Ökumenisches Heiligenlexikon

Der Prozess gegen Johann Hüglin

Gott verzeihe Euch: Ihr wisst nicht, was Ihr tut!

An einem Frühlingsmorgen des Jahres 1527 ritt ein Trupp Bewaffneter in scharfem Trab in Sernatingen [dem heutigen Ludwigshafen am Bodensee] ein und erfragte von Männern, die zur Feldarbeit unterwegs waren, den Weg zum Pfarrhaus. Die Stadtknechte waren auf Befehl des Rates von Überlingen gekommen, um den Pfarrer Johannes Hüglin festzunehmen. Er habe sich, so hieß es, der Ketzerei verdächtig gemacht und auch während vorangegangener Unruhen am See die Partei aufrührerischer Bauern ergriffen. Dafür sollte er nun nach dem Willen der reichsstädtischen Obrigkeit zur Verantwortung gezogen werden.

Hinter diesem Beschluß steckte als treibende Kraft wohl der Überlinger Pfarrer Johann Schlupf, der mit gestrengem Eifer über der Erhaltung katholischer Lehre wachte. Bereits etliche Jahre zuvor hatte er alle lutherischen Schriften, deren er in der Stadt habhaft werden konnte, öffentlich verbrennen lassen, und als hernach Ambrosius Blarer mit dem Domherrn Johann von Botzheim aus Konstanz einmal über den See gefahren kam, waren die beiden nur recht knapp der Gefahr entgangen, auf Schlupfs Betreiben hin ins Gefängnis geworfen zu werden. Was damals misslang, geriet nun auf Anhieb: Zusammen mit Johannes Hüglin wurden gleich drei weitere Geistliche vom nördlichen Ufer des Sees festgenommen und von den Stadtvätern als Verbreiter lutherischer Irrtümer dem geistlichen Gericht des Bischofs von Konstanz übergeben.

Während die anderen Beschuldigten nach nicht allzu langer Haft und reumütigem Widerruf dessen, was man ihnen vorwarf, wieder nach Hause entlassen wurden, kerkerten die Bischöflichen den Frühmesser aus Sernatingen in einem der Türme des Meersburger Schlosses ein. Weder gut gemeinter Zuspruch noch die folgende hochnotpeinliche Befragung in der Folterkammer hatten den Gefangenen zu dem Geständnis bringen können, dass in Luthers Lehre lediglich verdammenswerte Ketzerei zu sehen sei.

So machte man denn Johannes Hüglin den Prozess: Am 10. Mai 1527 versammelten sich die geistlichen Räte des Konsistoriums, begleitet von den Äbten von Petershausen und Kreuzlingen, unter dem Vorsitz des Weihbischofs Melchior Fattlin, allesamt in prächtigem Ornat, auf dem Meersburger Marktplatz, um öffentlich Gericht zu halten. Vom eigens aufgeschlagenen Gerüst herab verlas ein Notar die Anklage: Der Pfarrer habe seine Bauern gelehrt, die Obrigkeit und auch die Steuer seien nicht rechtens, alle Christen freie Leute und gute Werke zur Seligkeit unnütz; Sakramente gebe es nur zwei, nämlich Taufe und Abendmahl; die Messe sei kein Opfer, und der Kelch stehe bei der Kommunion auch den Laien zu. Was die Fasttage betreffe, wäre fragwürdiger Brauch, ein Fegfeuer existiere gewiss nicht, und warum ein Priester nicht heiraten solle - darüber müsse man wohl ebenfalls ein Wörtlein miteinander sprechen.

Ferner, so hielt man dem Angeklagten vor, habe er im geheimen das Buch über die babylonische Gefangenschaft der Kirche und auch andere Schriften Dr. Martin Luthers gelesen, ja, darüber hinaus des Wittenberger Professors Neues Testament in deutscher Sprache bei sich getragen, das, wie er wisse, unzählige Fälschungen enthalte. Damit nicht genug, hätte er den aufrührerischen Bauern beim Schreiben ihrer Artikel geholfen, die meisten Festtage verachtet, Beschlüsse der Konzilien verneint, die Messe zwar gelesen, aber im Herzen nicht geglaubt, dass sie auch Verstorbenen nützlich sei, und das Entfernen von Bildern aus den Kirchen gebilligt.

Hüglin versuchte, sich zu verteidigen: Er habe stets und gerade in den Tagen des Aufbegehrens der Bauern den Gehorsam gegen die Obrigkeit nicht nur für sich selbst als Pflicht erachtet, sondern die anderen ernsthaft dazu ermahnt. Allerdings hätte er seinen Dörflern auf deren Drängen hin eine Bittschrift verfasst - doch habe ja der Rat von Überlingen die Untertanen seinerzeit ausdrücklich zur Eingabe ihrer Beschwerden aufgefordert. Von den sieben Sakramenten halte er freilich nicht alle für unentbehrlich, denn auch ohne Priesterweihe, Ehe und letzte Ölung könne der Mensch nach aller Welt Urteil - und das sei auch seine Meinung - wohl in den Himmel kommen. Weiter kam er nicht, denn hier unterbrachen ihn die Richter: Es gehöre sich keinesfalls, dass er als Priester vor allem hergelaufenen Volk in deutscher Sprache rede: Er möge sich also fortan des Lateinischen bedienen. Auch sei hier nicht der Ort für lange Diskussionen. Es genüge daher vollauf, dass er zu den einzelnen Vorhaltungen credo, ich glaube es, oder non credo, ich glaube es nicht, sage. Auf solche Weise wollte sich Hüglin indes das Wort nicht abschneiden lassen: Was den Vorwurf betreffe, er glaube nicht alle Lehren, die er als Priester verkündigte, so sei Christus vor Gericht ja auch nicht gefragt worden, was er glaube, sondern was er gelehrt habe. Und manche Feiertage, die er tadelte, hätte er ja auch nur des Missbrauchs zu weltlicher Lust halber in Frage gestellt. Im übrigen könne er nicht einsehen, dass er mit dem Lesen einiger lutherischer Schriften, die ihm der Nachbarpfarrer in Bodman schon vor Jahren geliehen habe, Unrechtes getan hätte. Was das Fegfeuer betreffe, so sei er im Grunde mit sich selbst nicht einig, wolle sich letztlich aber der Meinung der Konzilien beugen. Als man ihn während der Folter danach befragte, habe er ja bereits gesagt: Lieber Gott, wenn die Heilige Schrift nichts vom Fegfeuer sagt, was soll ich dann davon sagen? Ist das, was ich gelitten habe, nicht Fegfeuer genug?

Bei diesen Worten fing der Unglückliche an zu weinen und Augenzeugen berichteten später, dass auch viele der Umstehenden sich der Tränen nicht erwehren konnten.

Den mit zu Gericht sitzenden Doktor der Theologie und Generalvikar von Konstanz, Wendelin Fabri, der sich über so viel Gefühl lustig machte, fragte Hüglin: Lieber Herr, warum lachet ihr mein? Ich bin ein verlassener, elender Mensch und nicht des Lachens wert. Gott verzeihe euch: Ihr wisst nicht, was ihr tut! Die Situation war peinlich genug. Die Räte gingen deshalb rasch zum Zeugenverhör über. Es genügte den Richtern, dass zwei Männer angaben, einige der in der Anklage erwähnten Äußerungen aus des Priesters Mund gehört zu haben. Der Generalvikar verlas unmittelbar danach das Urteil in lateinischer Sprache: Aus Vollmacht des hochwürdigsten Vaters und Herrn, Herrn Hugo, Bischofs zu Konstanz, verurteilen verwerfen und zertreten wir diesen Menschen als einen Ketzer und Feind unserer heiligen Mutter, der Kirche, und als einen Bestürmer des katholischen Glaubens, und verordnen, dass er als Unwürdiger der heiligen Weihen beraubt und seiner Priesterwürde entkleidet werde.

Während das dann unter vielerlei Förmlichkeiten geschah, betete Hüglin laut und dankte Gott, dass er ihm bis hierhin genug Kraft verliehen habe, sich als ein frommer Pfarrer zu halten. Der Vogt von Meersburg, Kilian Reichlin von Meldegg, befand indes im Namen der Obrigkeit, der verurteilte Ketzer solle sogleich mit Feuer vom Leben zum Tode gebracht, zu Pulver und Asche verbrannt werden, damit kaiserlichem Recht Genüge geschähe.

Dem Todgeweihten blieb nur wenig Zeit, um von einigen Umstehenden Abschied zu nehmen: Er dankte ihnen, dass sie ihm auf Erden viel Gutes getan und ihn während der Gefangenschaft mit leiblicher Nahrung versorgt hätten. Dann gings durchs Obertor hinaus vor die Mauern der Stadt.

Auf dem Schindanger hatten Stadtknechte inzwischen bereits den Scheiterhaufen geschichtet: Hüglin betrat ihn ohne Zögern und sang, als der Henker den Holzstoß anzündete, das Gloria in excelsis und Te deum laudamus. Aus Flammen und Rauch drang wenig später sein letzter Schrei: Jesus!

Ludwig Wien in: Evangelium am See, hg. von der Evang. Kirchengemeinde Meersburg


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Autor: Ludwig Wien - zuletzt aktualisiert am 24.04.2021
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Ludwig Wien: Artikel