Reliquien
Die Überreste, latein.: reliquiae
, des verstorbenen Körpers oder auch der Kleidung und anderer
Gegenstände eines Verstorbenen werden von Gläubigen verehrt, weil sie damit sein ehrendes Gedenken bewahren und zudem
hoffen, an seinen Wirkkräften Anteil und seinen Segen zu erhalten. Unterschieden werden dabei Primärreliquien, das sind der
verstorbene Körper oder Teile davon, und Sekundärreliquien, das sind Gegenstände, mit denen der Verehrte oder sein Leichnam
Kontakt hatte.
Das Vertrauen in die Wirkkraft von Reliquien kann sich schon auf das Zeugnis des Alten TestamentsWir verwenden den Begriff Altes Testament, wissend um seine Problematik, weil er gebräuchlich ist. Die hebräische Bibel, der „Tanach” - Akronym für „Torah” (Gesetz, die fünf Bücher Mose), „Nevi'im” (Propheten) und „Kethuvim” (Schriften) - hat aber natürlich ihre unwiderrufbare Bedeutung und Würde. berufen: 2. Könige 13, 20 - 21 schildert, wie der Kontakt mit den Totengebeinen des Propheten Elisa die Auferstehung eines Verstorbenen bewirkten. Für die Wirkkraft von Sekundärreliquien finden sich Zeugnisse im Neuen Testament: für die Schweiß- und Taschentücher von Paulus in Apostelgeschichte 19, 12 und im Grunde bereits für den Saum des Gewandes Jesu in Matthäusevangelium 9, 20.
Die erste im Christentum bekannte Verehrung galt den Reliquien des
Polykarp von Smyrna, sie galten als wertvoller als Gold und Edelsteine.
Nach der Vision aus Offenbarung 6, 9, die unter dem Altar die Seelen derer, die hingeschlachtet wurden um des Wortes
Gottes willen
erkannte, begann man dann, die Gräber von Märtyrern zu öffnen, Reliquien zu erheben und sie unter dem
Altar einer Kirche zu bestatten; als erster im Westen tat dies Ambrosius
von Mailand. Im 6./7. Jahrhundert setzte sich im Frankenreich der Brauch der Erhebung zur Ehre der Altäre
durch: der Sarg eines verehrten Verstorbenen oder Märtyrers wurde hinter dem Altar etwas erhöht aufgestellt - ein Geschehen,
das der späteren Heiligsprechung gleichkam. Die Verbindung von
verehrtem Grab und Altar wurde schnell so verbreitet, dass es bald keinen Altar ohne Reliquien mehr gab, die Verehrten
wurden dann zu Patronen der Kirche oder des Klosters. Bis heute empfiehlt das katholische Kirchenrecht die Bergung von
Reliquien in einem Altar.
Zunehmend setzte sich - so bei Hrabanus Maurus oder
Einhard - durch, dass nicht nur der ganze Leichnam, sondern auch seine einzelnen
Teile als Reliquien verehrt wurden. Das 4. Laterankonzil verbot die
direkte Zurschaustellung - die Überreste wurden nun in ein Behältnis - dem Reliquiar
eingelegt, wobei der Inhalt
oft durch die Form des Behältnisses verdeutlicht wurde. Im späten Mittelalter nahm die Reliquienverehrung großen Aufschwung.
Knochen, Haare oder andere leibliche Überreste der Blutzeugen wurden in möglichst kostbaren Reliquiaren aufbewahrt, verehrt
und häufig zum Mittelpunkt einer Wallfahrt. Wer es sich leisten konnte, scheute
weder Mühen noch Kosten, Reliquien als Unterpfand heiligen Beistands zu erwerben. Dabei war der Gedanke leitend, dass die
sterblichen Überreste gewissermaßen als Brücke fungierten, da der oder die verehrte Heilige ja bei Gott bereits zu Hause sei.
Neben der Muttermilch Mariens
wurden die Windeln Jesu
, Stroh
aus der Krippe in Betlehem
, Tränen der
Gottesmutter
oder der Schneidezahn
Johannes' des Täufers
für horrende Summen feilgeboten. Kardinal
Albrecht von Brandenburg etwa trug im Laufe seines Lebens um 1500 über 30.000 Objekte zusammen,
Friedrich der Weise hatte eine große Leidenschaft für die Anhäufung
von Reliquien und in seiner Schlosskirche in
Wittenberg eine der größten Sammlungen seiner Zeit zusammen getragen; der
Nürnberger Bürger Nikolaus Muffel brachte es
damals immerhin auf 308 Reliquien. Hinter dieser Sammelleidenschaft stand die Überzeugung, dass der Anblick oder gar die
Berührung einer Reliquie Wunder wirken konnte. Zudem ließ sich der Besitz von Reliquien in Ablassjahre umrechnen, Albrecht
von Brandenburg durfte hoffen, mit seinem Gnadenschatz 39.245.120 Jahre Ablass erworben zu haben. Hintergrund dieses
Reliquienkults war das schier unstillbare Bedürfnis nach Hilfe gegen Existenzängste, Seelenqualen und physische Bedrohung.
Da der Heiligenkult immer üppigere und zweifelhaftere Blüten trieb, wurde er als Abgötterei
zu einem wesentlichen
Angriffspunkt der Reformation. Für Martin Luther waren sie tot Ding
;
als 1524 die Gebeine des Benno von
Meißen erhoben wurden, verfasste Luther seine Schrift Wider den neuen Abgott und alten Teufel, der zu
Meißen soll erhoben werden
; und als 1539
die Reformation in Sachsen eingeführt wurde, wollte man Bennos Grab aufgebrechen und seine Gebeine in die Elbe werfen. Der
Bildersturm, besonders durch die Anhänger von Johannes Calvin mit
Vehemenz durchgeführt, erfasste auch die Reliquien. Das Konzil von Trient bestätigte
dann für die katholische Kirche die Verehrung von Heiligen und Reliquien, wenn es auch versuchte, Missbrauch abzustellen.
Die Barockzeit brachte in der katholischen Kirche eine neue Blüte der Verehrung von Heiligen und ihrer Reliquien. Die angeblich weltweit größte Reliquiensammlung außerhalb des Vatikans wird in der St. Anthony's Chapel in Pittsburgh in Pennsylvania in den USA verwahrt: über 5000 sind in über 800 Reliquiaren untergebracht, davon sind 525 mit authentischem Zertifikat versehen. Sie wurden dort von dem Priester Suitbert Godfrey Mollinger bis zu seinem Tod 1892 zusammengetragen.
Schon der Buddhismus und später auch der Islam kennen Reliquien; nachdem der Erleuchtete
Buddha vor 2500 Jahren
gestorben war, wurden seine Asche, die Knochen und Zähne in Hügelgräbern bestattet, die später zu Mausoleen und Tempeln
wuchsen; Haare des Propheten Mohammed lagern angeblich in mehr als 1800 Moscheen allein in der Türkei. Selbst atheistische
Gruppen kennen solche Verehrung, wie der einbalsamierte Lenin an der Kreml-Mauer in
Moskau erweist.
Die Schlosskirche in Wittenberg ist zugänglich durch den Eingang zum Schloss, in dem heute das Predigerseminar der Evangelischen Kirche in Anahlt untergebracht ist. Sie ist täglich von 10 Uhr bis 16.30 Uhr geöffnet, der Eintritt beträgt 3 €. (2023)
Heiligenlexikon als USB-Stick oder als DVD
Unterstützung für das Ökumenische Heiligenlexikon
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Autor: Joachim Schäfer
- zuletzt aktualisiert am 03.08.2024
Quellen:
•
• C. S., Brief vom 26. November 2005
• Lexikon für Theologie und Kirche, begr. von Michael Buchberger. Hrsg. von Walter Kasper, 3., völlig neu bearb.
Aufl., Bd. 8., Herder, Freiburg im Breisgau 1999
• https://www.welt.de/politik/ausland/article115538243/Wie-die-Haare-des-Propheten-zum-Politikum-werden.html - abgerufen am 02.10.2023
• https://www.smithsonianmag.com/arts-culture/pittsburgh-church-greatest-collection-relics-outside-vatican-180963680/ - abgerufen am 02.10.2023
korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
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https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.