauf, er habe dem Esau eben nach seiner Bosheit vergolten; nein, er begnügt sich mit einer ganz anderen Lösung: die Verworfenen würden dazu erweckt, daß Gottes Ehre durch sie verherrlicht werde! Zum Schluß fügt er die Feststellung an: So erbarmt er sich nun, welches er will, und verstockt, welchen er will (Röm. 9, 18). Siehst du, wie er beides allein auf Gottes Gutdünken zurückführt? Wir können also dafür, daß er den Seinen Barmherzigkeit zuteil werden läßt, nur einen Grund anführen: weil es ihm so wohlgefällt; - aber ebenso haben wir auch für die Verwerfung anderer keine andere Ursache als seinen Willen. Denn wenn es heißt, Gott verstocke oder verfolge auch mit seiner Barmherzigkeit, wen er wolle, so werden die Menschen dadurch gemahnt, keinerlei Ursache außerhalb seines Willens zu suchen!


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Autor: Johannes Calvin - zuletzt aktualisiert am 09.09.2016
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