Ökumenisches Heiligenlexikon

Heiliger oder Hund?


Rezension des Buches: (Link mit Vergütung) Jean-Claude Schmitt: Der heilige Windhund. Saint Guinefort, Heiliger und Hund. Übersetzt von Eva Salevid und Jan Stolpe. Autorenverlag 1985.

Irgendwann um die Mitte des 13. Jahrhunderts reiste der Dominikaner und Inquisitor Étienne de Bourbon in die Region Dombes westlich von Saönc in Zentralfrankreich. Hier lernte er einen bemerkenswerten Kult kennen, dem sich die lokale Bevölkerung widmete. Sie brachten ihre kranken Kinder zu einem Ort, der angeblich das Grab des Heiligen Guinefortus (Guinefort) sein sollte, doch zu seiner Überraschung erfuhr Étienne, dass der Heilige ein Windhund war. Über ihn wurde die folgende Legende erzählt.

Es war einmal eine Burg, in der ein Ritter lebte, der einen kleinen Sohn hatte. Als der Ritter einmal unterwegs war, war eine Schlange in das Zimmer eingedrungen, in dem der Junge schlief. Der treue Windhund, der das Kind bewachte, ging zur Verteidigung und biss die Schlange zu Tode. Als der Ritter dann nach Hause kam und das Blut sah, dachte er, der Hund hätte seinen Sohn getötet, zog sein Schwert und tötete ihn. Erst zu spät verstand er den Kontext. Er warf den Körper des Hundes in einen Brunnen und bedeckte ihn mit Steinen. Von der angeblichen Burgsiedlung blieb nur noch der Brunnen übrig.

Hier passierten seltsame Dinge. Kranke Kinder wurden zu einer Behandlung hierher gebracht, die Étienne bereits als lebensbedrohlich empfand. Nachdem man am Grab des Hundes Salz und andere Dinge geopfert hatte, wurden die Windeln des Kindes an die Zweige der Büsche gehängt. Die Frauen, um die es geht, warfen das nackte Kind dann neun Mal zwischen zwei Bäumen hindurch – man kann es mit dem alten schwedischen Brauch vergleichen, ein krankes Kind durch die Öffnung in einem Baum zu ziehen. Dann wurde das Kind mit zwei brennenden Kerzen allein gelassen. Die Idee war, dass die Faune [Waldgeister oder Mischwesen der römischen Mythologie] im Wald das Kind möglicherweise ersetzt hätten und sie nun die Chance hätten, ihren Ersatz zurückzugewinnen und das echte und gesunde Kind zurückzugeben. Alles endete damit, dass das Kind neunmal in den Fluss Chalaronne getaucht wurde, was laut Étienne über gute Überlebenskräfte verfügen musste.

Étienne de Bourbon ging sofort gegen den Aberglauben vor. Er ließ die Knochen des Hundes ausgraben und die Bäume rund um den Brunnen fällen und dann alles verbrennen. Trotzdem hat der Kult bis in unsere Zeit stillschweigend weitergelebt. Die letzten Spuren davon finden sich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs.

… Die Legende erhält eine Strukturanalyse. Schmitt findet den echten Heiligen Guinefortus, der im frühen 4. Jahrhundert den Märtyrertod erlitt und in Pavia in Norditalien begraben liegt. Anhand lokaler Informationen und Karten zeigt er dann, wie sich der Kult um ihn geradlinig bis nach Nordwestfrankreich ausgebreitet hat. Die seltsamen Riten werden der Reihe nach analysiert und man kann ihre Geschichte bis in die Gegenwart verfolgen. Bereits im 13. Jahrhundert wurde alles von einer weisen alten Frau geführt, deren letzte Kollegin 1936 starb. Es gibt auch eine topografische Beschreibung des Geländes, und Schmitt geht insbesondere auf die Frage ein, ob es dort eine Burg gab, jedoch ohne bestimmte Ergebnisse.

… Die Bauern – und hier insbesondere die Frauen – haben ihr eigenes religiöses Leben auf Distanz und teilweise im Gegensatz zum offiziellen Kirchenleben geführt. Die Legende des Hundes, die Riten rund um die Kinder und verstreutes Wissen über den Heiligen Guinefortus wurden aus verschiedenen Quellen in dieser bemerkenswerten und lebensfähigen Volkstradition vereint. Hund und Heiliger werden durch Klangähnlichkeiten und die Verbindung mit den Hundstagen, also dem roten Monat, in den Guinefortus' Tag, der 22. August, fällt, zusammengebracht. …

Der Ort, an dem im 13. Jahrhundert der Kult stattfand, ist heute bewaldet und wird Saint-Guinefort-Wald genannt. Schmitt geht davon aus, dass der Kult auch im Mittelalter in einem Wald stattfand. Unser Weiser sagt uns jedoch etwas anderes. Der Standort der Ritterburg war durch Gottes Eingreifen zu einer Einöde (desertum) geworden, möglicherweise mit Buschvegetation, denn es heißt, dass die Windeln der Kinder an den Büschen aufgehängt wurden. Mittelpunkt des Kultes war der zugeschüttete Brunnen mit dem Grab des Hundeheiligen, um den herum Lauben gepflanzt worden waren. Diese ganze Anlage nennt Étienne einen Hain, und er war nicht größer, als er die Bäume fällen und zusammen mit den Hundeknochen verbrennen lassen konnte.

Der Wald lag in einiger Entfernung, und vielleicht befand sich die Kultstätte direkt am Waldrand. Die Faune lebten im Wald, d. h. waaren Waldbewohner, die wie Trolle gerne Kinder verschenkten. Auch einmal war ein Wolf aus dem Wald gekommen und hätte es beinahe geschafft, eines der aufgebahrten Kinder zu stehlen. Kultstätte und Wald sind also zwei verschiedene Bereiche, und mit ihrem Brunnengrab und den gepflanzten Bäumen gehörte die Kultstätte gewissermaßen zur Zivilisation. Bereits im 13. Jahrhundert wurde die Kultstätte zerstört und schließlich vom Wald übernommen. In späteren Zeiten fanden die Riten im Wald statt, ohne dass es einen besonderen Ort der Verehrung gab. Doch schon in den 1820-er Jahren behauptete dort ein Bettler, den Ort des Grabes zu kennen.

… Anstatt von der Legende des Hundes oder den Überlieferungen des heiligen Guinefortus auszugehen, sollte man den Ort der Verehrung und die dortigen Riten in den Vordergrund stellen. Wir wissen nicht, welche Funktion der Brunnen hatte – Schmitt geht überhaupt nicht auf die Frage ein, ob es möglicherweise Überreste davon gibt – und die Rituale könnten sehr wohl vorchristlichen Ursprung haben. Wenn man es so betrachtet, werden die Hundelegende und der Name Guinefortus zu Motiven, die erst sekundär und, wie Schmitt betont, erst im 11. Jahrhundert damit verknüpft wurden. Es gibt etwas vage lokale Informationen über eine Kapelle für Guinefortus hier und eine Statue von ihm (als Bischof), die im 19. Jahrhundert erhalten geblieben sein dürfte. Ein halb vergessener Heiligenkult könnte daher später mit dem Brunnengrab in Verbindung gebracht worden sein.

Ob der Hund oder der Heilige zuerst war, lässt sich heute nicht mehr sagen. Dennoch kann man feststellen, dass die Hundesage ihre Funktion ändert, wenn sie mit dem Brunnen in Verbindung gebracht wird und so zu einer lokalen Legende wird. Eine solche Funktion hat keine der anderen Versionen der Legende, die Schmitt wiedergibt. (Mit einer merkwürdigen Ausnahme: Der Filmregisseur Roberto Rossellini behauptete einmal in einem Interview, eine ähnliche Tradition gehört zu haben, aber Schmitt konnte sie nicht aufspüren.) …

Schmitt kennt nur eine einzige Darstellung der Windhundlegende, und zwar in einem Druck aus Straßburg aus dem Jahr 1535. Es gibt jedoch mindestens ein älteres Bild. dieser wurde gerendert. Es gehört zu den Illustrationen im Buch der Weisheit, das 1483 von Lienhart Holle in Ulm gedruckt wurde. Trotz deutlicher Unterschiede ist der Zusammenhang zwischen den Bildern klar und rein bildlich ist es wahrscheinlich, dass das ältere Bild ein Vorbild für das spätere ist. Nun ist das Buch der Weisheit eine deutsche Übersetzung von Johannes von Capuas Directorium humanae vitae, die wiederum über das Hebräische und Arabische in der indischen Märchensammlung Pancatantra wiederkehrt. Das Bild gehört somit zu dieser Tradition, die Schmitt mit etwas vagen Begründungen als irrelevant abtut.

Quelle: Per Beskow: Heiliger oder Hund? In: Signum 7, Uppsala 1985

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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 26.11.2024

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