Die Entstehung der Überlieferung
Das ist nicht der wahre Jakob
- das deutsche Sprichwort fasst die uralten Bedenken über die Echtheit der
Überlieferung und die Reliquien von Jakobus zusammen; schon Papst Callistus II.
kritisierte in einer Predigt zum Jakobus-Fest um 1122 die Vielzahl verschiedener Legenden.
Jakobus soll vor seiner Enthauptung durch den König von Juda, Herodes Agrippa, in Spanien missioniert haben. Zwei
seiner Jünger, Athanasius und Theodorus, legten nach Jakobus' Märtyrertod den Leichnam in ein Boot, so kam er - von
Engeln geleitet - nach sieben Tagen in
Galicien an. Von der Landungsstelle in
Padrón brachten die Jünger den Leichnam nach
Compostela, bauten dort ein Grab und eine
Kapelle und starben später selbst dort. Nachdem der Ort vergessen wurde, wurde
zur Zeit von Bischof Theodemir von Iria Flavia
der Einsiedler Pelagius / Pelayo um 825 durch Lichterscheinungen auf das Grab des Apostels und seiner Gefährten aufmerksam.
In anderer Fassung, im Codex Calixtinus
, erschien der Apostel selbst
Karl „dem Großen” im Traum und zeigte diesem - als Wegzeichen für seinen
Kreuzzug zur Befreiung des Apostelgrabes - die leuchtende Spur der Milchstraße;
damit wurde im Unterschied zur lokalen Pelagius-Tradition eine ganz Europa einbeziehende Version begründet.
Dass Jakobus im Norden Spaniens missioniert habe, berichtete schon
Beatus von Liébana um 776 in seinem Kommentar zur Offenbarung des
Johannes; als Patron Spaniens preist ihn ein um 785 entstandener Hymnus; beide Schriften lassen den Zeitgeist erkennen,
der dann wenig später zur Entdeckung des Grabes führte. Grab und Reliquien des
Apostels und seiner beiden Jünger wurden schnell zum religiösen Mittelpunkt des kleinen Königreichs
Asturien und unterstützen das von dort ausgehende Vorhaben der
Rückeroberung - Reconquista
- der von den Mauren besetzten iberischen Halbinsel. Bischof Theodemir und König Alfonso
II. von Asturien bauten die erste Kirche über Jakobus' Grab; Theodemirs Grabplatte aus dem Jahr 847 wurde 1955 in einem
Anbau an der Südseite des ersten Kirchenbaus entdeckt. Die siegreiche Schlacht von
Clavijo 844 untermauerte die beginnende
Reconquista mit der Legende, dass der Apostel eigenhändig in das Schlachtgeschehen eingegriffen und so den Sieg ermöglicht
habe; ähnliche Dienstbarmachung von Heilige als nationales Symbol geschah zu jener Zeit in
Venedig mit
Markus oder in Byzanz - dem heutigen
Ístanbul - mit
Andreas, dabei war
Rom mit
Petrus und Paulus beispielgebend.
Das Martyrologium des Usuard enthält um 860 die früheste schriftliche Notiz einer Verehrung des Grabes. Erwähnungen in Spanien sind jünger, was wohl den damaligen politischen und kulturellen Wirren des Landes geschuldet ist. Von Bischof Godescalcus von Le Puy - dem heutigen Le Puy-en-Velay ist 951 eine Pilgerfahrt mit zahlreichen Begleitern dokumentiert; dass ein Bischof mit Gefolge sich auf den Weg machte zeigt die beachtliche Bedeutung dieser Wallfahrt. Ihm folgten später viele bedeutende Heilige wie Franziskus von Assisi oder Dominikus, Könige und Kaiser, hochedle und edle Damen und Herren.
Am 29. Januar 1879 wurden bei Ausgrabungen die - angeblichen - Reliquien des Apostels entdeckt, seit 1886 ruhen sie in der Krypta der Kathedrale in einem silbernen Schrein. Zuvor hatte man nur die - bis heute bestehende - Möglichkeit, hinter dem Altar hochzusteigen und die silberbeschlagene Skulptur des Apostels zu küssen. Wer damals zweifelte, dass sich die Gebeine des Apostels unter dem Altar befanden, der werde - so warnten die Hüter der Reliquien den rheinischen Ritter Arnold von Harff im Jahr 1496 - unverzüglich verrückt wie ein tollwütiger Hund. Schon Bischof Theodemirs versuchte der Überlieferung zufolge, die gefundenen Reliquien von ihrem Platz zu entfernen, und scheiterte. Deshalb errichtete man einen bescheidenen Altar über den Gräbern - wohl den, der heute im Museo de Arte Sacra in der ehemaligen Abtei San Paio de Antealtares neben der Kathedrale gezeigt wird. Die letzten Hinweise auf Zugänge zu den Reliquien wurden 1589 entfernt, als Sir Francis Drake nach dem Untergang der spanischen Armada in A Coruña landete und drohte, nach Santiago zu marschieren. Die wiedergefundenen Reliquien wurden untersucht und durch Papst Leos XIII. 1884 der Verehrung der Gläubigen empfohlen. Der französische Gelehrte Louis Duchesne wies dagegen mit einem berühmt gewordenen Aufsatz 1900 auf die großen Lücken in der Überlieferung und die Probleme hin, Auftreten und Grab von Jakobus in Spanien plausibel zu machen.
Sagen und Heldenlieder, Dichtung und Dramen über Karl „den Großen” haben sich an seiner großen Niederlage in Nordspanien entzündet: Bei der Reichsversammlung in Paderborn im Jahr 777 erschienen unerwartet hochrangige muslimische Gesandte aus der arabisch beherrschten Iberischen Halbinsel, die in Opposition zu Abd ar-Rahman I., dem Herrscher des Emirats von Córdoba, standen; sie baten Karl um Beistand und unterwarfen sich als Gegenleistung dem Frankenkönig. 778 unternahm Karl deshalb einen Feldzug nach Nordspanien und begründete diesen gegenüber Papst Hadrian I. mit angeblichen arabischen Überfällen gegen die Christen im Norden. Ein Teil seiner Truppen eroberte Pamplona, der Vorstoß des wieder vereinigten Heeres auf Saragossa blieb aber erfolglos, nicht zuletzt, weil der christliche König von Asturien den Feldzug eher argwöhnisch betrachtete, sich womöglich sogar mit dem Emir von Córdoba gegen den Frankenherrscher verbündet hatte. Der Aufstand der Sachsen unter Widukind zwang Karl dann zum Rückzug. Die Nachhut mit dem Gepäck und dem Beutegut wurde am 15. August 778 in einem Hinterhalt bei Roncesvalles aufgerieben; nach dem Bericht von Einhard fielen dabei des Königs Truchsess Eggihard, ein Pfalzgraf Anshelm sowie Hruodland, der Präfekt der Bretagne, und viele andere.
Ebenso wie die Sage Karl „dem Großen” einen
Kreuzzug nach
Jerusalem zuschreibt, wuchs aus diesem Feldzug
die Geschichte einer Pilgerfahrt nach Santiago de
Compostela, an deren Ende der Untergang seines Paladins Roland und dessen Gefährten steht. Geschildert wird dieser
Vorgang, der bis heute immer wieder die Phantasie und Neugier der Dichter und Forscher entzündet, auf den Reliefs am
zu Beginn des 13. Jahrhunderts gefertigten Schrein von Karl dem Großen in
Aachen und literarisch in der lateinischen
Historia Karoli Magni et Rotholandt
- als Gesta Karoli Magni in Hispania
auch im Codex Calixtinus
enthalten -, sowie im altfranzösischen Chanson de Roland
. Beide sind auf Grundlage alter Überlieferung zu Beginn
dês 12. Jahrhunderts entstanden und schildern das tragische Schicksal von Roland, ohne voneinander abhängig zu sein.
Die lateinische Erzahlung, die sich als Chronik historischer Ereignisse darstellt, berichtet im ersten Teil die Ereignisse
von Karls Zug nach Santiago und schildert dabei erkennbar spanische Verhaltnisse; im zweiten Teil nutzte sie auch das
Heldenlied als Quelle. Von Santiago ausgehend und in über zweihundert Handschriften erhalten, gehörten diese Geschichten
Karls und seines Helden Roland zu den populärsten des Mittelalters.
Angeblicher Verfasser sei Bischof Tilpinus von Reims gewesen, der das Amt von um 748 bis 794 innehatte; als Turpin taucht er - mit einem Schwert bewaffnet - in der Sage auf. Am Ende des heldenhaft geschilderten Kampfes bei Roncesvalles versuchte Roland demnach, sein Schwert Durendal auf einem Felsen zu zerbrechen, wobei das Schwert heil blieb, der Fels aber gespalten wurde. Roland blies nun ein letztes Mal sein Elfeinbein-Horn, was Karl - schon weit jenseits des Passes in Valcarlos - alarmierte, der aber zum Helfen zu spät kam; Roland starb, nachdem er seine Sünden bereut hatte, und reichte seinen Handschuh den Engeln, die niedergestiegen waren, um seine Seele entgegenzunehmen; Karl konnte demnach wenigstens den Leichnam in die Heimat überführen und auf der Passhöhe ein Kreuz errichten. Daraus entstand die Tradition, dass viele Pilger dort ebenfalls ein Kreuz hinterließen; in vielen der Pilgerberichten wird diese Wiese voller Kreuze erwähnt.
Quelle: Werner Schäfke: Kunst-Reiseführer Nordwestspanien. DuMont, Köln 1987
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