Ökumenisches Heiligenlexikon

Die Heiligsprechung von Ulrich von Augsburg


Von 993 datiert das erste Beispiel einer Papsturkunde über eine Kanonisation. Danach traten päpstliche Schreiben zu Heiligsprechungen zunächst sehr selten auf. Es folgten auf die Urkunde zu Ulrich von Augsburg noch zwei ähnlich lange Stücke, nämlich zu Simeon von Trier (ca. 1035/36) und Gerhard von Toul (1050). Kürzere Briefe gibt es zu == Simeon von Polirone von gleich mehreren Päpsten. Bis auf ein umstrittenes Original (bei Simeon von Trier) sind alle Stücke kopial überliefert. In der Frühzeit der Entwicklung, als die päpstlichen Aktivitäten in Sachen Heiligsprechung gerade erst begannen, hatten auch die entsprechenden Urkunden einen exeptionellen Charakter. Es verwundert daher kaum, daß bei allen dieser frühen Beispiele der Verdacht geäußert wurde (und wird), es handele sich um Fälschungen.

Am Anfang der päpstlichen Schreiben zu Kanonisationen steht der Fall des 993 kanonisierten Bischofs Ulrich von Augsburg. Ein Original der dazu von Papst Johannes XV. (985 - 996) im Anschluß an eine Synode oder Versammlung des römischen Klerus 1 ausgestellten Urkunde ist nicht erhalten. Deren Überlieferung läßt sich mittlerweile bis ins 12. Jahrhundert nachvollziehen, während sich die älteren Drucke ausnahmslos auf die erste vollständige Edition von 1595 stützten. Für die Kanonisation gibt es zudem auch chronikalische Belege.

Die Urkunde besitzt am Anfang die übliche Intitulatio und eine Adresse an alle Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte in Gallia et Germania, stellt also eine regional eingegrenzte Enzyklika dar. Der Kontext beginnt ohne Vorrede mit der Narratio. Eingangs werden Anlaß, Ort und Zeitpunkt der Kanonisation erwähnt, nämlich eine Romrömische KlerikerEin Kleriker ist in der orthodoxen, katholischen, anglikanischen und altkatholischen Kirche ein geweihter Amtsträger, der eine der drei Stufen des Weihesakraments - Diakon, Priester oder Bischof - empfangen hat. Im Unterschied zu den Klerikern bezeichnet man die anderen Gläubigen als Laien. Angehörige von Ordensgemeinschaften gelten, wenn sie nicht zu Priestern geweiht sind, als Laien und in der Orthodoxie als eigener geistlicher Stand. In den protestantischen Kirchen gibt es keine Unterscheidung von Klerus und Laien.-Versammlung unter Johannes XV. am 31. Januar 993, die demnach wenige Tagge vor der Ausstellung der Urkunde stattfand. Bei der Zusammenkunft im Lateranpalast habe sich Bischof Liutold von Augsburg vor dem Papst, der von Bischöfen und Priestern umgeben und von Diakonen und dem Klerus umstanden war, erhoben und eine Rede gehalten. Darin habe er darum nachgesucht, das mitgebrachte Büchlein über Leben und Wunder Ulrichs, des einstigen Bischofs von Augsburg, verlesen zu dürfen. Außerdem habe er um die Entscheidung nach Gutdünken gebeten, da in einer Versammlung von Priestern die Anwesenheit des heiligen Geistes durch die (wörtlich angeführte) Aussage im Evangelium bezeugt werde, daß dort, wo zwei oder drei in Gottes Namen versammelt seien, er mitten unter diesen sei (Mt. 18, 20). Da dies schon für eine kleine Zahl zutreffe, müsse dies um so mehr für den aktuellen Anlaß gelten, bei dem eine ganze Schar von Heiligen zusammengekommen sei, da diese Versammlung schon durch die ihr gebührende Ehrerbietung als heilig zu bezeichnen sei. Mit dieser Begründung für eine Zuständigkeit der Versammlung endet die in den Urkundentext eingefügte Rede des Bischofs, und es schließt sich die Beschreibung des folgenden Ablaufes an. So habe man die Vita Ulrichs verlesen, dann die Wunder behandelt, die er zu Lebzeiten und danach gewirkt habe, nämlich die Heilung von Blinden, die Austreibung von Dämonen, die Heilung von Paralytikern und viele andere, die aber nicht aufgezeichnet worden seien. Dies alles, das gefällig vorgetragen wurde, habe man vernommen und aus gemeinsamem Beschluss befohlen, die Erinnerung an Ulrich fromm und hingebungsvoll zu pflegen. Denn man verehre die Reliquien der Märtyrer und Bekenner, um den anzubeten, von dem die Heiligen kamen (also Gott); wenn man also die Diener ehre, falle dies auf den Herrn zurück. Dies und die folgende Passage ist in der ersten Person Plural gehalten, in einer Art predigthaften Verwendung, die den Papst, die Teilnehmer an der Versammlung und die Christen insgesamt umfaßt. So wird der Wunsch geäußert, daß auch für sie, die auf irdische Gerechtigkeit nicht hoffen könnten, vor Gott Hilfe durch Fürsprache zu erlangen sei, weil die göttlichen Gebote und die der Kanones und der Kirchenväter darauf drängten, Nutzen und Stärke zu erlangen, auch dadurch, daß das Gedenken an den ehrwürdigen Bischof Ulrich der Verehrung Gottes zuzuordnen sei und durch das Gott zu entrichtende Lob lange gedeihen möge. Diese konkludierenden Passagen stützen sich eingangs auf ein Zitat aus einem der Briefe des Hieronymus, das den Kult der Märtyrer begründete und hier auf die Bekenner ausgedehnt wurde. Der zweite Teil der Formel basiert auf einem Privilegienformular im Liber Diurnus. Der eingangs erwähnte Beschluß und seine am Ende etwas versteckt plazierte Wiederholung sind sehr vage gefaßt.

Bei der Kanonisation Ulrichs handelt es sich also nicht um einen Akt, der bewußt neues Recht schuf, sondern um die Übertragung des gebräuchlichen bischöflich-synodalen Rahmens auf den römischen Bischof, was offenbar das Ansehen des Heiligen und die Feierlichkeit seiner Anerkennung steigern sollte. 2 Im Jahre 1036 kam es auf einer Reichssynode in Tribur zu einem weiteren Beschluß der Verehrung Ulrichs, was eine seltene Auszeichnung darstellte. Von päpstlichen Kanonisationen ist in den nächsten Jahrzehnten nichts sicheres zu erfahren, auch dies ein Beleg dafür, daß der Kultakt von 993 keine bewußte Begründung eines neuen Rechts war. Wahrscheinlicher ist eine Kanonisation der polnischen Märtyrer Benedikt, Johannes und ihrer Gefährten, für die Brun von Querfurt bei Johannes XVIII. (1004 - 1009) eintrat.

1 Ob es sich um eine förmliche SynodeSynode (altgriech. für Zusammenkunft) bezeichnet eine Versammlung in kirchlichen Angelegenheiten. In der alten Kirche wurden "Konzil" und "Synode" synonym gebraucht. In der römisch-katholischen Kirche sind Synoden Bischofsversammlungen zu bestimmten Themen, aber mit geringerem Rang als Konzile. In evangelischen Kirchen werden nur die altkirchlichen Versammlungen als Konzile, die neuzeitlichen Versammlungen als Synode bezeichnet. handelte oder eine einfache Versammlung der römischen Kirche, diskutieren Hehl, Lucia 210, mit Tendenz zu letzterer Möglichkeit. Ähnliches deutet Schimmelpfennig, Heilige Päpste 74 Anm. 3, an. Bislang wurde die Zusammenkunft als Synode interpretiert, vgl. Zimmermann, Papstregesten 2l7 f. Nr. 712; Boye. Quellenkatalog 64; Hefele / Leclercq, Histoire IV, 2, 870. Goodlich, Vita Perfecta 22, bezeichnet die Versammlung als Konzil.

2 Zur Bewertung vgl. bereits Kuttner, Reserve 179 f.; Hertling, Materiali 176; außerdem Görich, OttO III. 412; Becker, Der Heilige 60; Bischof. Kanonisation 210; Herrmann-Mascard. Reliques 93; Pötzl, Anfänge 93 f. Kemp, Canonization 55, hat auch für die bischöflichen Translationen festgestellt, daß diese in zunehmend größerem Rahmen und unter Hinzuziehung möglichst vieler Autoritäten stattfanden, wobei Ulrichs Kanonisation eine naheliegende Steigerung dieses Prinzips darstellt. Zoepf, Heiligen-Leben 2l1, hatte diese Heiligsprechung mit einer Augsburger Initiative oder einem Eingreifen des Papsttums erklären wollen, wobei letzteres sicher auszuschließen ist. vgl. auch unten Anm. 34.

Otfried Krafft: Papsturkunde und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanosisationen vom Mittelalter bis zur Reformation. Ein Handbuch = Archiv für Diplomatik, Beiheft 9. Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Wien 2006, S. 20f, S. 25

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Autor: Dr. Otfried Krafft - zuletzt aktualisiert am 20.10.2018
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