Oskar Brüsewitz
Gedenktag evangelisch: 18. August
Name bedeutet: Gott schützt (althochdt.)
Im 2. Weltkrieg beendete Oskar Brüsewitz seine Schulzeit im Alter von 14 Jahren mit einem Notabschluss
, bald
darauf wurde er noch als Hitlerjunge zum Kriegsdienst eingezogen. Seine Familie flüchtete dann am Kriegsende nach
Osnabrück. Hier machte er sich selbständig und
legte als jüngster Schuhmacher Niedersachsens 1951 seine Meisterprüfung ab. Nach dem Krebstod seiner Mutter 1949 heiratete
er 1951, zog nach Hildesheim und wurde Vater
einer Tochter. Die Ehe scheiterte kurz darauf, er zog, um einen neuen Anfang zu machen, nach Weißenfels bei Leipzig und
arbeitete dort in der damaligen Schuhfabrik Banner
des Friedens
. Er fühlte sich berufen zur Verkündigung, musste seine Ausbildung am Predigersemnar - damals im ehemaligen
Augustinerkloster - in Wittenberg aber wegen eines
Magenleidens nach wenigen Wochen aufgeben und begann in
Markkleeberg bei Leipzig als selbständiger
Schuhmacher zu arbeiten; bald schon beschäftigte er zehn Angestellte.
1955 heiratete Brüsewitz die Krankenschwester Christa Roland, die er in einer freikirchlichen Gemeinde kennengelernt
hatte und die ihm zum Geschenk Gottes
wurde. Bereits damals trat er mit öffentlichen Aktionen hervor, die von
einigen Gemeindemitgliedern und der Staatssicherheit der DDR misstrauisch beobachtet wurden: im Schaufenster seines
Betriebes konnte man biblische Darstellungen betrachten, daneben hing ein Schaukasten mit christlichen Schriften; er
pachtete ein Grundstück und versah es mit einem Schild Evangelischer Jugendspielplatz
. Nach drei Herzanfällen und
einjähriger Genesungszeit zog die Familie 1960 nach
Weißensee bei Sömmerda, wo er - weil sich sonst
keine Räumlichkeit fand in einem alten Eisenbahnwaggon - eine neue Werkstatt einrichtete, die aber 1963 in eine
Produktionsgenossenschaft überführt
wurde.
Beruflich an weiterer Entwicklung gehindert, engagierte sich Brüsewitz stärker in der Kirche, organisierte
Evangelisationswochen, versuchte mit ausgefallenen und originellen Ideen öffentlichkeitswirksam missionarisch zu wirken.
Nach seinem Boykott einer Wahl
und seinem öffentlichen Kommentar - Ich habe schon gewählt, nämlich Christus
- kam es zu einer Hausdurchsuchung. 1964 trat er mit Unterstützung von Pfarrern, die seinen Glaubensernst anerkannten,
in die Predigerschule - untergebracht im ehemaligen
Augustinerkloster - in Erfurt ein. Das Studium
war für den 36-jährigen wegen seiner ungenügenden Schulbildung eine Herausforderung; im Frühjahr 1969 konnte er es erfolgreich
abschließen.
1970 wurde Brüsewitz Pfarrer im Dorf Rippicha
und dem benachbarten Droßdorf, wo seine
handwerkliches Geschick, sein Missions-Eifer und seine einfallsreichen Gottesdienste bald ein lebhaftes Gemeindeleben
erzielten. Mit ständig neuen Einfällen gelang es ihm, besonders auch Kinder und Jugendliche anzusprechen, und er erwarb sich
den Ruf, eines Pfarrers, mit dem man reden kann
. Zum Symbol wurde das drei Meter hohe Neon-Kreuz auf dem Kirchturm,
das die Autofahrer auf der zwei Kilometer entfernten Bundesstraße 2 grüßte. Trotz massivster Drohungen der staatlichen Organe
wurde es bis zu seinem Tod nicht entfernt.
Im Herbst 1970 drohte der Rat des Kreises Brüsewitz' Superintendenten, dass ein Ermittlungsverfahren wegen
Staatsverleumdung und Hausfriedensbruch
gegen Brüsewitz eingeleitet oder er in eine Nervenklinik eingeliefert
werden könnte. Dennoch unternahm er weitere Plakat-Aktionen: dem SED-Plakat 25 Jahre DDR
setzte er seines mit der
Losung 2000 Jahre Kirche Jesu Christi
entgegen. Großes Aufsehen erregte er 1975 mit einer Fahrt von
Rippicha nach
Zeitz per Pferdefuhrwerk, auf dem er den Spruch
angebracht hatte: Ohne Regen, ohne Gott, geht die ganze Welt bankrott
- eine Replik auf den SED-Spruch Ohne Gott
und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein
. Trotz bester Schulzeugnisse wurde seiner Tochter ein Studium verweigert.
Schwierigkeiten hatte er mit Verwaltungsarbeit und Bürokratie. Die Menschen bewunderten zwar seinen Mut, wagten aber aus
Angst vor Repression nicht mehr, sich zu ihm zu bekennen; seine Kirche wurde leerer.
Nach der KSZE-Schlußakte von Helsinki 1975 versuchte die DDR-Regierung, das Verhältnis zu den Kirchen zu entspannen. Gleichzeitig wurde zunehmender Druck auf die Kirchenleitung ausgeübt, den Störenfried Brüsewitz aus Rippicha zu entfernen. Im Kirchenkreis mehrten sich Rückfragen an seine eigenwillige Führung des Pfarrdienstes und seine Pflichten zu korrekter Verwaltung. So wurde beschlossen, im September 1976 in Rippicha eine Visitation durchzuführen - solche Visitationen werden regelmäßig gemacht, um Erfahrungen aufzunehmen und gegebenenfalls Schwierigkeiten zu klären, verbunden mit der präzisen Durchsicht der Vermögensverhältnisse der Gemeinde und der Finanzverwaltung. Brüsewitz hat die Ankündigung als Bedrohung empfunden. Im Juli 1976 besuchte ihn sein Vorgesetzter, Probst Bäumer, und legte ihm nahe, die Pfarrstelle zu wechseln; dies sei nicht nur aus politischen Gründen sinnvoll, sondern auch, um einen Neuanfang in seiner kirchlichen Arbeit zu machen.
Am Morgen des 18. August 1976 bat Brüsewitz seine Tochter Esther, für ihn das Kirchenlied So nimm denn meine
Hände
(EG 376) zu spielen, danach verließ er das Haus und fuhr mit seinem Wartburg Camping
in die Kreisstadt
Zeitz, wo er vor der Michaelskirche anhielt
und ein zweiteiliges Plakat auf das Dach seines Autos stellte, das die Aufmerksamkeit der Menschen erregte.
Aus einer großen Milchkanne übergoss Brüsewitz sich mit Benzin und zündete sich an. Drei bis vier Meter hoch schlugen Flammen empor, der Pfarrer in seinem Talar und das Auto brannten lichterloh. Vor Leuten, die ihm helfen wollten, rannte er weg und auf die Superintendentur zu, während die Glocken der Michaelskirche für eine Beerdigung zu läuten begannen. Etwa 300 Menschen wurden Zeugen des Fanals. Im Abschiedsbrief an seine Tochter drückte er seine Kritik an der Inkonsequenz seiner Kirche aus.
Brüsewitz wurde zunächst ins damalige Krankenhaus
- heute ein Ärztehaus - in Zeitz und dann ins
Bezirkskrankenhaus nach Halle gebracht, wo er
vier Tage später seinen Verbrennungen erlag. Die Nachricht von der Selbstverbrennung verbreitete sich blitzschnell. Für die
SED-Führung war sie die schlimmste Provokation
seit dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953; mit allen Mitteln versuchte
sie, die Tat geheim zu halten. Zur Organisation der Beerdigung am 26. August in
Rippicha arbeiteten staatliche und kirchliche
Vertreter zusammen, um eine politische
Beerdigung zu verhindern. Trotzdem wurde sie zu einer Art Demonstration,
zu der Hunderte von Pfarrern aus der gesamten DDR anreisten.
Die Tat von Oskar Brüsewitz wurde zu einem Prüfstein der Evangelischen Kirche in der DDR, das Konzept Kirche im
Sozialismus
neu zu überdenken. Die Kirchenleitung in
Magdeburg stellte sich von Anfang an hinter
Brüsewitz und wehrte alle Versuche ab, ihn zum Geisteskranken zu stempeln. Und sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie
seinen Weg zwar nicht guthieß, wohl aber sein Anliegen als flammende Anklage
auch an die Kirche selbst verstand.
Zugleich musste die DDR-Führung erkennen, dass der Konfrontationskurs mit der Kirche wenig Erfolg versprechend war und
Widerstand hervorrief; sie begann nun eine Politik der Schadensbegrenzung, die mit dem Gespräch zwischen Kirchenleitungen
und DDR-Führung im März 1978 symbolträchtig demonstriert wurde.
Die Evangelische Kirche würdigte Brüsewitz in dem im Jahr 2000 herausgegebenen Sammelband Zeugen einer besseren
Welt
zusammen mit Opfern des Bolschewismus wie Traugott Hahn und
des Nationalsozialismus wie Dietrich Bonhoeffer oder
Werner Sylten; sein Schicksal zeige, in wie komplexer Weise sich
Verzweiflung und Entschlossenheit mischen konnten
. Am
Vorderhaus der damaligen Schuhmacherwerkstatt in
Markkleeberg erinnert eine Gedenktafel an Oskar Brüsewitz. Auf dem Platz vor der
Michaelskirche in Zeitz, auf dem die
Selbstverbrennung stattfand, wurde auf Initiative der Hilfsaktion Märtyrerkirche
1991 eine Gedenksäule - nur mit Name
und Todesdatum - aufgestellt, die 2019 die Zusatztafel zur Information erhielt.
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Autor: Joachim Schäfer
- zuletzt aktualisiert am 28.10.2024
Quellen:
• http://www.bruesewitz.org/fanal-text.html nicht mehr erreichbar
• http://www.mdr.de/geschichte/personen/125694.html nicht mehr erreichbar
• Björn Mensing: Die Blutzeugen kommen wieder. Deutsches Pfarrerblatt 11/2000
• https://predigerseminar.de/index.php?option=com_content&view=article&id=34&Itemid=227&lang=de - abgerufen am 30.08.2023
• https://www.mz.de/lokal/zeitz/gedenkstatte-fur-verbrannten-pfarrer-warum-brusewitz-saule-in-zeitz-fur-arger-sorgt-1481523
- abgerufen am 26.10.2023
• https://www.zeit.de/news/2021-08/15/gedenken-an-selbstverbrennung-von-pfarrer-oskar-bruesewitz - abgerufen am 26.10.2023
korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
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https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.