Ökumenisches Heiligenlexikon

Marcella von Rom

Marcella gehörte der römischen Aristokratie an und wurde 325 oder 335 geboren. Bedingt durch den frühen Tod ihres Vaters heiratete sie jung. Bereits nach sieben Monaten Ehe verschied ihr Ehemann Publius C. Caccina Albinus. Ihre Mutter Albina avisierte zwecks Erhaltung der Familie und der Vermehrung des Vermögens eine erneute Eheschließung ihrer Tochter. Als Kandidat hatte sie Naeratius Cerealis ausgesucht, der im Jahre 347 Konsul war und der Bruder des Vulcacius Rufinus sowie der Galla, der zweiten Frau von Konstantins Bruder Julius Constantinus.

Dies lässt den Rückschluss zu, dass die Familie der Marcella enge Kontakte unterhielt zur cäsarischen Familie. Ein an die Asketin gerichteter Brief von Pelagius bestätigt diese familiäre Verknüpfung mit dem Kaiserhof. Wir ignorieren nämlich nicht, verehrenswürdige Schwester und gesegnete Tochter, deinen in dieser Welt vergangenen Ruhm. Denn wir haben gesehen, dass du in jener Zeit, als die kaiserliche Verwandtschaft sich zu deinem Haus aufmachte, herausragtest in diesen Ehren, die zugrunde gehen.

Umso erstaunlicher ist es dann, wie selbstbewusst Marcella die gewünschte Ehe mit dem sehr viel älteren Konsul Cerealis mit den Worten ablehnte: Selbst wenn ich heiraten wollte, und nicht wünschte, mich der ewigen Keuschheit zu weihen, suchte ich jedenfalls einen Ehemann und keine Erbschaft. Die Ablehnung der Ehe war beeinflusst durch Athanasius d. Gr. und seinen Nachfolger Petrus II. von Alexandrien, die sie für die christlich-asketische Lebensform gewonnen hatten während ihres Aufenthaltes in Rom. In ihrem Haus auf dem Aventin entstand ein frommer Witwen- und Jungfrauenkreis. Marcella selbst studierte die Hl. Schrift und tauschte sich während des Aufenhaltes des Hieronymus in Rom mit diesem mündlich und brieflich in philosophischen, exegetischen und katechetischen Fragen aus.

Die Asketin muss zu diesem Zeitpunkt etwa sechzehn Jahre alt und Hieronymus etwa 57 Jahre alt gewesen sein. Ihr asketisches Bewusstsein drückte Marcella auch durch ihre sehr schlichte und nützliche Kleidung aus, die ausschließlich der Wärme und Abdeckung der gesamten Statur diente. Ebenso ging Marcella niemals ohne Begleitung in die Öffentlichkeit, mied die Häuser adliger Frauen und besuchte dafür die Kirchen der Märtyrer und Apostel. Durch Marcella zeigte sich für das römische Heidentum zum ersten Mal eine Gemeinschaft von Asketinnen, die sich nicht nur dem Leben in Keuschheit widmeten, sondern ihren persönlichen Lebensraum in eine theologische Schule umwandelten. Darüber hinaus gab sie den Anstoß für das Keuschheitsgelübde anderer Frauen, so etwa das der Sophronia und vor allem das Gelübde der Paula. Marcella gebührt also die Ehre, die Asketinnenbewegung und die weitere Voranschreitung der Christianisierung des römischen Patriziertums in weiten Bereichen veranlasst zu haben. Zudem wurde in verschiedenen Studien nachgewiesen, dass die christlichen Schulen in Rom und Alexandrien private Institutionen aufgrund persönlicher Initiative der Lehrer waren und lockere Lehrer-Schüler-Zirkel darstellten, in denen Heiden, Taufbewerber und Christen unterrichtet wurden. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Asketin in solcher Lehrtradition verstand.

Im Jahre 400 nahm Marcellina aktiv am antiorigenistischen Streit teil. Sie mischte sich aber erst ein, als sie merkte, dass der durch den apostolischen Mund gepriesene Glaube in vielen Dingen verletzt werde, so dass er sogar Priester und nicht wenige Mönche, am meisten aber weltliche Leute mit sich zog. Auch anderen häretischen Gruppierungen, wie die der Montanisten oder der Novatianer, trat Marcella entgegen. Dies lässt deutlich erkennen, das Marcella ihre theologischen Ansichten auch öffentlich vertreten hat. Ihre herausragenden sprachlichen Fähigkeiten, insbesondere im Griechischen und Hebräischen, wurden von Hieronymus wiederholt hervorgehoben und gelobt. Hieronymus spricht von Marcellas ratio und ingenium. So wurde die römische Asketin nach der Abreise des Hieronymus aus Rom nicht nur für die asketischen Frauen qualis magistra, sondern auch für die christliche Gemeinde. Waren die geistlichen Würdenträger sich uneinig über die exegetische Auslegung der Heiligen Schrift, eilte man zu ihr, die Richterin war. D. h. de facto war Marcella anerkannte Magistra. Lebenslang bewahrt Marcella sich die geistige Unabhängigkeit von Hieronymus. Von 385 bis 392 gibt es nur noch einen Brief an die Asketin mit der dringenden Bitte des Hieronymus, ebenso wie Paula und Eustochium nach Bethlehem überzusiedeln. Nach dem Tod ihrer Mutter Albina 387/338 lebte Marcella noch etwa fünf Jahre auf dem Aventin im elterlichen Haus, bevor sie gemeinsam mit ihrer Adoptivtochter Principia in eine Einsiedelei zog. Während der Plünderung Roms 410 durch die Truppen Alarichs I. rettete sie sich mit Principia in die St. Paulusbasilika. Kurz danach starb Marcella im Jahr 410. Im Gegensatz zu den 18 Briefen des Hieronymus an Marcella sind ihre Antworten leider nicht verzeichnet bzw. erhalten geblieben. Daher können nur aus den in den Briefen des Hieronymus aufgezeigten gelehrten Dialogen der beiden auf das Leben der Asketin Marcella Rückschlüsse gezogen werden.

Aufgrund des umfangreichen Briefwechsels mit Hieronymus gehört Marcella nicht zu den Frauen, die im Laufe der Geschichte schnell in Vergessenheit gerieten. Im gesamten Mittelalter werden die an sie gerichteten Briefe gelesen und dienten als Impuls, gebildete Männer zum gelehrten Umgang mit Frauen zu bewegen. Der aus Italien stammende Dichter Venantius Fortunatus vergleicht z. B. Radegunde mit Marcella und berichtet, diese habe die Asketin Marcella in ihren Gelübden sogar noch übertroffen. Die Königin Radegunde wird zur heimlichen Asketin des merowingischen Hofes stilisiert. Auch Héloise verweist um 1135 in ihren 42 theologischen Fragen an Abaelard auf Marcella und ihr exegetisches Studium der Bibel, in dem sie Hieronymus bestärkte. In seiner Autobiographie stellt Abaelard eine sehr lebendige Zusammenstellung von belegten Zeugnissen über Frauen um Christus, um Apostel und die Kirchenväter vor. Sein bevorzugtes Beispiel ist der heilige Hieronymus und in einem Antwortbrief steht Héloise wie eine neue Marcella da.

Möglicherweise wurde Marcella im Mittelalter auch malerisch dargestellt. In der ersten Bibelhandschrift von Karl dem Kahlen existiert eine achtseitige Miniatur mit drei Szenen aus dem Leben des Hieronymus. In der mittleren Szene sind linksseitig vier Frauen mit Buchrollen zu erkennen, die von dem Kirchenvater, der mittig sitzt, unterrichtet werden. Rechtsseitig sitzen drei sehreibende Männer. Bei der Darstellung liegt es durchaus nahe, dass der Künstler bei einer der die Buchrollen tragenden Frauen an Marcella gedacht hat. …

Die französische Schriftstellerin, Philosophin und Frauenrechtlerin Marie Le Jars de Gournay schrieb um 1500: Heute habe ich bei Hieronymus nach den Briefen gesucht, die er an euch Frauen in Rom geschrieben hat. Dabei bin ich auf den Nachruf gestoßen, mit dem er dich gewürdigt hat. Ich weiß im Moment nicht: Soll ich glücklich sein, so viel von dir zu hören, von deiner wissenschaftlichen Begabung und deinen Fähigkeiten zum Übersetzen, oder soll ich resignieren, da ich so viel Ähnlichkeiten zwischen mir und dir entdecke, Beeinträchtigungen aufgrund unseres Geschlechts, obwohl uns zwölf Jahrhunderte trennen? Wie sehr müssen wir Frauen noch immer um Bildungschancen kämpfen! Deine Mutter wollte dich ja um jeden Preis wiederverheiraten und war besorgt um das Familiengut. Nachkommen zu gebären wäre deine Pflicht gewesen. Doch du hast dich für diese neue Lebensform entschieden. Du hast alle Konventionen und traditionellen Rollenvorstellungen außer Acht gelassen, weil dich ein unglaubliches Feuer der Begeisterung dazu antrieb, die biblischen Schriften zu studieren und die christliche Lehre zu erforschen. … Doch bald wusste Hieronymus deinen glänzenden Inntellekt zu schätzen. Manchmal war er wohl überfordert. Was du alles von ihm wissen wolltest, welche Fragen du stelltest, auf welche Textprobleme du ihn aufmerksam machtest! Dum interrogas, doces! - Indem du fragst, lehrst du!

Ja, er war fair genug, zu erkennen, dass nur wenige Männer über vergleichbare Qualitäten verfügten wie ihr ihr sie aufzuweisen hattet. Auf den Geist und die Gelehrsamkeit kommt es an, nicht auf das Geschlecht. Auch Hieronymus hat eure Mitarbeit bei seiner Bibelübersetzung gebraucht und sich mit so mancher Erkenntnis von euch geschmückt - typisch Mann! In euch hatte er eine emotionale Stütze in Rom, die er dringend nötig hatte, wo er doch überall so leicht angeeckt ist. Du hast deine Erkenntnisse nicht egoistisch für dich behalten. Du gabst sie weiter an junge Mädchen und warst Lehrerin in deiner Frauengemeinschaft auf dem Aventin, die geradezu als theologisch-philosophische Hochschule betrachtet werden kann. Wie warst du deiner Zeit voraus!


Aus: Maria Heine: Die Spiritualität von Asketinnen. Von den Wüstenmüttern zum städtischen Asketinnentum im östlichen Mittelmeerraum und in Rom vom 3. bis zum 5. Jahrhundert. Lit. Verlag Dr. W. Hopf, Münster 2008

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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualis10.09.2016 --> -->
korrekt zitieren:
Maria Heine: Artikel
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