Ökumenisches Heiligenlexikon

Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf

1 Gedenktag evangelisch: 9. Mai

Name bedeutet: der Sieger über das / aus dem Volk (griech.)

Bischof der Herrnhuter Brüdergemeine
* 26. Mai 1700 in Dresden in Sachsen
9. Mai 1760 in Herrnhut bei Görlitz in Sachsen


Reichsgraf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf stammte aus einer Familie, die um ihres evangelischen Glaubens willen Österreich hatte verlassen müssen. Sein Vater starb kurz nach seiner Geburt, er kam 1703 nach Großhennersdorf bei Görlitz ins Wasserschloss - heute eine Ruine - zu seiner Großmutter, die stark vom Pietismus des Philipp Jakob Spener geprägt war.

Reste des Torhauses des Wasserschlosses in Großhennersdorf
Reste des Torhauses des Wasserschlosses in Großhennersdorf

Als Schüler im Paedagogium der Francke'schen Anstalten in Halle ab 1710 begegnete von Zinzendorf Missionaren der dort 1706 gegründeten Dänisch-Hallesche Mission, der ersten organisierten Missionsgesellschaft in der protestantischen Kirchengeschichte, die in Indien tätig war. Dies weckte in ihm den Wunsch, selbst Missionar zu werden. Er hätte nun gerne Theologie studiert, was aber in einer Familie von Militärs und Regierungsbeamten kaum denkbar war; so studierte er 1716 bis 1719 an der damaligen Universität Leucorea - heute die Stiftung Leucorea mit wissenschaftlichen Instituten - in Wittenberg Rechtswissenschaft und wurde 1721 Hof- und Justizrat am Fürstenhof in Dresden.

1722 heiratete Zinzendorf eine gleichermaßen vom Pietismus geprägte Frau und kaufte von seiner Großmutter das Gut Berthelsdorf. Auf Grundbesitz dieses Gutes bot er im Herbst 1722 Religionsflüchtlingen aus der Böhmischen Brüderkirche eine Zuflucht und nannte ihren Siedlungsplatz Herrenshut, woraus dann Herrnhut wurde: Unter der (Ob-)Hut des Herrn. 1724 wurde dort der erste Kirchensaal - heute Gedenkstätte - der Herrnhuter Brüdergemeine erbaut.

Gedenkstätte für den ersten Kirchensaal in Herrnhut
Gedenkstätte für den ersten Kirchensaal in Herrnhut

Weitere Flüchtlinge aus Mähren kamen hinzu, später auch sächsische Lutheraner, die mit der katholischen Obrigkeit in Konflikt geraten waren. Nach dem Tod seiner Großmutter konnte Zinzendorf 1727 seinen Beruf aufgeben und sich ganz der inwischen auf 300 Menschen angewachsenen Kolonie widmen. Zwischen den verschiedenenen Gruppen dort gab es erhebliche Spannungen, die am 13. August 1727 auf wundersame Weise durch eine gemeinsame Abendmahlsfeier bei Pfarrer Johann Andreas Rothe aufgehoben wurden; nach dieser Erweckung war der Streit verflogen.

Zinzendorf erarbeitete nun eine Ordnung für die Brüdergemeine. Jeder Tag begann mit einer Morgenandacht und endete mit einer Singstunde, am Sonntag gab es den Gemeindegottesdienst. Neue liturgische Formen wie Liebesmahle, Fußwaschung, Stundengebete rund um den Tag oder Nachtwachen wurden praktiziert; in diesem Zusammenhang entstanden 1728 auch die Herrnhuter Losungen, erstmals für den 4. Mai dieses Jahres. Mit einer Vielzahl von Laienämtern wurde das allgemeine Priestertum gestaltet, aber dennoch die Gemeinde in die lutherische Landeskirche integriert. Auffallend war die starke Stellung der Frauen, es gab Ältestinnen, Lehrerinnen, Aufseherinnen u. a. Auch von der dritten Person des dreieinigen Gottes redete Zinzendorf in weiblicher Form als Geistin. Bemerkenswert auch Zinzendorfs Aufforderung, den Juden ungemeine Hochachtung engegenzubringen, wie er in einer eigens zur Bekämpfung des Judenhasses verfassten Schrift betonte.

Bei den Feierlichkeiten zur Krönung des neuen Königs lernte er 1731 in Kopenhagen einen Kammerdiener kennen, der von der Karibikinsel St Thomas stammte und ihm vom Sklavenleben seiner Verwandtschaft berichtete; ihn lud er ein nach Herrnhut, er schärfte das Augenmerk der Gemeinschaft für die Aufgaben der weltweiten Mission, die ein Hauptanliegen der Brüdergemeine wurde. Im Jahr darauf wurden die ersten Missionare auf diese Karibikinsel ausgesandt, wo sie die Missionsstation Neu-Herrnhut gründeten.

1732 wurde Zinzendorf aus Sachsen ausgewiesen, weil er dem Kaiser, dem König von Böhmen, Untertanen entfremde und ihnen zur Flucht verhelfe. 1733 besuchte er Württemberg auf der Suche nach einer neuen Bleibe für seine Gemeinde, traf Friedrich Christoph Oetinger, der vorher schon Herrnhut besuchte hatte, und Johann Albrecht Bengel, dessen Berechnung des bevorstehenden Weltendes und Beginn des 1000-jährigen Reiches auf das Jahr 1836 allerdings Zinzendorfs Befremden hervorrief. Bengel seinerseits verfasste eine Streitschrift gegen die Duldung der so genannten Brüdergemeine in Württemberg.

Stadtkirche St. Marien in Stralsund
Stadtkirche St. Marien in Stralsund

Nachdem Zinzendorf 1734 in Stralsund seine Rechtgläubigkeitsprüfung bestanden hatte, als lutherischer Theologe ordiniert worden war und in der in der Stadtkirche St. Marien seine erste Predigt gehalten hatte, wurde er bei einem weiteren Besuch in Württemberg von der Theologischen Fakultät in Tübingen als freier Prediger zugelassen. 1737 wurde er vom Enkel von Johann Amos Comenius, dem Oberhofprediger am Dom in Berlin und Bischof eines in Berlin überlebenden Zweiges der Böhmischen Brüderkirche, Daniel Ernst Jablonski, in Berlin zum Bischof der Herrnhuter Brüdergemeine geweiht.

1736 folgte seine zweite Ausweisung aus Sachsen, Zinzendorf verlegte die Gemeindearbeit auf die Burg in Ronneburg in der Wetterau, nach Schloss Marienborn und nach Herrnhaag - heute ein Ortsteil von Lorbach bei Büdingen in Hessen 1. 1739 reiste Zinzendorf zu seinen Missionaren in die Karibik, es folgten Reisen und Missionsarbeit im Baltikum, in Westindien und in Nordamerika, dort wirkte er 1741 bis 1743 als Missionar unter Indianern. Als 1747 die Verbannung aufgehoben wurde, konnte Zinzendorf nach Herrnhut zurückkehren, blieb aber nur kurz. 1748 ging er nach England, wo sich ebenfalls eine Brüdergemeine gegründet hatte, ab 1751 lebte er ganz in London und kam erst 1755 nach Herrnhut zurück. 1756 starb seine Frau, die ihm unentbehrliche Mitarbeiterin gewesen war und zwölf Kinder geboren hatte, von denen nur vier das Kindesalter überlebten. Bei seinem Tod waren Mitglieder der Brüdergemeine an 28 Orten weltweit missionarisch tätig.

Schon als Student in Wittenberg hatte Zinzendorf Gedanken zur Versöhnung von Pietismus und orthodoxen Lutheranern entwickelt, die er später, unter dem Eindruck einer Studienreise ins katholische Frankreich und die reformierten Niederlande ausweitete zu einem Programm zur Versöhnung aller Konfessionen. In deren Vielheit und Mannigfaltigkeit sah er eine der tiefsten Absichten Gottes. Die Unterschiede sollten deshalb erhalten bleiben, aber das Zusammenwirken auf der Grundlage der Heiligen Schrift Brudercharakter bekommen. Karl Barth zufolge war Zinzendorf der erste, ganz von der Sache aus denkende und redende Ökumeniker.

Deutsche Briefmarke zum 300. Geburtstag: Zinzendorf und sein Begleiter Konrad Weißler bei einem Zusammentreffen mit Irokesen-Häuptlingen in Amerika im Jahr 1742, 2000
Deutsche Briefmarke zum 300. Geburtstag: Zinzendorf und sein Begleiter Konrad Weißler bei einem Zusammentreffen mit Irokesen-Häuptlingen in Amerika im Jahr 1742, 2000

Für die Mission orientierte sich Zinzendorf am biblischen Vorbild des Kämmerers aus Äthiopien (Apostelgeschichte 8, 26 - 39) und des römischen Hauptmanns Cornelius. Bei beiden habe der Heilige Geist schon vor der Begegnung mit ihren Täufern gewirkt; entsprechend sollten Missionare sich an jene wenden, bei denen sie Empfänglichkeit für die Botschaft des Evangeliums erspüren, man könne niemand mit Gewalt bekehren. Grundlage jeder Mission sei das Gebet Jesu im Garten Getsemani, wo er sich freiwillig für den Weg der Erlösung durch seinen stellvertretenden Tod am Kreuz entschloss (Matthäusevangelium 26, 36 - 46). Inhalt der Missionspredigt müsse die Botschaft von Jesus Christus sein - eine allgemeine Gottesvorstellung habe ja jeder Mensch ohnehin, wie schon Paulus erkannte (Römerbrief 1, 19). Auch jegliche Morallehre sei unangebracht - es gehe nicht darum, die Menschen auf eine höhere Kulturstufe zu heben, sondern allein um das Evangelium.

Zinzendorf hat mehr als 2000 Lieder verfasst, Singen war für ihn eine emotionale und Gemeinschaft stiftende Übung; das Evangelische Gesangbuch enthält heute fünf von ihm getextete Lieder, darunter Herz und Herz vereint zusammen (EG 251) und der Klassiker Jesu, geh voran (EG 391). Bekannt ist die bis heute in Herrnhut und weltweit lebendige Herrnhuter Brüdergemeine vor allem durch ihre Missionstätigkeit und durch die Herrnhuter Losungen, einer Sammlung von Bibelversen für jeden Tag eines Jahres, die auch im Ökumenischen Heiligenlexikon enthalten sind.

1 Die Brüdergemeine musste Herrnhaag schon 1753 wieder verlassen, nachdem der Landesherr, Graf Gustav Friedrich von Ysenburg und Büdingen in Büdingen einen Untertaneneid gefordert hatte, dem sich aber alle Mitglieder der Brüdergemeine verweigerten.

Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon

Der Kirchensaal der Herrnhuter Brüdergemeine in Herrnhut ist montags bis freitags von 10 Uhr bis 16 Uhr, samstags von 14 Uhr bis 16 Uhr und sonntags von 9 Uhr bis 16 Uhr geöffnet. (2023)
Der Berliner Dom ist montags bis freitags von 10 Uhr bis 18 Uhr, samstags von 10 Uhr bis 17 Uhr und sonntags von 12 Uhr bis 17 Uhr für Besucher geöffnet, der Eintritt beträgt 10 € und ist nur mit Kreditkarte zu bezahlen. (2023)





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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 19.10.2023

Quellen:
• http://www.glaubenszeugen.de/kalender/z/kalz017.htm - abgerufen am 22.09.2023
• Evangelisches Gesangbuch. Gesangbuchverlag, Stuttgart 1996
• Helmut Bintz: Eine Missionsbewegung in allen Erdteilen. Evang. Gemeindeblatt für Württemberg 19/2000
• Helmut Bintz: Mission mit Respekt und ohne Gewalt. Evang. Gemeindeblatt für Württemberg 20/2000
• Johannes Wallmann: Der Grenzüberschreiter. Evang. Kommentare 5/2000
• Gottfried Geiger: Zum 300. Geburtstag von Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Deutsches Pfarrerblatt 5/2000

korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet das Ökumenische Heiligenlexikon in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.