Ökumenisches Heiligenlexikon

Bonaventura im Urteil von Gunnar Decker


Unter der Überschrift Bonaventura wird Ordensgeneral und unternimmt die Befriedung eines nicht befriedbaren Gegensatzes. Ein fauler Kompromiss? beschreibt und beurteilt Gunnar Decker in seinem 2016 erschienen Buch über Franziskus von Assisi das Wirken von Bonaventura:

Bonaventura stirbt 1274 im gleichen Jahr wie Thomas von Aquin. Doch spricht man von diesem und nicht von Bonaventura als Lehrer der Scholastik in ihrer höchsten Blüte. Vielleicht: war die Hypothek - das strikte Armutsgebot, das Franz den Brüdern als Vermächtnis hinterlassen hatte — zu schwer, um daraus theologisch-philosophische Funken zu schlagen? Bonaventura verhält sich zu Franz von Assisi wie der spanische Großinquisitor in Dostojewskis Die Brüder Karamasow, als der wieder auf die Erde zurückgekehrte Jesus vor ihm steht.

Nun ist Franz nicht wiedergekehrt, aber in Gestalt der Spiritualen lebt sein ursprüngliches Ideal weiter. Dostojewskis Großinquisitor fühlt sich von Jesus gestört, man habe sein Werk in der Zwischenzeit verbessert, und er will ihn am nächsten Morgen als Ketzer verbrennen lassen. Auch Bonaventura besteht den Spiritualen gegenüber darauf, dass sich der Franziskanerorden in Analogie zum Urchristentum entwickelt und dabei manches zurückgelassen habe, was sich nicht bewährte, wie das absolute Geldverbot oder die Verachtung jeglicher Bildung. Etienne Gilson nimmt diese dialektische Steilvorlage auf, wenn er in seiner Bonaventura-Biographie bekräftigt: Es lag dem heiligen Bonaventura fern, in dem ständigen Anwachsen der Zahl der Gelehrten und Gebildeten im Orden eine Abfallerscheinung vom ursprünglichen Ideal zu sehen. Und weiter in Form einer lupenreinen scholastischen Volte: Die Tatsache des Ordens selbst bildete also in seinen Augen das untrügliche Merkmal, an dem sich Christi Werke erkennen lassen. 1


Bonaventura zielte nicht auf eine Trennung von Kirche und Staat wie Wilhelm von Occam und Roger Bacon. Er wollte jenen Status quo von Theologie und Philosophie wiederherstellen - die Philosophie als Dienstmagd der Theologie und damit der Kirche! -, den Franz selbst aufgekündigt hatte.

Geboren worden war Bonaventura als Johannes Fidenza 1221 in der Toskana, dem Orden der Minoriten gehörte er seit 1238 an. Er hatte in Paris studiert und lehrte dort seit 1257 als Doktor der Theologie. Die im Streit um theologische Positionen befangene Pariser Universität blieb in seinem Leben immer ein wesentlicher Bezugspunkt.

Im selben Jahr, 1257, wird er auf einem Generalkapitel in Rom zum Ordensgeneral gewählt. Er bringt ein ganzes Bündel von scholastischen Fragestellungen mit, was die wenigen noch lebenden Weggefährten Franz' von Assisi mit höchstem Widerwillen beobachten. Bonaventura ist ein Ordnungsdenker strenger Observanz - als ärmlichen Wanderprediger kann man ihn sich kaum vorstellen. Das zeigt sich unmittelbar am Umgang mit seinem Vorgänger als Ordensgeneral, Johannes von Parma, ein den Spiritualen nahestehender Minorit. Wegen seiner asketischen Lebensweise besitze er im Orden eine unbestrittene Autorität - aber er war in Parteienkämpfe geraten, und die Kurie drängte auf seine Absetzung, die dann auf dem Generalkapitel in Rom erfolgte.

Doch damit nicht genug: Umgehend stellt man ihn vor Gericht und verurteilt ihn - unter maßgeblicher Mithilfe des neuen Ordensgenerals Bonavencura - wegen Häresie. Nun ist es allerdings die Kurie in Gestalt von Kardinal Ottoboni (später Hadrian V.), die eingreift und Johannes von Parma vor dem Scheiterhaufen rettet. Dieser zieht sich in die Einsiedelei des symbolträchtigen Greccio zurück, wo er 1289 stirbt.

Mit Bonaventura kommt erstmals ein Vertreter jener zweiten Generation an die Ordensspitze, die Franz nur noch vom Hörensagen kennt. Bonaventuca versteht sich bereits fraglos als Teil der Kirche. Er, dessen Selbstverständnis ein theoretisches ist, versucht, die Synthese von Wissen und Glauben aufrechtzuerhalten. Gegen radikale Aristoteles-Lesarten, die auf eine Begründung des autonomen Wissens zielen, stellt er einen über Plotin gelesenen Platon, Damit kommt jene Lichtmetaphysik ins Spiel, die sich bei Bonaventura als Mystik im christologischen Sinne seigen wird - mit einer detailliert ausgearbeiteten Engelsordnung, die über die seraphischen und cherubinischen Sphären Ausführliches zu berichten weiß. Mit Bonaventura kehrt jedoch auch ein Bewusstsein der Apokalypse zurück in die Scholastik. Gegen das Übermaß an Logik, die er kritisiert, stellt er den Willen. Dieser wird ihm zur Form des lebendigen Geistes.

Mit Bonaventura treten die Natur, das Individuum und das Sinnliche in die Scholastik ein - jedoch in Form einer ornamental ausufernden Mystik, über die Kurt Flasch schreibt: Die Seele ist ein Spiegel der Gottheit; hat sie einmal die Umkehr aus der verkehrten Anhänglichkeit ans Sichtbare vollsogen, findet sie in sich das göttliche Licht, das jeden Menschen erleuchtet (Illuminationstheorie der Erkenntnis). Diese Metaphysik des Lichts wurde ebenso wie die Aufmerksamkeit für die Bedeutung des Willens ein Kennzeichen der Franziskanerschule. 2

Die Rolle, die Bonaventura als Ordensgeneral spielte, ist oft und heftig kritisiert worden. Denn: Wenn er auch mit dem Anspruch auftrat, die Einheit des von Parteienkämpfen bedrohten Ordens zu erhalten, so tat er dies jedoch als Machtpolitiker und ganz und gar auf Kosten jener spiritualen Kräfte, die sich auf Franz' ursprünglichen Geist beriefen. Das strenge Armutsgebot, das Verbot, Geld auch nur zu berühren, ist für Bonaventura eine Übertreibung der Eiferer im Orden, die es in Franz' Namen zurückzudrängen gelte.

Darum betreibt er einerseits energisch die Angleichung des Franziskanerordens an die alten Mönchsorden - um andererseits mit einer pastoralen Offensive der Krise des Ordens, die unübersehbar geworden ist, zu begegnen. Die Brüder sollen häufiger - und zu festgelegten Zeiten - beten und beichten. Der Ordenshistoriker Heribert Holzapfel drückt sich diplomatisch aus, wenn er über Bonaventura schreibt, er habe sich »auf den Standpunkt des historisch Gewordenen« gestellt. Dabei geht es nicht zuletzt um die Annahme von Privilegien für den Orden und auch für einzelne Vertreter desselben, etwas, das die Spiritualen unter Berufung auf Franz von Assisi strikt ablehnen: Überzeugt von der Unmöglichkeit, den Orden auf den Stand der zwanziger Jahre zurückzuführen, machte er nach dieser Richtung nicht den geringsten Versuch, im Gegenteil verteidigte er die Notwendigkeit des Studiums, der Seelsorge, der großen Häuser zum Zwecke der Erziehung, der Exemption und ähnliches, was dem Orden mehr Festigkeit gab. Aber er wollte, dass innerhalb dieses Rahmens Zucht und Ordnung herrsche, dass die Armut der Brüder gewahrt bleibe und die zügellose Freiheit beschränkt werde, welche die einen zum Laxismus, die anderen zur eigenmächtigen Separation führte 3


Hier wird offensichtlich, dass Bonaventura die Quadratur des Kreises will. Eine Reform, die sich den praktischen Gegebenheiten stellt und gleichzeitig im Sinne von Franz' Nachfolge ist, so lautet der Anspruch. Aber die Spiritualen merken sofort, dass sie mit Bonaventura einen unerbittlichen Gegner haben. Denn als eine seiner ersten Amtshandlungen erlaubt er die Annahme von Legaten. Holzapfel, der redliche franziskanische Chronist, nennt dann das, was nun noch folgt, einen Krebsschaden, der unendlich viel Unheil über den Orden gebracht habe: … nämlich die Gewährung von päpstlichen Gnadenerweisen an einzelne Brüder, Häuser oder Provinzen 4. Bonaventura legt zudem definitiv fest, die Farbe der Kutten der Brüder sei grau (bislang schwankt sie zwischen schwarz und weiß).

Um in seinen Anordnungen freie Hand zu haben und möglichen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, verfügt er zudem, alle früheren Erlasse von Ordensgeneralen seien aufgehoben. Das darf man bereits diktatorisch nennen.

Die Aufnahme von Novizen wird ab sofort von ihren Kenntnissen in Grammatik und Logik abhängig gemacht - womit klar ist, dass Bonaventura nur noch studierte Theologen in den Orden aufnehmen will (die Annäherung an den Predigerorden der Dominikaner wird hier offensichtlich). Und auch eine weitere Konsequenz, die sich daraus gibt, ist von ihm gewollt: Laien, und sei es auch nur zu niederen praktischen Arbeiten in den Häusern, sollen nur noch mit einer besonderen Genehmigung aufgenommen werden dürfen. Für alle, die dieser offensichtlichen Klerikalisierung des Ordens widersprechen, sollen Gefängnisse gebaut werden — der Organisator Bonavencura denkt an alles.

Er sieht die Krise und handelt entschlossen, denn der Orden droht auseinanderzufallen. Einerseits nimmt der Amtsmissbrauch immer weiter zu, das eben noch so hohe Ansehen der Franziskaner beim Volk ist bereits verspielt. Andererseits gibt es extreme Positionen im Orden, die Nachfolge des Franz zu leben, ein Maß an Askese, das für die Mehrheit der Brüder unannehmbar ist, auch weil es tatsächlich weltfremd ist und von einem fanatischen Selbstverständnis zeugt. Wie also aus Laxheit hier und Rigorismus dort eine neue Einheit schaffen?

Als gewiefter Scholastiker und zudem in Paris durch professorale Fußnotenkämpfe akademisch gestählter Ordnungsdenker schreibt Bonaventura nun selbst eine Biographie von Franz, die Legenda Maior. Diese ist nicht mehr als eine sich durch überbordende Ausschmückungen auszeichnende Kompilation der vorangegangenen Lebensbeschreibungen. Ins Zentrum stellt er dabei Franz als Wundertäter, der Kranke heilt (aber nicht durch praktische Hilfe, sondern durch göttlichen Geist) und sogar Tote wieder erweckt. Damit ist Franz als neuer Christus etabliert — und wird derart überhöht unters Volk gebracht.

Was ihm nicht wenige Brüder besonders übel nehmen, ist, dass er, um zu verhindern, dass man sich in Auseinandersetzungen mit ihm auf die frühen Lebensbeschreibungen von Thomas von Celano oder der drei Gefährten bezieht, diese für ungültig erklärt, wie er es bereits mit Entscheidungen seiner Ordensgeneralvorgänger getan hatte. Er initiiert sogar die Vernichtung aller Exemplare der bisherigen Biographien! Zum Glück überdauern dennoch einige, die in Ordensbibliotheken versteckt worden waren.

Die offizielle Ordensgeschichtsschreibung besteht jedoch darauf, dass Bonaventura vom Generalkapitel beauftragt wurde, eine neue Vita des Ordensgründers zu schreiben, und dass es nicht Bonaventura selbst, sondern wiederum die höchste Versammlung des Ordens gewesen sei, die 1266 beschlossen habe, nur noch Bonaventuras Legenda Maior als gültig anzuerkennen und alle früheren Lebensbeschreibungen zu vernichten. Wenn man sich allerdings daran erinnert, dass es Bonaventura persönlich war (was von niemandem bestritten wird), der verrügte, alle früheren Entscheidungen von Generalministern seien null und nichtig, niemand könne sich mehr darauf berufen, dann weiß man, auf wen ein solch biographisches Monopol lecztendlich zurückgeht.


Mit der Legenda Maior soll das katholische Fransiskus-Bild kanonisiert werden, was auch bedeutet, es jeder soziairevolutionären Wirksamkeit zu berauben - insbesondere durch die opportunistische Behandlung der heiklen Punkte Geldverbot und arme Kirche.

Dass Bonaventura von oben dekretierend in den Streit der verschiedenen Parteien der Brüder eingreift, ist das eine, dass er damit aber keinen wirklichen Beitrag zur Versöhnung im Orden leistet, wie er von sich behauptet, wird die weitere Entwicklung zeigen. Der Effekt dieser Machtanmaßung Bonaventuras jedoch war, dass im Mittelalter nur die Legenda Maior verbreitet wurde (auch Giotto kennt nur diese, als er seinen berühmten Freskenzyklus in der Franziskuskirche schuf).

In späteren Jahrhunderten (zum Teil erst im 20. Jahrhundert) tauchten dann in Klosterbibliotheken und Stadtarchiven wieder Exemplare früherer Biographien auf, das Ausmaß der bis zur Verfälschung getriebenen Ausschmückungspraxis Bonaventuras wurde damit offenkundig. Dass Bonaventura es zumindest geschafft hatte, mittels ordnungspolitischer (polizeilicher!) Maßnahmen den Orden zu festigen und seine Stellung der Kurie gegenüber zu verbessern, führte dazu, dass man in ihm auch verstärkt den Konkurrenten sah, den man jedoch nicht unter Häresieverdacht stellen konnte wie seinen Vorgänger Johannes von Parma. So wurde Bonaventura auf der Karriereleiter nach oben gestoßen, dorthin, wo er de facto weniger Einfluss auf die Ordensgeschichte hatte. Also macht ihn Gregor X. zum Kardinalbischof von Albano und setzt hinzu, dass er eine Weigerung, den Posten anzutreten, nicht anerkennen werde. Es ist höchst unüblich. Jemand von der Ordensspitze weg mit einem Bischofsamt zu beladen. Bonaventura fügt sich, nimmt den Posren an, gibt die Ordensleitung jedoch nicht ab. Der Doppelbelastung jedoch zeigt sich seine Gesundheit nicht gewachsen. Auf dem Generalkapitel 1274 in Lyon, das er leitet, stirbt er überraschend.


… Gewiss, Bonaventura war ein hochgebildeter Mystiker (ein Widerspruch in sich!), gilt zumal als der erste Theologe von Rang unter den Franziskanern. In den Augen nicht weniger Brüder blieb er jedoch ein Verräter des urfranziskanischen Anspruchs. Darum auch bewahrten sie - trotz Verbots - die früheren Legenden von Thomas von Celano, den drei Gefährten, die Legenda Perusina und weitere Zeugnisse von Franz' Ursprungsideale auf, schützten sie vor der befohlenen Vernichtung.

… Aber vielleicht lebt im Befriedungsversuch Bonaventuras - trotz der gescheiterten Synthese der Extreme, die er anstrebte - etwas von der Geschichtsutopie in Joachim von Fiores Drei-Reiche-Lehre fort, nur eben ihrer gegenwartsverleugnenden Spitze beraubt, bei ihm als Lehre von den sieben Zeitaltern?

Die bisher so nicht möglich gewesene Anerkennung der Geschichte als unabgeschlossener Prozess bei Bonaventura ist durchaus bemerkt worden - ebenso wie seine Nähe in diesem Punkt zu den beiden Wortführern der Spiritualen, Petrus Olivi und Ubertinus de Casale, allerdings ohne die apokalyptische Konsequenz, die beide dann später aus der Drei-Reiche-Lehre Joachim von Fiores ziehen sollten: Es existieren Einbrüche in dieses statische Denken, es existieren intuitive, gleichsam blitzartige Vorstöße eines Denkens, das in unmittelbarer Kommunikation mit biblischem Geschichtserleben stehe und den Menschen im Rahmen echter offener Zukunft sieht.

Diesem aufbrechenden Element steht jedoch ein affirmatives entgegen: Obwohl Bonaventura konkret geschichtlich dachte — vor allem wegen seiner Nähe zur Schrift -, ist es ihm nicht gelungen, das mittelalterliche, statische Weltbild reflexiv und systematisch zu durchbrechen. Er bleibt - was seine Wissenschaftstheorie angeht — im Rahmen einer Methode, die auf geschichtslose Erkenntnis von Wesenheiten ausgeht. 5

Was Bonaventura kultiviert, das ist eine Zahlenmystik, mit der er Betrachtungen wie diese anstellt: Wenn aber zwölf Anblicke mit zwölf vervielfacht werden, ergibt sich hundenvierundvierzig, das ist die der Stadt Jerusalem. 6 Diese Zahlenmystik lässt ihn Franz von Assisi als einen Repräsentanten des siebenten Zeitalters ansehen - der seraphischen Sphäre, der höchsten Engelsordnung, die identisch ist mit der Herrschaft des Heiligen Geistes.


Ordenspraktisch übersetzt heißt das, der Franziskanerorden soll sich als seraphischer Orden verstehen, er repräsentiert das siebente Zeitalter, die göttliche Ordnung, die es jedoch erst noch zu errichten gelte, Bonaventura schreibt im Hexaemeron: Welcher jedoch dieser kommende Orden sei, und ob er überhaupt schon da sei, das ist nicht leicht zu wissen … Dieser Orden wird keine Blüte tragen, außer Christus erscheine in seinem mystischen Leibe. Das klingt nach jener mystischen Art, die Geschichte in einer Bewegung (hin zu Gott) zu betrachten, die uns heute nur noch wenig sagt.

Deutlicher wird, was hier gemeint wird, jedoch im Folgenden, denn der Schritt von der sechsten Ordnung (der cherubinischen) hin zur siebenten (der seraphischen) bedeutet: auch, dass manchmal ein Laie vollkommener als ein Ordensmann ist. Das war zwar für Franz von Assisi von Anfang an eine fraglose Tatsache gewesen (er selbst war schließlich auch ein Laie), jedoch war diese Einsicht im Verlaufe der Insritutionalisierung in den Hintergrund gerückt und musste nun als Form der Selbstvergewisserung des Ordens in einer Krisensituation neu entdeckt werden — vom scholastischen Ordensgeneral Bonaventura selbst.

Es beginnt die Zeit der Interpretationen, die das Paradox, das im Minderbrüderorden (bis heute) verborgen liegt, als sein Lebensprinzip zu entdecken versuchen. Beachtlich scheint, dass diese Interpretationen immer das utopische Element in sich wachhaken: Der künftige seraphische Orden ist kein religiöses Institut, aber eine Anzahl individueller Personen, die dem Beispiel des Franziskus folgend aufsteigen von der Spekulation zur Ekstase. … Es gibt keine radikale Trennung der zwei Zeitalter, und damit keine radikale Trennung zwischen Franziskus und seinen beiden 0rden. Der Minderbrüderorden ist Institutionen, aber wie könnte je der neue Orden institutionell sein, da die Mystik sich nie institutionalisieren lässt. 7


Mit Bonaventuras Legenda Maior steht Franz von Assisi als Wundertäter vor uns, nicht seine Natur ist es, die mit neuer Kraft überkommenes überwindet, sondern seine übernatürlichen Fähigkeiten, durch die er sich als Werkzeug Gottes beweist. Franz von Assisi ist bei Bonaventura bereits als jener zweite Jesus verklärt, den es anzubeten gelte. Eine subversive geschichtsbildende Kraft - die die Spiritualen in ihm wissen - existiert in dieser Lesart der Nachfolge des Franz nicht mehr.

Franz von Assisi vervollkommnet mit seinem Auftreten das Bild der katholischen Kirche - so sieht es Bonaventura, der damit die Franziskaner ganz auf klerikale Linie bringt. Die religiöse Laienbewegung, deren geschichtliche Stunde mit Franz von Assisi ein halbes Jahrhundert zuvor gekommen war und die die Besonderheit der Minderbrüdergemeinschaft ausmachte — sie tritt nicht nur in den Hintergrund, sondern hört fast ganz auf zu existieren. Und damit hört der geschichtliche Impuls der vita activa, mit der Franz von Assisi das neue Selbstbewusstsein der Städte aufgenommen hatte, ebenfalls auf. Mit der Klerikalisierung der Minderbrüder ist es wieder die alte vita contemplativa, die den Geist des Ordens ausmacht, der so von einer Avantgardebewegung zu einer restaurativen Kraft wird.


Das zeigt sich an der Stellung der Arbeit im Orden. Prägte in den Anfängen der Franziskanerbewegung die Hochschätzung der Arbeit die Minoritenbruderschaft, wenn auch unbezahlter Arbeit, nur um der Lebensmittel wegen, so ist man bei Bonaventura wieder bei der klerikalen Geringschätzung der Arbeit angelangt. Kein Wunder, waren die Wanderprediger der Anfangszeit ein mobiles Element, so hatten sich zu Bonaventuras Zeiten die großen Konvente mit einer starren Hierarchie durchgesetzt. Oben standen die KlerikerEin Kleriker ist in der orthodoxen, katholischen, anglikanischen und altkatholischen Kirche ein geweihter Amtsträger, der eine der drei Stufen des Weihesakraments - Diakon, Priester oder Bischof - empfangen hat. Im Unterschied zu den Klerikern bezeichnet man die anderen Gläubigen als Laien. Angehörige von Ordensgemeinschaften gelten, wenn sie nicht zu Priestern geweiht sind, als Laien und in der Orthodoxie als eigener geistlicher Stand. In den protestantischen Kirchen gibt es keine Unterscheidung von Klerus und Laien., die als Einzige noch eine Predigterlaubnis bekommen konnten, sie lebten wieder das feudale Prinzip: Klosterarbeit wurde von Dienstleuten übernommen. Die Utopie ist tot?

Aber es gibt Kräfte im Orden, die diese Verklärungsgeschichte mit aller Schärfe bekämpfen, die Bonaventura und den KlerikernEin Kleriker ist in der orthodoxen, katholischen, anglikanischen und altkatholischen Kirche ein geweihter Amtsträger, der eine der drei Stufen des Weihesakraments - Diakon, Priester oder Bischof - empfangen hat. Im Unterschied zu den Klerikern bezeichnet man die anderen Gläubigen als Laien. Angehörige von Ordensgemeinschaften gelten, wenn sie nicht zu Priestern geweiht sind, als Laien und in der Orthodoxie als eigener geistlicher Stand. In den protestantischen Kirchen gibt es keine Unterscheidung von Klerus und Laien. nicht Franz' Erbe überlassen wollen. Er ist für sie kein Heiliger zum Anbeten, sondern ein brüderliches Vorbild, dem es im praktischen Leben nachzufolgen gilt - vor allem in seinem strikten Armutsgebot, das er dem Orden als Testament hinterließ.

Diese so schlichte Hochschätzung der evangelischen Armut, das sei an dieser Stelle bemerkt, wird in der katholischen Kirche bis heute immer noch einer scholastischen Nebelwerferei ausgesetzt, die der simplen Tatsache, dass Franz von Assisi das Geld als Unrat ablehnte, also die Armut auch als eine soziale begriff, einen verunklarenden Wust von Metaphern entgegensetzt.

1 Étienne Gilson: Der heilige Bonaventura. Hellerau 1929, S. 71

2 Franz Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Stuttgart 1986, S. 347

3 Heribert Holzapfel: Handbuch der Geschichte des Franziskanerordens. Freiburg i. Br. 1909, S. 34

4 ebd., S. 35

5 Alexander Gerken: Besaß Bonaventura eine Hermeneutik zur Interpretation der Geschichte? In: Wissenschaft und Weisheit 37 (1974), S. 19 - 39, hier S. 39

6 Bonaventura: Collatio XXIII. In: Bonaventura: Collationes in Hexaemeron (Das Sechstagewerk). München 1964, S. 733

7 L. Smiths: Die Utopie des mystischen Zeitalters bei Bonaventura. = Franziskanische Studien 67 (19859, S. 131

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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 13.01.2019
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