Mit leeren Händen
Die Botschaft der Thérèse von Lisieux
Die große Vollendung
Jesus hat gesagt: Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört
das Himmelreich
(Mt 5,3). Thérèse ist, obwohl sie von sich
aus arm ist, reich an Gott wegen ihres unbegrenzten Vertrauens. Alles
ist unser, alles ist für uns da, denn in Jesus besitzen wir alles!
(MST 257).
Eine glückliche Frau
Thérèse weiß, dass Gott ihr mit Seiner Gnade
immer näher kommt. Gott in ihrem Herzen und ihre Zukunft in Seinen
Händen. Sie besitzt alles schon im voraus und erfreut sich daran.
Nun, da sie nichts mehr, was endlich ist, ersehnt, weiß sie, dass
sie das Unendliche erreichen kann. Es fehlt ihr nichts mehr, und das Wissen
um die erbarmende Gegenwart Jesu, nun und auch weiterhin, bewirkt in ihr
ein tiefes Glück. Sie ist allzeit fröhlich und zufrieden
(IGL 79).
Sie lebt jetzt ihr Leben, ganz als würde es von Gott gesprochen, wie den Ausdruck Seiner väterlichen Fürsorge. Sogar im Dunkel ihres Glaubens und im körperlichen Leiden, das sich von Tag zu Tag verstärkt, befindet sich das Innerste ihres Wesens im Frieden und in der Freude. Ihr Lächeln ist bei ihren Schwestern sprichwörtlich; sie fühlen, dass es ihrer Gottesbeziehung entspringt.
In keinem Moment war das Leben für Thérèse wirklich leicht. Ich habe das Glück und die Freude auf Erden gefunden, aber nur im Leiden, denn ich habe viel gelitten hier auf Erden, das muss man die Seelen wissen lassen… (IGL 134).
Aber nach und nach vollzog sich in ihr eine grundlegende Veränderung:
Während ich in meiner Kindheit in Traurigkeit litt, leide ich jetzt nicht mehr auf diese Weise, sondern in Freude und in Frieden, ich bin wahrhaftig glücklich zu leiden (C 217).
Das Leben des Himmels wird bereits offenbar, das Osterfest hat tatsächlich schon begonnen: Ich bin gleichsam auferstanden… Oh, machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen, ich bin soweit gekommen, dass ich nicht mehr leiden kann, denn alles Leiden ist mir süß (IGL 54).
Angst, Schmerz, die schlechte Gesundheit, ein verletzendes Wort, all dies berührt nur noch die Oberfläche meiner Seele (IGL 93).
In ihrem Innersten ist sie in Gott verankert.
Da sie an Gott gebunden ist, fühlt sie sich allem gegenüber
frei, was nicht Gott ist, was Gott nicht will. Sie liebt die Bilder, welche
Leichtigkeit, Schnelligkeit, den Aufstieg ausdrücken: sie hat Flügel
,
sie fliegt
, sie ist wie eine Lerche
(G 52), die nichts anderes mehr
wünscht, als höher hinauf zu fliegen in das unendliche Licht.
Dem Zweifel, der Unruhe und der Enttäuschung gelingt es nicht mehr,
sie in sich selbst zu verschließen. Weil sie glaubt! Ja!!! Welche
Gnade, den Glauben zu haben! Hätte ich nicht den Glauben gehabt, ich
hätte mich umgebracht, ohne einen Augenblick zu zögern … (IGL
217).
Nur noch die Hingabe leitet sie. Wegen der Zukunft beunruhige ich mich nicht. Ich bin sicher, dass der liebe Gott Seinen Willen tut, das ist die einzige Gnade, die ich verlange (Brief 221).
Sie lebt den gegenwärtigen Augenblick aus dem Willen Gottes: Nur
heute
(G 5). Der liebe Gott schenkt mir Mut im Maße meiner Leiden.
Ich fühle, dass ich im Augenblick nicht mehr ertragen könnte,
aber ich habe keine Angst, denn wenn sie noch stärker werden, so wird
Er zugleich auch meinen Mut vermehren (IGL 164). Von Augenblick
zu Augenblick kann man viel ertragen (IGL 68).
Oft wiederholt sie ihr Leitwort: Alles ist Gnade!
In ihrem Herzen
wohnt stets die Dankbarkeit. Und der alte, der einzige Wunsch: mehr lieben,
immer mehr. Das ist der Grundton ihres Gebetes.
Sicher, sie begeht noch immer ganz kleine Fehler. Doch mit dem gleichen Blick sieht sie die Überfülle der empfangenen Gnaden und ihr ewiges Kleinsein. Aber seit es mir geschenkt wurde, die Liebe des Herzens Jesu zu erfassen, gestehe ich Ihnen, dass Er alle Furcht aus meinem Herzen vertrieben hat. Die Erinnerung an meine Fehler demütigt mich, veranlaßt mich, mich nie auf meine eigene Kraft, die nur Schwachheit ist, zu stützen, aber mehr noch spricht mir dieses Erinnern von Barmherzigkeit und Liebe. Wie sollten auch, wenn man seine Fehler mit ganz kindlichem Vertrauen in die verzehrende Glut der Liebe hineinwirft - wie sollten sie nicht unwiderruflich verzehrt werden? (Brief 247).
In der Perspektive dieses grenzenlosen Vertrauens bleibt kein Platz
mehr für das Fegefeuer. Außerdem nennt sie es ihre geringste
Sorge
(Apostolischer Prozeß 1164). Obwohl sie sich nicht einmal
würdig fühlt, dorthin zu kommen, kann sie sich nicht vor ihm
fürchten, da sie weiß, dass das Feuer der Liebe heiligmachender
ist als das des Fegefeuers (A 187).
In der Erinnerung, dass die Liebe die Menge Sünden bedeckt (Ps 10,12), schöpfe ich aus dem ergiebigen Bergwerk, das Jesus vor mir geöffnet hat (C 237/238).
Es ist interessant, drei Sätze Thérèses, die sie in verschiedenen Augenblicken ihres Lebens geschrieben hat, zu vergleichen. Im Jahr 1889 schrieb sie als Novizin:Beeilen wir uns, unsere Krone zu gestalten (Brief 94).
Vier Jahre später sagt sie bezüglich ihrer Bemühungen zu lieben: Es geschieht nicht, um mir einen Kranz zu erwerben (Brief 143). Im Jahr 1897, also wieder vier Jahre später, bekennt sie: Nicht ich habe mir eine Krone erworben, sondern der liebe Gott hat sie gemacht (Letzte Gespräche 690).
Auf dem Weg zum Leben
Die Zeit ist gekommen, sich mit Gott zu vereinen. Der Wunsch Thérèses ist zu seiner vollen Reife gelangt, die Erhörung nahe.
Alles ist so schnell gegangen. Thérèse war darauf gefaßt. Nie bat ich den lieben Gott, jung zu sterben, das wäre mir als Feigheit erschienen, aber Er gab mir von Kindheit an die innere Überzeugung, daß mein Lauf auf Erden kurz sein würde (Brief 258).
Deshalb war sie so drängend darauf bedacht, intensiv zu leben. Als Novizin und in der Schule des Leidens schrieb sie: Das Leben ist ein Augenblick zwischen zwei Ewigkeiten (Brief 87).
In ihrem Herzen hat sie viel über Zeit und Ewigkeit nachgedacht. Das Leben erschien ihr als ein Geschenk Gottes, aber auch als eine Verantwortung mit wichtigen Folgen: Das Leben ist ein Schatz… Jeder Augenblick ist eine Ewigkeit, eine Ewigkeit von Freude auf den Himmel, eine Ewigkeit, Gott von Angesicht zu Angesicht zu sehen, nur eins mit Ihm zu sein! … Es gibt nichts außer Jesus, der ist; alles übrige ist nicht … Lieben wir Ihn also bis zum Wahnsinn, retten wir für Ihn Seelen (Brief 96).
Wir sind größer als das ganze Weltall, eines Tages werden wir selbst ein göttliches Dasein führen (Brief 83).
Das war die Vision des Frühlings, und es ist auch die Vision des Herbstes - die Dinge sind hier nur in einem ruhigeren Ton ausgedrückt.
In dem Augenblick, da ich vor dem lieben Gott erscheine, verstehe ich mehr denn je, dass nur eines notwendig ist: einzig und allein für Ihn zu arbeiten… Ich möchte Ihnen tausend Dinge sagen, die ich verstehe, weil ich am Tor zur Ewigkeit stehe, doch ich sterbe nicht, ich gehe ins Leben ein, und alles, was ich Ihnen hier nicht sagen kann, werde ich Ihnen vom Himmel her verständlich machen (Brief 244).
Mehr denn je hat Thérèse den Blick eines Kindes. Ihre
geistige Reife offenbart sich in der tiefen Einfachheit, mit der sie in
allem einen Widerschein des göttlichen Lichtes sieht. Und, wie Han
Fortmann es an der Schwelle des Todes sagte, ist das Licht vielleicht
in den Entscheidungsstunden des Todes zugänglicher als im engen Kreislauf
des Alltags, wenn man noch nicht an den Tod denkt. Es gibt so viele helle
Dinge in unserem Leben: den Frühling, die Mimose, die Amsel, Mozart,
die Liebe, den Wein, die Augen des Freundes, den Tanz. Sind sie für
das
(Han Fortmann, Oosterse Renaissance).Helle und Große Licht
eine Konkurrenz? In der noch nicht gereiften
Erfahrung, ja. Die Freude an diesen Dingen ist offensichtlich. Das Große
Licht muss erst entdeckt werden. Die Seele muss sich daran erinnern,
daß die kleinen Lichter ihren Ursprung in dem Großen Licht
haben. Für die Kinder ist das manchmal ganz selbstverständlich.
Ist Thérèse bereit zu sterben? Ja und nein. Da sie von allem losgelöst ist, ist sie bereit, alles zu empfangen: Da ich mich bemühe, ein ganz kleines Kind zu sein, brauche ich keine Vorbereitungen zu treffen. Jesus wird selbst alle Reisekosten und den Eintritt in den Himmel zahlen müssen! (Brief 191).
Aber in anderer Hinsicht ist sie nicht bereit, nicht würdig, sich
dem Allheiligen Gott zu vereinen, und sie weiß, dass sie es
aus eigener Kraft auch niemals sein wird … Ich bemühe mich, aus
meinem Leben einen Akt der Liebe zu machen, und es beunruhigt mich nicht
mehr, dass ich eine kleine Seele bin, im Gegenteil, ich freue mich
darüber. Deshalb wage ich zu hoffen, dass mein Exil kurz sein
wird
, aber nicht, weil ich bereit bin; ich fühle, dass ich es
niemals wäre, wenn nicht der Herr selbst mich verwandeln wollte. Er
kann es in einem Augenblick tun; nach all den Gnaden, mit denen Er mich
überhäuft hat, erwarte ich noch eine Seiner unendlichen Barmherzigkeit
(Brief 224).
Da sie vor der Unmöglichkeit steht, der Liebe Gottes auf Erden jemals entsprechen zu können, ist die Sehnsucht nach dem Himmel in Thérèse schon lange erwacht. Dort würde sie Gott mit der Fülle Seiner eigenen Liebe lieben können. Dort würde sie Ihn ohne Grenze und ohne Abstand lieben können, wie sie es sich hier auf Erden so sehr ersehnt hat.
Schon als Novizin hat sie geschrieben: Wie sehr dürste ich nach dem Himmel, wo man ohne Vorbehalt Jesus liebt (Brief 79).
Nun, drei Monate vor ihrem Tod, sagt sie: Was mich zur himmlischen Heimat zieht, ist der Ruf des Herrn, ist die Hoffnung, Ihn endlich zu lieben, wie ich es so sehr gewünscht habe, und der Gedanke, dass ich eine große Zahl von Seelen Ihn lieben lehren darf, die Ihn ewig preisen werden (Brief 254).
Denn sie hat die süße Gewißheit, dass sie vom Himmel aus weiterhin ihr Apostolat auf Erden ausüben wird können.
Ich fühle, dass ich in die Ruhe eingehen werde… Vor allem aber spüre ich, dass meine Sendung anfangen wird, meine Sendung, den lieben Gott so lieben zu lehren, wie ich Ihn liebe, den Seelen meinen kleinen Weg zu zeigen. Wenn der liebe Gott meine Wünsche erhört, werde ich meinen Himmel bis zum Ende der Welt auf Erden verbringen. Ja, ich möchte meinen Himmel damit verbringen, auf Erden Gutes zu tun (IGL 110).
Mit ihrer Sehnsucht nach dem Himmel ist ihre wachsende Erwartung des Sterbens aus Liebe verbunden.
Ich verlasse mich nicht auf meine Krankheit, um ins Paradies zu kommen, sie ist mir eine zu langsame Führerin. Ich verlasse mich nur noch auf die Liebe. Bitten Sie den gütigen Jesus, dass alle Gebete, die für mich verrichtet werden, das Feuer nähren, das mich verzehren soll (Brief 242).
Seit dem Beginn ihres Ordenslebens hat sich Thérèse für die Worte des heiligen Johannes vom Kreuz in seiner Lebendigen Liebesflamme begeistert:
Es ist von größter Bedeutung, dass die Seele die Liebe viel übt, damit sie, indem sie sich schnell verzehrt, nicht mehr auf Erden verweilt, sondern auf direktem Weg dazu gelangt, ihren Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen.
Und mit ihm hat sie gebetet: Zerreiße den Schleier dieser süßen Begegnung.
Als sie sich später immer mehr der Ohnmacht ihrer Liebe bewußt wird, betrachtet sie diesen Liebestod als einen Augenblick, in dem sich alle Liebe in einem höchsten Akt der Hingabe zum letzten Mal sammeln wird.
In ihrem Akt der Hingabe an die barmherzige Liebe
hat Thérèse
gebeten, dass sie in einem Martyrium der Liebe sterben möge.
Wir finden dieses Gebet öfters wieder. Allerdings hat es eine tiefgreifende
Entwicklung durchgemacht. Zu Beginn erwartete sich Thérèse
eher ein Sterben wie in den Beschreibungen des heiligen Johannes vom Kreuz:
in wunderbarer Verzückung und in einem köstlichen Aufschwingen,
das ihnen die Liebe verleiht
. Aber in der Nacht ihres körperlichen
und geistlichen Leidens sieht sie wenig von Verzückung
und Aufschwingen
…
Ihre Sicht vom Sterben verändert sich hier. Das Wesen des Liebestodes
bleibt, aber die Art wandelt sich. Sie betrachtet oft den Gekreuzigten
und begreift schließlich:
Unser Herr ist in Todesängsten am Kreuz gestorben, und doch war es der schönste und der einzige Liebestod, den man je gesehen hat. Aus Liebe sterben, heißt nicht, in Verzückung sterben (IGL 78).
Schließlich wird sie sagen, dass der Liebestod, den sie sich
wünscht, der Tod Jesu am Kreuz
sein solle. Und dieser Tod wird der
ihre sein.
Mein Gott, ich liebe Dich
Am Abend dieses Lebens werde ich vor Dir mit leeren Händen erscheinen.
Mit leeren Händen. Weit geöffnet für Gott. Wenn ich vor meinem viel-geliebten Bräutigam erscheine, werde ich Ihm nur meine Wünsche darzubieten haben (Brief 218).
Nun ist die Stunde gekommen. Der 30. September 1897.
Im Lauf des Nachmittags sagt Thérèse: Mir will scheinen, ich habe immer nur die Wahrheit gesucht; ja, ich habe die Demut des Herzens verstanden … Mir kommt vor, dass ich demütig bin.
Ein bißchen später: Ich bereue nicht, dass ich mich der Liebe ausgeliefert habe. Oh nein, ich bereue es nicht, im Gegenteil!
Es ist neunzehn Uhr und einige Minuten. Warum geht die Sonne unter? Thérèse spricht ihre letzten Worte: Mein Gott, ich liebe Dich …
Sie stirbt.
Und dann steht sie endlich Gott gegenüber! Die Liebe nimmt sie ganz in Besitz. Weit wie der Ozean. Strahlender als die Sonne. Freude ohne Maß, Leben ohne Ende - mit Maria und allen Heiligen. Gott, alles in allem!
Die Hoffnung hat ihr Werk vollendet.
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Diese Seiten werden von der Provinz des Teresianischen Karmel in Österreich betreut.
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