Ökumenisches Heiligenlexikon

Leben der heilgen Jungfrau Marina


1. Ein Mann, der in der Welt lebte, hatte eine einzige Tochter, welche noch sehr klein war. Da er nun die Welt zu verlassen wünschte, empfahl er sie einem nahen Verwandten und ging in ein Kloster, das zwei und dreißig Meilen von seiner Vaterstadt entfernt war. Nach seiner Aufnahme verrichtete er daselbst alle Klostergeschäfte mit einer solchen Treue und Ergebenheit, daß ihn der Abt mehr liebte, als alle Andern. Mit der Zeit ging ihm aber die Liebe seiner Tochter zu Herzen, und er fing nun ihretwegen an sich zu härmen und zu grämen. Als nun dieses schon viele Tage so fortdauerte, bemerkte der Abt seinen Gram, und sprach zu ihm: Was fehlt dir doch, mein Bruder! daß du so traurig einhergehest? Sag' es mir, und Gott, der Alle tröstet, wird dir helfen. Dieser fiel ihn nun weinend mit den Worten zu Füßen: Ich habe einen einzigen Sohn, den ich noch ganz jung in meiner Vaterstadt zurückließ, und die Erinnerung an ihn versetzt mich in Betrübniß. Daß sein Kind aber eine Tochter wäre, wollte er ihm nicht anzeigen. Der Abt nun, der hievon nichts wußte und ihn nicht verlieren wollte, machte ihm folgenden Vorschlag: Nun denn, sprach er, wenn du ihn so lieb hast, so geh', bring ihn hieher und er soll bei dir seyn. Dieser machte sich auf, um sie herbeizubringen; sie hieß aber Marina. Er vertauschte ihren Namen und nannte sie Marinus. Im Kloster ließ er sie unterrichten, und behielt sie an seiner Seite, und Keiner von den Brüdern sah sie für ein Mädchen an, sondern alle nannten sie Marinus. Als sie bereits vierzehn Jahre alt war, fing ihr Vater an, sie auf dem Wege des Herrn zu unterweisen und sprach zu ihr: Gib wohl Acht, meine Tochter, daß Niemand dein ganzes Leben hindurch dieses Geheimniß erfahre, und hüte dich wohl vor den Nachstellungen des Teufels , daß du von ihm nicht verführt werdest, und dieses heilige Kloster durch uns aufgelöst zu werden scheine, damit wir vor dem Angesichte unseres Heilandes mit seinen heiligen Engeln die Krone, und nicht mit den Gottlosen die ewige Verdammniß erlangen. Und dergleichen Lehren über das Reich Gottes gab er ihr alle Tage gar manche.

2. In einem Alter von siebenzehn Jahren verlor sie ihren Vater durch den Tod. Sie blieb also in der Zelle ihres Vaters allein zurück, befolgte alle Unterweisungen desselben und war Jedermann im Kloster so folgsam, daß sie von dem Abte und Allen geliebt wurde. Nun hatte aber das Kloster ein Paar Ochsen und einen Karren, weil es in der Nähe des Meeres etwa drei Meilen nach einen Flecken hatte, woher die Mönche ihre nothwendigen Bedürfnisse bezogen. Eines Tages aber redete sie ihr Abt mit den Worten an: Bruder Marinus , warum gehst nicht auch du mit deinen Brüdern, um ihnen zu helfen? Also, o Vater, versezte sie, willst du es haben? In jenem Flecken war indessen eine öffentliche Herberge. Der Bruder Marinus kam nun oftmals mit seinem Karren dahin und übernachtete, wenn es zur Heimkehr zu spät wurde, mit den übrigen Mönchen in dieser Herberge.

3. Der böse Feind wollte es aber, daß der Herbergbesizer eine ledige Tochter hatte. An diese machte sich ein Soldat, verführte sie, und sie empfing von ihm. Als dieses ihre Eltern merkten, drangen sie in das Mädchen und sprachen: Sag uns, von wem hast du empfangen? Von einem Mönche, war ihre Antwort, der Marinus heißt, und hier oft mit seinem Karren blieb; dieser hat mir Gewalt angethan, und ich empfing. Die Eltern gingen unverzüglich nach dem Kloster, wandten sich an den Abt und sprachen: Siehe, Herr Abt, was dein Mönch Marinus gethan hat! Wie hat er unsere Tochter verführt? So! sprach der Abt, wir wollen sehen, ob es wahr sei, was ihr sagt. Als dieser erschien, fragte ihn der Abt: Bruder Marinus, hast du wirklich an ihrer Tochter dieses Verbrechen begangen? Er blieb eine Zeit lang ganz bedenklich stehen, und erwiederte unter einem tiefen Seufzer: Vater, ich habe gesündigt; ich büße für diese Sünde; bitte für mich. Darüber ward der Abt heftig aufgebracht, und ließ ihn schlagen und mishandeln. In Wahrheit, sprach er, ich sage dir, weil du eine solche Sünde begangen hast, sollst du nicht mehr im Kloster bleiben. Und er stieß ihn nun zur Pforte hinaus. Sie aber wollte Niemanden ihr Geheimniß entdecken, sondern warf sich beim Austritte vor die Klosterpforte, übte da auf der bloßen Erde eine Buße, als wenn sie wirklich gesündigt hätte, und flehte die ein- und ausgehenden Brüder an, daß sie ihr doch einen einzigen Bissen Brod geben möchten. So machte sie es drei Jahre hindurch, ohne sich von dem Kloster zu entfernen. Indessen hatte die Tochter des Gastwirthes ein Knäblein geboren, dasselbe der Muttermilch entwöhnt und brachte es als Mutter dem Mädchen und warf es vor die Klosterpforte mit den Worten hin: Da sieh, Bruder Marinus, wie du deinen Sohn erziehen magst. Läßt ihn liegen und geht. Die selige Jungfrau nahm das Knäblein wie ihren eigenen Sohn auf und ernährte ihn, obgleich er nicht ihr angehörte, von den Bissen Brod, die sie von den Klosterleuten empfing. Dieses geschah noch zwei andere Jahre hindurch.

4. Die Brüder, welche ihn so sahen, erbarmten sich seiner, gingen zum Abte, baten ihn um seine Wiederaufnahme und sprachen: Vater, verzeihe und nimm den Bruder Marinus wieder auf. Siehe, es sind schon fünf Jahre, seit er vor der Klosterpforte liegt, und er hat sich niemals entfernt. Nimm ihn zur Buße auf, wie es unser Herr Jesus Christus befohlen hat. Nur mit Mühe brachten sie es dahin. Da ließ er ihn endlich eintreten, und als er ihm vorgestellt wurde, redete er ihn also an: Dein Vater war, wie du weißt, ein heiliger Mann, hat dich, als du noch klein warst, in dieses heilige Kloster gebracht, und nichts von dem Bösen gethan, worauf du gedacht und das du gethan hast. Auch kein Anderer in diesem Kloster hat so etwas gethan. Nun aber bist du mit deinem Sündenkinde eingetreten, und mußt deswegen Buße thun. Du hast nämlich eine große Sünde begangen. Und ich befehle dir daher, alle Tage das Kloster allein zu säubern, das Wasser herbeizuschleppen, um das Nöthige zu reinigen, an jedem Tage Allen im Kloster die Beschuhung zu besorgen und Jedermann zu dienen. So kannst du dir wieder meine Gnade erwerben. Die Heilige aber unterzog sich auf das bereitwilligste jedem Geschäfte, das ihr übertragen wurde.

5. Da geschah es, daß sie nach wenigen Tagen im Herrn entschlief. Die Brüder aber hinterbrachten es dem Abte, und sagten: Bruder Marinus ist gestorben. Da sehet ihr, erwiederte der Abt, wie groß die Sünde war, weil er nicht einmal der Buße würdig war. Doch, gehet nur, waschet ihn und grabet ihn weit von dem Kloster ein. Sie thaten es, und merkten, während sie ihn wuschen, daß es eine weibliche Person war. Da gab es denn eine allgemeine Verwunderung. Alle schlugen sich auf die Brust und riefen laut auf: Ach, welchen heiligen Wandel hat sie geführt! Wie heilig wurde ihre Geduld befunden fie, deren Geheimniß Allen unbekannt blieb, und die von uns auf eine solche Weise mißhandelt werden sollte! Mit Thränen im Auge gaben sie davon dem Abte Nachricht und sprachen: Komm und sich die Wunderdinge Gottes, sieh auch, was du selbst thust. Voll Schrecken steht dieser auf und verfügt sich zu dem Leichnam. Er zieht das Tuch hinweg, womit er verdeckt war und sieht, daß es ein weibliches Weſen war. Und er stürzte sich sogleich nieder, stieß sich selbst sein Haupt in den Boden und schrie laut auf: Ich beschwöre dich bei dem Herrn Jesus Christus, daß du mich vor dem Angesichte Gottes nicht verdammest, weil ich dich so arg behandelt habe. Siehe, ich wußte ja nicht, was ich that. Du, o Frau, hast uns ja das Geheimniß nicht entdeckt, und ich wußte in Wahrheit nichts von deinem heiligen Lebenswandel. Darauf ließ er ihren heiligen Leib nicht nur in dem Kloster, sondern auch in ihrem Betorte begraben.

6. An demselben Tage aber kam jene Wirthstochter, von dem Teufel besessen, zum Kloster, gestand da das Verbrechen ein, das sie begangen, und von wem sie empfangen hätte. Endlich wurde sie sieben Tage nach dem Hinscheiden der Seligen dort in dem Betorte von dem bösen Feinde befreit. Als aber die Bewohner jenes Fleckens und die umliegenden Klöster dieses Wunder ernommen hatten, kamen sie mit Kreuzen und Kerzen in den Händen, unter Lob- , Preis- und Psalmengesängen im Kloster an, traten da in die Kirche, worin der Leib der Seligen ruhte, und brachten Gott ihre Lobpreisungen dar. Daselbst wirkt Christus zur Verherrlichung seines Namens auf die Fürbitte der heiligen Jungfrau auch sonst noch viele Wunder der da lebt und regiert mit dem Vater und dem heiligen Geiste, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Quelle:
Heribert Rosweid: Leben der Väter, deutsch bearbeitet von Michael Sintzel, 1. Bd. Karl Kollmann, Augsburg, 1840, S. 642 - 645

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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 10.11.2023

korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
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