Ökumenisches Heiligenlexikon

Johann Hinrich Wichern

1 Gedenktag evangelisch: 7. April

Name bedeutet: J: Gott ist gnädig (hebr.)
H: der reiche Schützer (althochdt.)

Theologe, Gründer
* 21. April 1808 in Hamburg
7. April 1881 in Hamburg


Johann Hinrich Wicherns Vater hatte sich vom Kontorschreiber zum Notar und Übersetzer empor gearbeitet. Als der starb, war Johann Hinrich mit 15 Jahren das älteste Kind von sieben Geschwistern; durch Nachhilfestunden musste er nun Geld für den Unterhalt der Familie verdienen und die Schule verlassen, um zwei Jahre lang als Hilfslehrer und Erzieher in einem Knabenpensionat zu arbeiten. Freunde aus der Erweckungsbewegung ermöglichten ihm das Studium der Theologie von 1828 bis 1831 in Göttingen und an der Humboldt-Universität in Berlin. In dieser Zeit besuchte er in Halle die von August Hermann Francke gegründeten Francke'schen Anstalten, die großen Eindruck auf ihn machten. In Berlin kam er in Kontakt mit Baron von Kottwitz und lernte dessen Freiwillige Armenbeschäftigungsanstalt kennen.

Kirche St. Georg in Hamburg
Kirche St. Georg in Hamburg

Nach seinem Examen im Jahr 1832, als Oberlehrer an der Sonntagsschule der Kirche St. Georg in einer damals proletarischen Vorstadt von Hamburg, sammelte Wichern Erfahrungen über die entstehende Großstadtgesellschaft und die sich zuspitzenden sozialen Verhältnisse. Zu einer Zeit, die weder Krankenkassen und Altersrenten noch eine allgemeine Schulpflicht kannte, war das soziale Elend in Hamburg groß. Um Kindern aus schwierigen sozialen Verhältnissen zu helfen, regte er an, Rettungshäuser einzurichten. 1833 gründete er, unterstützt von einem Freundeskreis, unter dem sich angesehene Hamburger Senatoren befinden, das Rauhe Haus in Horn bei Hamburg - heute ein Stadtteil von Hamburg -, wo er mit 12 Kindern im Alter von fünf bis 18 Jahren begann.

Im Oktober 1833 zog Wichern zusammen mit seiner Mutter in das strohgedeckte kleine Haus, das der Grundstock zu einem großen Gebäudekomplex werden sollte. Im Rauhen Haus sollten bedürftige Kinder durch Unterricht in Lesen und Schreiben und durch Gottesdienst und Gebet sowohl materiell als auch spirituell eine Zukunftsperspektive bekommen. Dabei kam es Wichern darauf an, durch eine familiäre Atmosphäre ein Klima des Vertrauens zu schaffen. Erziehung beschränkte sich für Wichern nicht nur auf den schulischen Unterricht, wichtig war auch das religiöse Leben, die Arbeitswelt und die familienähnliche Erziehungsgruppe. In der Schule sollte neben musischen Neigungen der eigene Lernwille der Schüler geweckt werden. Von der Arbeit in seinen Anstalten versprach er sich für seine Schützlinge nicht nur Berufserfahrung, sondern auch die Entwicklung sozialer Kompetenz. Gebet und Arbeit waren die beiden Pole des gemeinsamen Lebens, Abwechslung in den Alltag brachten Spiele, Feste und Feiern. Das Erziehungsziel Wicherns waren freie, christliche Persönlichkeiten, die Frohsinn und christliche Zucht zu vereinen wissen und lebendige Glieder in Staat und Kirche sind.

Unter Wicherns Leitung wurde das Rauhe Haus rasch zu einem Zentrum der Erziehungsarbeit in Norddeutschland, Wicherns Gedanke der Rettungshäuser wurde bekannt. 1835 heiratete er die Sonntagsschullehrerin Amanda Böhme, acht Kinder gingen aus dieser Ehe hervor. 1842 wurde eine Druckerei eingerichtet, der 1844 ein eigenes Verlagsgeschäft folgte - die Agentur des Rauhen Hauses - und die Herausgabe der sogenannten Fliegenden Blätter, die das Publikationsorgan für die Belange der Inneren Mission wurden. Diese Bezeichnung Innere Mission stammt auch von Wichern, der diese Innere Mission bestimmte als das Bekenntnis des Glaubens durch die Tat der rettenden Liebe. Das Jahr 1844 brachte auch die Einrichtung eines Gehilfeninstitutes; hier wurden Brüder ausgebildet für alle Zweige der Inneren Mission.

1845 beherbergte das Rauhe Haus 93 Kinder, 117 waren schon wieder in geordnete Verhältnisse entlassen. Zwei Oberhelfer, vier Schwestern und 32 Brüder taten in der Anstalt ihren Dienst, 25 Brüder standen auf Außenposten. Die Anstalt erfreute sich eines regen Besuches aus dem In- und Ausland, im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens zählte man über 10.000 Besucher. Überall im Lande bildeten sich Freundeskreise, die das Rauhe Haus durch Spenden unterstützten oder selbst zu eigenen Gründungen schritten.

Ab 1844 reiste Wichern regelmäßig nach Berlin, wo er Zugang zu Kreisen am Hof von König Friedrich Wilhelm IV. bekam. Im Februar 1848 fuhr er auf Geheiß der Regierung mit acht Brüdern in das Hunger- und Typhusgebiet Oberschlesiens und richtete auch dort für die Opfer der Katastrophe Rettungsstationen ein.

Jacob Nöbbe: Wichern, um 1869, im Rauhen Haus in Hamburg
Jacob Nöbbe: Wichern, um 1869, im Rauhen Haus in Hamburg

Wichern erlebte im März 1848 die Revolution in Berlin. Im September nahm er am Wittenberger Kirchentag teil, der in der Schlosskirche versammelt war und in dem es in erster Linie um eine kirchliche Einigung Deutschlands ging. Wichern aber drängte auf die Behandlung praktischer Fragen der Inneren Mission. Schließlich konnte er seine berühmte ¼-Stunden-Stegreifrede halten, die zur Einigung in der praktischen Liebe aufrief und in dem Satz gipfelte: Die Liebe gehört mir wie der Glaube. Wie der ganze Christus im lebendigen Gottesworte sich offenbart, so muss er auch in den Gottestaten sich bezeugen. Christliche Verkündigung und soziales Engagement stellten für Wichern eine Einheit dar. Man beschloss die Bildung eines ständigen Centralausschusses, für den Wichern eine Programmschrift ausarbeiten sollte, die das Manifest der Inneren Mission wurde. Werbend und helfend zog Wichern als Herold der Inneren Mission durch die deutschen Provinzen, aber nicht überall fand er Verständnis für die freie Vereinsarbeit der Inneren Mission. Besonders die streng konfessionellen Lutheraner standen seiner Arbeit kritisch gegenüber.

Aus seiner Arbeit wurde Wichern herausgerufen durch die Bitte der preußischen Regierung, eine Reform des Gefängniswesens vorzunehmen. Er begann mit der Umorganisierung des Gefängnisses an der Lehrter Straße - heute Geschichtspark - in Berlin-Moabit. 1857 wurde er als vortragender Rat ins preußische Ministerium des Innern berufen und gleichzeitig zum Oberkonsistorialrat im Evangelischen Oberkirchenrat, der damaligen zentralen Kirchenbehörde Preußens. Seine Reformen wurden nur teilweise verwirklicht, er scheiterte an der Bürokratie und den alten Gefängnisbeamten. In den preußischen Kriegen von 1864, 1866 und 1870 organisierte er die diakonische Arbeit unter den kämpfenden Soldaten.

Schwer erkrankt, musste Wichern 1874 seine Ämter niederlegen. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er im Rauhen Haus, wo er nach langem Siechtum starb.

Johann Hinrich Wichern kann also als Begründer der Inneren Mission der Evangelischen Kirche in Deutschland gelten. Als Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. wirkt die Innere Mission heute auf vielfältigen Arbeitsgebieten weiter, umfasst in über hundert Fachverbänden ca. 31.000 Einrichtungen mit nahezu einer Million Plätzen bzw. Betten und 400.000 hauptamtlichen und fast ebenso vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern.

„Rauhes Haus” in Hamburg
Wicherns Grab auf dem Alten Hammer Friedhof in Hamburg

Johann Hinrich Wichern wurde auf dem Alten Hammer Friedhof in Hamburg bestattet, dort ist sein Grab nahe des für Amalie Sieveking errichteten Mausoleums.

Das Rauhe Haus stellt auf seiner Internetseite die Geschichte und die heutigen Einrichtungen dar.

Acht Liedtexte von Wichern hat Pfarrer Christian Hählke auf seiner Homepage, dazu von ihm dazu komponierte Melodien.

Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon

Die Kirche St. Georg ist samstags von 10 Uhr bis 12 Uhr geöffnet. (2024)
Die Schlosskirche in Wittenberg ist zugänglich durch den Eingang zum Schloss, in dem heute das Predigerseminar der Evangelischen Kirche in Anahlt untergebracht ist. Sie ist täglich von 10 Uhr bis 16.30 Uhr geöffnet, der Eintritt beträgt 3 €. (2023)





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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 15.10.2024

Quellen:
• http://www.elk-wue.de/cms/kirchefuersie/gedenktage/johannhinrwichern nicht mehr erreichbar
• Günter Brakelmann: Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts, Luther-Verlag, Bielefeld 1975

korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet das Ökumenische Heiligenlexikon in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.