Johannes Cassianus
auch: von Massilia
Gedenktag katholisch: 23. Juli
Gedenktag orthodox: 29. Februar
Todestag: 23. Juli
Gedenktag armenisch: 28. Februar
Name bedeutet: Gott ist gnädig (hebr.)
Johannes, Sohn einer wohlhabenden christlichen Familie, genoss eine klassische Bildung, was ihm Zugang zur Literatur der griechischen Kirche verschaffte. In jungen Jahren pilgerte er nach Palästina und trat um 382 in Betlehem in ein Kloster ein. Um 385 zog er mit seinem Freund Germanus weiter in die Sketische Wüste, um dort das Einsiedlertum aus eigener Anschauung kennenzulernen; dabei kam er auch zu Paphnutius Bubalos, als der 90 Jahre alt war. Nach sieben Jahren in der Sketischen Wüste gingen sie für drei weitere Jahre zu den Einsiedlern in die Thebais - der Gegend um Theben, den heutigen Ruinen bei Al Uqsur. 399 musste Johannes mit seinem Gefährten Ägypten verlassen, weil Patriarch Theophilos I. von Alexandria sie - wie alle Anhänger der Lehren von Origenes - ausgewiesen hatte. Johannes zog nach Konstantinopel - dem heutigen Ístanbul - und wurde dort von Patriarch Johannes Chrysostomos zum Diakon geweiht.
404 wurde Johannes, wieder in Begleitung von Germanus, nach Rom geschickt, um den Schutz des Papstes Innozenz I. für den durch die Verleumdungen der mit der Kaiserin Eudoxia verbündeten Bischöfe verfolgten Chrysostomos zu erwirken. In Rom wurde Johannes auch zum Priester geweiht.
Nach Germanus' Tod zog Johannes in die Provence, dort gründete er um 415 das damalige Kloster Saint-Victor für Männer über einer Nekropole außerhalb der damaligen Stadt, in dessen Mittelpunkt das Grab zweier Märtyrer lag, und das damalige Kloster St-Saveur - es stand an der Stelle des heutigen Platzes de Lenche - für Frauen im heutigen Marseille. Diese Klöster wurden in einer Zeit barbarischer Verwüstung Zufluchtsort für Menschen in Not und Stätten des Friedens sowie Zentren intellektuellen Lebens und monastischer Spiritualität und wirkten weit hinein nach Gallien und Spanien.
Johannes vermittelte mit seinen 419 bis 426 auf Bitten von Bischof Castor
von Apt unter dem Titel De institutiones coenobiorum et de octo principalium vitiorum remediis
, Von der
Einrichtung des Zusammenlebens und der Erlösung von den acht wichtigsten Sünden
verfassten Büchern dem Westen die
geistige Erfahrung der Mönchsväter des Ostens; die ersten vier Bücher beschreiben das gemeinsame Leben im Kloster, die
Bücher 5 bis 12 die acht Laster und deren Überwindung durch die Askese. Johannes brachte damit die Achtlasterlehre
des Wüstenvaters Euagrios Pontikos 1
- eine Vorläufer der Lehre von den sieben Todsünden
- mit den Sünden Hochmut, Geiz, Wollus, Zorn, Völlerei,
Faulheit, Ruhmsucht und Trübsinn - und die Lehren des Origenes in
den Westen, passte sie an die Bedingungen in Gallien an und prägte so nachhaltig das abendländische Mönchtum. Ziel war
weniger die perfekte Askese als die vollkommene Liebe, die zwar jedem Christen aufgetragen ist, aber nur im Mönchsleben
zu verwirklichen sei. Die vier ersten Bücher der Institutiones
galten lange als Regel des Cassian
; die
Ordensregel des Benedikt von Nursia ist deutlich von ihr abhängig,
Benedikt bezeichnete die Institutiones
und Johannes' 24 Collationes Patrum
als Pflichtlektüre für seine Mönche.
Nach 425 veröffentlichte Johannes sein Werk 24 Collationes Patrum
, 24 Sammlungen der Väter
, eine
Unterweisung über die Askese in der Form fingierter Lehrvorträge bekannter ägyptischer Mönchsväter; mit der 13.
Conlatio
, über Gnade und menschliche Freiheit
, die sich gegen die Gnadenlehre des
Augustinus stellte, handelte er sich den Vorwurf des
Semi-Pelagianismus ein.
Prosper von Aquitanien machte Augustinus auf Johannes'
Ansichten aufmerksam; Johannes sah sich veranlasst, sich noch am Ende seines Lebens zu einer Widerlegung des Pelagianismus
aufzuraffen. 2
430 schrieb Johannes auf Bitten des späteren Papstes Leo des Großen
sieben Bücher gegen den Nestorianismus mit dem Titel De incarnatione Domini
contra Nestorium
, Über die Menschwerdung Gottes, gegen Nestorius
. Schon Papst
Gregor der Große nannte Johannes einen Heiligen.
Das Kloster Saint-Victor in Marseille wurde 1739 auf Anordnung von Papst Clemens XII. aufgehoben. In der Französischen Revolution wurden 1794 das Kloster und die Kirche samt Krypta ausgeraubt, die Reliquien, Gold und Silber entwendet und die Gebäude in ein Strohlager und ein Gefängnis umgewandelt. Die Kirche wurde 1804 Pfarrkirche. 1963 begannen die Stadt Marseille und das Kulturministerium mit einer vollständigen Renovierung von Kirche und Krypta.
1 ▲ Nach eigenen Angaben erhielt Johannes die Lehren von Euagrios Pontikos übermittelt durch einen Abt Serapion, mit dem er in der Sketischen Wüste sprach.
2 ▲ In Südgallien hielten die Auseinandersetzungen um den Semi-Pelagianismus dennoch an und wurden erst 529 beim Konzil von Orange beigelegt.
Worte des Heiligen
Wer vor einem König dieser Welt seine Meisterschaft im Bogenschießen unter Beweis stellen will, der
visiert das winzige Zentrum der Scheibe an, worauf der Preis abgebildet ist. Das versucht er mit seinem Pfeil zu durchbohren,
weil er weiß: Diesen Zielpunkt muss ich treffen, um zu erreichen, was ich bezwecke: den Preis. So ist auch für uns das
Ende
des geistlichen Weges (sein sinngebender Zweck) das ewige Leben.Das Reich Gottes ist der Endzweck von allem, Endzweck auch des geistlichen Lebens. Das Reich Gottes ist das
Fernziel
. Welches ist dann aber sozusagen das Nahziel
? Nahziel ist das, was man beständig im Visier behalten
muss. Nahziel ist die Reinheit des Herzens (die Liebe). Auf dieses Nahziel müssen wir den Blick fixieren, dann laufen wir
nämlich wie auf einer ganz geraden Linie, auf einer Zielgeraden. Auf dieses Nahziel muss die ganze Spannkraft der Seele
gerichtet sein. Sollte unser Denken doch einmal, wenn auch nur ein wenig, von dieser Zielgeraden abirren, dann kehren wir
sofort zur Kontemplation unseres Nahziels zurück und korrigieren unseren Lauf nach seiner Norm.
Quelle: I, S. 106 f
Unser Geist ist wie ein Mühlrad im Wasserstrom: Unvermeidbar dreht es sich, unentwegt mahlt die Mühle. Aber
was gemahlen wird, ob hochwertiges Getreide oder minderwertiges Korn, das liegt in der Macht des Müllers. So steht auch
der Geist unvermeidbar in der Flut anbrandender Gedanken - wie eben das Leben mit seinen Geschäften und Versuchungen es
mit sich bringt -; aber es liegt am Menschen selbst, welche Art von Gedanken er bei sich einlässt oder in sich erzeugt.
Wenn wir nämlich - wie schon gesagt - immer wieder zur Schriftmeditation zurückeilen, uns Geistliches zu Herzen nehmen,
uns nach dem Vollmaß der Liebe sehnen und die künftige Seligkeit erhoffen, dann formen wir unser Gedankenmaterial positiv.
Müßige Schwätzereien und überflüssige Sorgen dieser Welt aber deformieren unsere Gedanken, sie sind wie wucherndes Unkraut
(weil sie das Aufkommen heilsamer Gedanken behindern). Unser Herz weilt ja notwendig dort, wo der Schatz unserer Werke
und unseres Verlangens ist (vgl. Matthäusevangelium 6, 21).
Quelle: I, S. 114 f
Mit aller Spannkraft seiner Seele muss der Mönch einen einzigen Punkt anpeilen und alle seine Gedanken, so
wie sie in seinem Innern entstehen und kreisen, immer wieder auf diesen einen Punkt ausrichten und so auf das
Gott-Gedenken konzentrieren.
Er muss es ähnlich machen wie ein Mann, der das Gewölbe einer Kuppel hochziehen und in der Höhe schließen will, denn
der muss die ganze Rundung auf dieses Zentrum hoch oben hin entwerfen und ausrichten. Dieses Zentrum ist nur ein Punkt,
auf den es haargenau ankommt: Auf ihn hin muss alles berechnet werden, er muss genau angezielt werden. Wer ein solches
Werk vollenden wollte, ohne sich an diesen Zentralpunkt als Prüfstein zu halten, würde niemals eine völlig regelmäßige
Rundung zuwege bringen; er würde auch nicht durch bloßen Augenschein feststellen können, in welchem Ausmaß sein Irrtum
jene Schönheit beeinträchtigt, die das Ergebnis einer vollkommenen Rundung ist. Deshalb muss er sich beharrlich auf jenen
Fixpunkt beziehen, nach dem er allein seine Maße berechnen und ihre Richtigkeit beurteilen kann. In dem Licht, das er von
daher empfängt, muss er genau die innere und äußere Rundung seines Bauwerks bestimmen. Nur in einem einzigen Punkt wird
eine so gewaltige Konstruktion ihren vollendenden Schluss-Punkt finden können.
Ähnlich ist es mit unserer Seele: Wenn der Mönch nicht die Liebe des Herrn zum unverrückbaren Zentrum werden lässt,
von dem alle seine Werke wie Strahlen ausgehen; wenn er nicht alle seine Gedanken nach diesem sicheren Kompass der Liebe
ausrichtet – dann wird er niemals jenes geistliche Gebäude errichten können, das der Apostel
Paulus entworfen hat; und er wird dann auch nichts von der Schönheit jenes
inwendigen Tempels wissen, den der selige David dem Herrn in seinem Herzen
anbieten wollte, da er sagt: Herr, ich liebe die Schönheit deiner Wohnung und den Ort, wo deine Herrlichkeit wohnt
(Psalm 25, 8).
Er wird dann stattdessen in seinem Herzen ein Haus errichten, das jeder Schönheit bar ist und des Heiligen Geistes
unwürdig, und das jeden Augenblick vom Einsturz bedroht ist. Weit entfernt von der Herrlichkeit, einen solchen Gast zum
Mitbewohner zu haben, wird er von den Ruinen des zusammenbrechenden Baues elend erschlagen.
Quelle: I, S. 106 f
Zitate von Johannes Cassianus:
In welcher Weise wir beten, das hängt davon ab, in welcher Verfassung wir uns in der Zeit vor unserem
Beten befinden. Denn es ist ein fatales Gesetz: Unser innerer Mensch ist zur Zeit des Gebetes vordisponiert von seinem
vorherigen Zustand. So lassen ihn die Gedanken, die ihn vor der Gebetszeit beschäftigen, während des Gebetes entweder zu
Himmlischem aufsteigen oder zu Irdischem absinken.
Quelle: II, S. 89
Man kann unsere Seele ihrer Natur nach sehr treffend mit einem ganz feinen und leichten Flaumfederchen
vergleichen. Sofern es nicht durch Feuchtigkeit verklebt, von Nässe beschwert ist, steigt es durch die ihm eigene
Beweglichkeit beim leisesten Lüftchen gleichsam von Natur aus zum höchsten Himmel auf. Wenn es dagegen, von Wasser benetzt,
seine Leichtigkeit verloren hat, wird es nicht mehr, wie es ihm von Natur aus eigen wäre, von der Luft nach oben getragen.
Im Gegenteil – dann wird es durch die Last der Nässe zu Boden gedrückt. So ist es auch mit unserem Geist. Nicht beschwert
durch ihm anklebende Laster oder Sorgen dieser Welt, nicht verdorben durch die Nässe schädlicher Begier, wird er sich in
der Lauterkeit seines natürlichen Wesens beim leichtesten Anhauch geistlicher Meditation nach oben erheben, von aller
Erdenschwere losgerissen und zum Himmlischen und Unsichtbaren erhoben. Möchten wir also, dass unser Gebet bis zum Himmel
dringt, ja noch über die Himmel hinaus, so müssen wir uns von allen irdischen Lastern reinigen, von jeglicher Hefe der
Leidenschaften befreien. Nur dann nämlich kann unser Geist die ihm an sich natürliche Schwerelosigkeit zurückgewinnen, und
unser Gebet wird, wie von selbst, zu Gott emporsteigen.
Quelle: I, S. 48 f
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn,
für die Katholische SonntagsZeitung
Stadlers Vollständiges Heiligenlexikon
Johannes' Schriften Sieben Bücher über die Menschwerdung Christi, Von den Einrichtungen der Klöster und Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern gibt es in deutscher Übersetzung in der Biliothek der Kirchenväter der Université Fribourg.
Schriften von Johannes Cassianus und seine Lebensgeschichte gibt es online zu lesen in den Documenta Catholica Omnia.
Das Kloster Saint-Victor in Marseille ist täglich von 9 Uhr bis 18 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei. Der Eintritt in die unbedingt sehenswerte Krypta beträgt 2 €. (2024)
Heiligenlexikon als USB-Stick oder als DVD
Unterstützung für das Ökumenische Heiligenlexikon
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Autor: Joachim Schäfer
- zuletzt aktualisiert am 14.05.2024
Quellen:
• Friedrich Wilhelm Bautz. In: Friedrich-Wilhelm Bautz †(Hg.): Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. I,
Hamm 1990
• Charlotte Bretscher-Gisinger, Thomas Meier (Hg.): Lexikon des Mittelalters. CD-ROM-Ausgabe. J.B. Metzler, Stuttgart /
Weimar 2000
• Lexikon für Theologie und Kirche, begr. von Michael Buchberger. Hrsg. von Walter Kasper, 3., völlig neu bearb. Aufl.,
Bd. 5. Herder, Freiburg im Breisgau 1996
• https://fr.wikipedia.org/wiki/Caves_Saint-Sauveur - abgerufen am 13.05.2024
korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
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