Kolumban in Bregenz
Nicht dass er der Erste war, der versuchte, unseren Vorfahren das Christentum schmackhaft zu machen. Am Rhein hatte bereits ein gewisser Fridolin gewirkt, und in Arbon empfing ihn ein gewisser Willimar, der ihm auf die Frage nach einem guten Platz für die Errichtung der Zellen antwortete:
Es findet sich ein verödeter Ort, der die Spuren alter Gebäude unter Trümmern bewahrt, wo das Erdreich fett und zur
Erzeugung von Früchten tauglich ist; hohe Berge stehen im Halbkreis, eine öde Wüste erhebt sich über der Stadt, die Ebene
ist fruchtbar; wer hier Nahrung sucht, dem wird der Lohn der Arbeit nicht versagt; der Name ist
Brigantium.
Der erste Eindruck, den Kolumban von der Bevölkerung hatte, war dann aber offensichtlich nicht so besonders gut, denn
es heißt: Der Ort gefällt meinem Herzen nicht, aber um den Glauben unter den Heiden auszusäen, verspreche ich paulisper
– eine kurze Zeit – zu bleiben.
Doch auch den Einheimischen – wir dürfen sie als Alamannen bezeichnen – mag beim Anblick der fremden Ankömmlinge allerlei durch den Kopf gegangen sein. Mit ihren langen Stöcken, an denen Glöcklein hingen, mit ihren Büchersäcken auf dem Rücken und den Reliquienkästchen am Hals, vor allem aber mit ihrer sonderbaren Tonsur – das Vorderhaupt war von einem Ohr zum anderen geschoren, während hinten die Haare lang herabfielen – dürften sie wohl für nicht geringes Aufsehen gesorgt haben.
Neben anderen hatte Kolumban in seinem Boot auch einen Gefährten namens Gallus mitgebracht, und nun begann die Arbeit der Gruppe. Dass sie nur drei Jahre dauern würde, ahnte damals wohl noch keiner.
Gleich bei ihrer Ankunft in Bregenz – so weiß es eine alte Überlieferung – hätten Kolumban und seine Gefährten ein
Kirchlein angetroffen. Bei den damaligen Bregenzern
dürfte es sich nämlich um getaufte Christen gehandelt haben. Es war der hl.
Aurelia geweiht. Was die Ankömmlinge in dessen Innerem gesehen
hätten, habe sie geradezu in Weißglut versetzt, standen da doch tatsächlich gleich mehrere Bildwerke verhasster heidnischer
Gottheiten, die Einheimischen waren nämlich großteils zum Heidentum zurückgekehrt. Das sind die alten Götter und
Schutzherren dieses Ortes, durch deren Hilfe wir und unsere Habe bis heute erhalten worden sind
, hätten die Einheimischen
erklärt, heißt es bei einem Gallus-Biografen. Sicher bekamen diese dann auch mit,
dass diese Antwort nicht geeignet war, die zornigen Ankömmlinge zu beruhigen. Diese dürften ihre Hütten wohl etwas vom Dorf
entfernt, an der heutigen Fluherstraße bei einer
Felshöhle, errichtet haben. Das war Herausforderung genug, ob die damaligen Bregenzer allerdings mit dem rechneten, was bald
darauf geschah? Nach einer eindringlichen Predigt Kolumbans – er war um diese Zeit bereits 70 Jahre alt und vielleicht nicht
mehr imstande, den Hammer entsprechend zu schwingen – zerschlug Gallus alles in der angetroffenen Kirche, was auch nur im
Entferntesten nach heidnischem Kult aussah. Von der Weisung Papst Gregors,
den Leuten die heidnischen Heiligtümer nicht zu zerstören, hielten sie ganz offensichtlich beide nicht. Die Götter hatten es
sich gefallen lassen, und das mochte dann wohl manche dazu bewogen haben, wieder zum alten Glauben zurückzukehren.
Anschließend wurde die Kirche von Kolumban neu
geweiht und dann feierten wohl auch gleich alle einen Gottesdienst Damit waren natürlich noch bei weitem nicht alle bekehrt,
und diesen dürfte somit das Opferfest, das einige Zeit später stattfinden sollte, sicher sehr wichtig gewesen sein. Kolumban
lässt es im wahrsten Sinn des Wortes platzen! Ein großes, von Reifen zusammengehaltenes Fass – sie nannten es cupa und es
fasste etwa 400 Liter – stand in ihrer Mitte. Auf die Frage Kolumbans, was sie damit wollten, hätten sie einfach antworten
sollen: trinken, und die Angelegenheit wäre von den Iren – Angehörige eines Biertrinkervolkes und sicher auch an Fässern
interessiert – wahrscheinlich gutgeheißen worden. Vielleicht hätten sie sich sogar am allgemeinen Gelage beteiligt, doch
die Antwort lautete eben anders: Das sei ein Opfer für ihren Gott Wotan. Da schritt Kolumban auf das Fass zu, blies hinein
und es – zerbarst. Der Mann Gottes hat einen gewaltigen Schnauf
, hätten die Anwesenden daraufhin anerkennend gesagt
und gestaunt. Viele hätten sich daraufhin taufen lassen, und auch solche hätten sich zurück
bekehrt, die einstmals
schon getauft gewesen seien.
Der bekannte Historiker Benedikt Bilgeri vermutete seinerzeit den Ort der Begebenheit im benachbarten
Hofsteiggebiet, schließlich habe es ja dort in Lauterach noch um
1768 ein Wuotasgässle
gegeben, in dessen Nähe etwa 300 Jahre früher auch noch ein
Sankt-Gallen-Brunnen
bekannt gewesen sei.
Ob dann eines Tages auch aus einer der Hofsteig-Gemeinden jene
Ablenkung
gegangen kam, die einem der Brüder der klösterlichen Ansiedlung zum Verhängnis werden sollte? Der junge
Mann war gerade bei der Feldarbeit, als eine hübsche Alamannin vorbeiging. Kolumbans Ordensregel war streng, so streng, dass
sogar die sogenannte Klausur der Augen gewahrt werden musste. Weil der Arbeitende der Alafrau
ein wenig länger als
nötig nachgeblickt hatte, habe ihm der Abt eine Tracht Stockschläge verabreichen lassen.
In seinem Gefährten Gallus hatte er bestimmt einen anerkannten Fachmann auf dem Gebiet der Missionierung, dem es sogar einmal nachts beim Fischen gelang, ein Ferngespräch zweier teuflischer Dämonen zu belauschen, die sich über die Tätigkeit der Konkurrenz aus dem Ausland beklagten. Eine eindrucksvolle Schilderung davon findet sich in der Lebensbeschreibung des hl. Gallus von einem Reichenauer Mönch, in der es heißt:
Von Zeit zu Zeit pflegte der Erwählte Gottes Gallus die Netze in die klare Flut während der Stille der Nacht zu senken,
als er einmal den Dämon vom Gipfel des Berges (Pfänder)
nach seinem Genossen rufen hörte, der sich in den Abgründen des Sees befand. Auf die Antwort desselben:
Hier bin ich!
entgegnete der Bergdämon: Mach dich auf zu meiner Hilfe! Siehe, es sind Fremdlinge gekommen, welche mich aus meinem Tempel
geworfen haben; komm, komm, hilf uns dieselben aus dem Lande treiben!
Natürlich wusste Gallus sofort, dass damit nur Kolumban und dessen Gefährten
und damit auch er gemeint sein konnten. Was er aber gleich darauf aus der Tiefe herauf zu hören bekam, ließ ihn zusammenfahren,
denn nun unterhielten sich die beiden unheimlichen Wesen ganz offensichtlich über ihn. Heu! unus ex illis me in pelago
premit et mea devastat…
, Weh! Einer von ihnen bedrückt mich auf den Fluten und er verwüstet mein Reich
.
Den genauen lateinischen Wortlaut verdanken wir dem
Reichenauer Gelehrten Walahfrid Strabo, die
Geister selbst werden sich hier am Bodensee wohl der
alamannischen Sprache bedient haben. Diese verstand Gallus, von ihm heißt es, er
habe nicht nur in der lateinischen, sondern auch in der barbarischen Sprache – damit war das Alamannische gemeint – keine
geringen Kenntnisse gehabt. Deshalb dürfte ihn Kolumban wohl auch besonders gern unter seine Gefährten aufgenommen haben.
Was Gallus dann noch hörte, hätte ihn zwar nicht zu beunruhigen brauchen, denn der Wassergeist jammerte, dass er dem frommen
Mann nichts anhaben könne. Sicherheitshalber schlug dieser aber das Zeichen des Kreuzes über sich und rief den beiden zu:
Im Namen Jesu Christi befehle ich euch, weichet aus dieser Gegend und unterfanget euch nicht, irgend jemand hier zu
verletzen!
Dann kehrte er zum Ufer zurück und erzählte Kolumban vom Erlebten. Dieser rief gleich alle Brüder in die Kirche zusammen,
indem er die Glocke läutete. Und siehe: Noch ehe die Knechte Gottes ihr Gebet erhoben, vernahm man die Dämonenstimme, indem
sich ein Geheul und Gebrüll von schrecklichen Tönen durch die Höhe der Gebirge hören ließ. Glockenklang und Psalmengesang
übertönten für kurze Zeit das Dämonengeheul. Und trotzdem kam es anders. Der Vorwurf, das ungewohnte und wohl auch oftmalige
Glockengebimmel vom Kirchlein der Mönche sei
jagdstörend, war nur eine erste Warnung. Dieses rief die Missionare stets zum gemeinsamen Gebet in die Kirche zusammen,
gleichzeitig verscheuchte es aber auch die Vögel. Auf diese hatten es jedoch die Bewohner der Umgebung abgesehen, die
Vogeljagd scheint damals gang und gäbe gewesen zu sein. Der
Bodensee lag und liegt nun einmal an einer
Hauptzuglinie der Zugvögel, und der Vogelfang mit Netz und Ruten samt Klebemittel war gerade in Bregenz alte Tradition, wie
der Flurname Am Vogelherd
bis heute überliefert. Oder war das Ganze nur ein Vorwand, die Fremden elegant und dabei
doch legal loszuwerden? Ein Wort gab das andere, die Mönche und Brüder wollten nicht aufs praktische Glockenläuten verzichten,
und die Bauern waren mehr als verärgert, dass mit einem Mal Schluss sein sollte mit der vergnüglichen und wohl auch
einträglichen Jagd aufs schmackhafte Federvieh. Bald kam es massiver: Vieh der Mönche wurde gestohlen. Mitbrüder wurden
erschlagen aufgefunden.
Hinter all den unerfreulichen Vorkommnissen steckte wohl ein gewisser Gunzo, ein Alamannen-Herzog, der damals in
Überlingen residierte. Als dann auch noch
Kolumbans bisheriger Beschützer, einer der Merowinger-Könige, gegen den eigenen Bruder fiel, warf Kolumban das
Missions-Handtuch und er beschloss, unser Gebiet zu verlassen und nach Italien zu ziehen. Wir haben hier eine goldene
Muschel gefunden, aber sie ist voller Schlangen
, meinte er. Hatte er mit den Schlangen den ihm übel gesinnten Gunzo
und dessen Helfershelfer gemeint?
Oder doch eher die Bewohner von Bregenz?
Gallus sollte mitgehen, doch der behauptete, reiseunfähig zu sein und Fieber zu haben. Das war bei näherer Betrachtung seines Ruhelagers nicht verwunderlich. Es war nämlich eine etwas seltsame Ruhestätte: eine Sandsteinplatte, in der sich eine Vertiefung in der Form eines menschlichen Körpers zeigte.
Ob Kolumban dem kranken Gallus geglaubt hat? Die Auseinandersetzung zwischen
den beiden soll für Gallus mit dem Ergebnis Messe-Leseverbot
geendet haben. Kolumban und Gallus lasen übrigens keine
römischen Messen, die Iren hatten ihren eigenen Ritus. Wie auch immer also der Streit – wenn es überhaupt einer war –
ausgegangen sein mag, Kolumban wanderte rheinaufwärts und stieg mit über 70 Jahren über den
Lukmanierpass; an dessen südlichem Abhang steht
in Olivone noch heute eine uralte Kolumban-Kirche.
Das Blenio-Tal
, Tal der Sonne
, wurde für ihn das Tal der untergehenden Sonne. Es folgten zwar noch eine
ehrenvolle Aufnahme beim Langobarden Agilulf und die Neugründung des Klosters in
Bobbio in den Apenninen, sogar der Ruf eines
weiteren Merowingers erreichte ihn, doch … es sei nicht der Wille Gottes, dass er die Alpen noch einmal übersteige, ließ
er ausrichten.
615 starb er in Bobbio. Dass sein Wanderstab an Gallus überbracht wurde, ist wahrscheinlich ebenso eine Legende wie manches andere in seiner Lebensbeschreibung. Dass dagegen im November des Jahres 1985 – 1370 Jahre nach seinem Tod – von Bischof Barabino aus Bobbio Reliquien des Heiligen nach Bregenz gebracht worden sind, entspricht den Tatsachen.
Neben der St.-Kolumban-Kirche in Weidach befindet sich ein mächtiger Basaltstein. Er stammt vom Meeresufer der nordirischen Stadt Bangor und ist bereits ein Jahr zuvor von dort hierher transportiert worden. Der imponierende Brocken ist ein Geschenk dieser Stadt, in der Kolumban mit zwanzig Jahren ins gerade gegründete Kloster eingetreten und von der er mit knapp fünfzig Jahren mit zwölf Gefährten aufgebrochen war, um in der Ferne als Glaubensbote zu wirken. Für den Transport des rund zwei Tonnen schweren Geschenks musste ein entsprechendes Gefährt der Firma Weiss eingesetzt werden, um den gewaltigen Brocken auf seiner Weiterreise von Dublin nach Bregenz zu bringen.
Aus: Franz Elsensohn: Kolumban und Gallus. In: ders.: Sagenhaftes Bregenz. Eigenverlag, Bregenz 2010
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korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
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