Ökumenisches Heiligenlexikon

Herkunft und Bedeutung von Allerheiligen


Fred Grupp aus Mössingen hat den Wissensstand über Herkunft und Bedeutung von Allerheiligen zusammenfefasst.

I. Der Stand

Was ist der heutige Wissensstand über Herkunft und Bedeutung von Allerheiligen? Ich zitiere zunächst den Brockhaus: Allerheiligen, ein hohes Fest der katholischen Kirche, wurde zuerst seit dem 4. Jahrh. im Morgenlande am Sonntage vor Pfingsten zum Gedächtniß derer, die für den christlichen Glauben den Märtyrertod erlitten, gefeiert und fand zu Anfange des 7. Jahrh. auch in der abendländ. Kirche Eingang. Durch Papst Gregor IV. ward es 835 auf den 1. Nov. verlegt und zur Verehrung aller der Heiligen und Engel bestimmt, denen keine besondern Festtage geweiht sind.

Weiters die Internet-plattform Wikipedia, Stand Januar 2012:
Im Lauf der ersten christlichen Jahrhunderte wurde es wegen der steigenden Zahl von Heiligen zunehmend unmöglich, jedes einzelnen Heiligen an einem besonderen Tag zu gedenken. Jährliche Gedenktage für Verstorbene gab es bereits im antiken Christentum. In den östlichen Kirchen finden sich seit Anfang des 4. Jahrhunderts dann ausdrücklich Allerheiligenfeste, die als Herrentag aller Heiligen am 1. Sonntag nach Pfingsten gefeiert wurden. In der westlichen Kirche weihte Papst Bonifatius IV. am 13. Mai 609 oder 610 das heidnische Pantheon in Rom – zuvor das Heiligtum der antiken Götterwelt – der Jungfrau Maria und allen Märtyrern und ordnete eine jährliche Feier an, zunächst am Freitag nach Ostern. Papst Gregor III. weihte über hundert Jahre später eine Kapelle in der Basilika St. Peter allen Heiligen und legte daher für die Stadt Rom den Feiertag auf den 1. November. Ende des 8. Jahrhunderts begann man an diesem Tag das Fest vor allem auch in Frankreich zu feiern, und der Termin verbreitete sich allmählich in der gesamten Westkirche, bis Papst Gregor IV. 835 Allerheiligen für die gesamte Westkirche auf den 1. November festlegte. Seit Ende des 10. Jahrhunderts wird, ausgehend von der Benediktinerabtei Cluny, am 2. November mit Allerseelen zusätzlich ein Gedenktag aller Verstorbenen gehalten, die sich nach katholischem Verständnis im Purgatorium befinden und die volle Gemeinschaft mit Gott noch nicht erreicht haben.

Soweit im Einklang mit dem Brockhaus und im großen und ganzen akzeptabel. Dann aber folgt:
Die Annahme, dass die Christen mit der Wahl des Termins das keltische Fest Samhain, ein Totenfest am ersten Tag des Winters, aufgegriffen haben könnten, ist umstritten, da auch Geschichte und räumliche Erstreckung des Samhain-Festes unklar sind. Gegen eine Verbindung spricht, dass der November-Termin für Allerheiligen zuerst im 8. Jahrhundert in Italien eingeführt wurde, wo Samhain unbekannt war. Im frühen christianisierten Irland wurde Allerheiligen zunächst im Frühjahr gefeiert. Doch muss bedacht werden, dass die Missionierung Irlands bereits im 4. und 5.Jahrhundert nach Christus begann und sicherlich irische Geistliche Italien und Rom bereisten.
Dieser Absatz ist durchweg fragwürdig, ungenau und verfehlt; er wird dem historischen Hintergrund in keiner Weise gerecht. (Ein warnendes Beispiel, nebenbei, mit wieviel Misstrauen man Wikipedia generell begegnen sollte.)

II. Zielsetzung

In Allerheiligen bündeln sich drei Bedeutungen: erstens das Kalenderdatum 1. November, zweitens das Toten­Gedenken, und drittens die kirchlichen Heiligen. Ich möchte nachweisen, dass eben dieser Reihenfolge auch die historische Herkunft entspricht.

III. Der 1. November, ein Klima-Datum

Der 1. November 1 hat zentrale Bedeutung im keltischen Kalender – und nur in diesem. Er ist (heute noch) der Neujahrstag der keltischen Kultur. Die alten Kelten haben das Jahr in zwei Hälften geteilt: in ein Winterhalbjahr (1. November - 1. Mai) und ein Sommerhalbjahr (1. Mai - 1. November). Dieser Einteilung zugrunde liegt eine banale geographische Gegebenheit, nämlich unser mitteleuropäisches Klima. Notabene kein astronomischer Gesichtspunkt, denn von der Länge der Tage her würde sich ja eher ein Sommerhalbjahr 1. April bis 1. Oktober anbieten. Nein, ganz praktisch gesehen der klimatische Jahresgang, vor allem im wirtschaftlichen Sinn. Die Zeiten des Wachstums, der Wärme, der Ernte verschieben sich ja gegenüber dem Licht nach hinten. Besonders deutlich wird diese Naturnähe in den Bergen. Für eine Hirtenkultur ist der Sommer die schneefreie Periode der Weidewirtschaft: da sind die Kühe auf der Alm. Natürlich schwankt die Weidezeit mit der Höhe: der Hochgebirgssommer ist wesentlich kürzer als der in tieferen Lagen – schade, denn sonst würden Almauftrieb und Almabtrieb den Sommer nicht nur ökonomisch, sondern auch klimatisch begrenzen – aber wenn das Jahr halbiert werden soll, entspricht die keltische Einteilung stimmig dem klimatischen wie dem ökonomischen Milieu.

IV. Winter und Sommer

Winter und Sommer (warum es die Kelten so und nicht umgekehrt empfanden, folgt unter IX.) sind ein grundlegendes Phänomen der Natur, mit allen Assoziationen, die wir Menschen damit verbinden: dunkel – hell; kalt – warm; Dürre – Fruchtbarkeit; Trauer – Freude; Tod – Leben; Geist – Körper; Besinnlichkeit – Sinnlichkeit; jenseits – diesseits (etc.). Die Dialektik der Begriffe als sich bedingender Gegensätze eines Ganzen entspricht ganz dem keltischen Geist 2. Es ist nur zu verständlich, dass sich aus den beiden klimatischen Scharniertagen die zwei keltischen Hauptfeste entwickelt haben: Saman 3 am 1. November und Beltane am 1. Mai. (Wohlgemerkt ist das Phänomen jahreszeitlicher Feste ein universales – jede Kultur hat ihre Kalender-Höhepunkte. Die germanischen Kulturen z. B. feiern die Sonnwenden, mit ähnlichen Konnotationen. Saman ist also von seiner klimageographischen Herkunft sicher uralt; ich gehe davon aus, dass es schon die Urnenfelderleute der Bronzezeit begangen haben, und warum nicht auch vor ihnen die Neolithiker …)

V. Das Totenfest

Aus dem Tenor der obigen Winterbegriffe wird anschaulich, was Saman ursprünglich bedeutet haben mag, aber auch, wie sehr das keltische Neujahrsfest schon durch sein Datum mit den dunkeln Aspekten des Lebens verknüpft war (uns fremd, s. auch Abschnitt IX).
Der Grundgedanke des Totengedenkens ist natürlich zeitlos. Die an Allerheiligen zum Friedhof pilgern, um ihre Gräber zu pflegen, folgen einem uralten Brauch, der aber bis auf das Datum nicht spezifisch keltisch ist. Die Zweitbedeutung von Saman, mit Betonung der Themen Tod und Jenseits, gründet auf der religiösen Vorstellung einer Anderwelt als einem parallel existierenden Totenreich. Nach dieser Vorstellung öffnet sich einmal im Jahr eine Verbindung zwischen beiden Welten, etwa im Sinn einer Geisterstunde 4 – für die sich die Samannacht fast zwangsläufig anbot. Kundige Persönlichkeiten, z. B. Druiden, nützten sie angeblich zu Austausch und Zwiesprache. Die anderen, das Volk? Gut vorstellbar, dass in dieser Nacht Angst und Grauen geherrscht haben. Schon Cäsar hat den antiken Galliern einen starken Hang zum Aberglauben nachgesagt. Die irischen Sagen strotzen von Geisterglauben und Hokuspokus. (Die mittelalterliche Höllenangst hat da womöglich auch Wurzeln?) 5 Mit dem Hokuspokus schließt sich ein Kreis zum modernen Hallowe'en 6. Die Klamauk-Komponente hat unter amerikanischem Einfluss eine ungeahnte Dimension erreicht: die kapitalistische. Der Kommerz macht vor nichts Halt: nach Ostern und Weihnachten wird nun auch Allerheiligen profaniert 7.

VI. Das Gegenstück: der 1. Mai

Saman kann erst ganz verstanden werden durch sein Gegenstück Beltane. Der Name kommt von altkeltisch Belo-te(p)nia, altirisch Bel-tene, helle(s) Feuer. Von bel- (hell) leitet sich auch der keltische Gott Belenos ab, daher auch die Zuschreibung "Belenos-Feuer". Durch diese Feuer wurde rituell das Vieh getrieben (ganz pragmatisch, um es gegen Ungeziefer zu desinfizieren). Das Fest zum Sommeranfang/Winterende stand für alles, was oben im Sommertenor angeführt ist, mit starker Betonung von Fruchtbarkeit und Sexualität. Der Maibaum ist selbstverständlich ein Phallussymbol, notabene für Mensch und Tier, die Viecher freuen sich schliesslich auch, wenn sie nach dem Winter heraus dürfen … Mit Beltane hatte das lustfeindliche Christentum große Probleme 8, an einen kirchlichen Feiertag war da nicht zu denken. Im Gegenteil, die Liebesnacht musste verteufelt, in eine Hexennacht umgewidmet werden (in Süddeutschland: Freinacht, Drudnacht). Den 1. Mai widmete die Kirche der hl. Walburga, mit mäßigem Erfolg. Die tugendhafte Walburga, die ursprünglich für Husten, Hunger und sonstige Plagen zuständig war, wurde im Lauf der Zeit zur Schutzheiligen gegen – Hexenzauber natürlich, was aber kaum mehr jemand weiß, so dass ihr Name jetzt, paradoxerweise, eher stellvertretend für die Hexennacht assoziiert wird als diese austreibend. Leider hat sich das moderne Begehen der Walpurgisnacht (ähnlich wie an Hallowe’en) in Richtung Klamauk entwickelt (Gartentüren aushängen, Autozerkratzen etc. …).
Bemerkenswert nah am sexuellen ursprung sind manche ländlichen Maibräuche, z. B. das Mailehen, bei dem die ledigen Mädchen quasi versteigert werden. Und, wie gesagt, der Maibaum, wenn auch kaum noch als klarer phall (um Arno Schmidt zu zitieren) erkannt.
Und der Tag der Arbeit? Auch er fußt letztlich auf Beltane! Als der Pariser Arbeiterkongress 1889 den 1. Mai zum internationalen Tag der Arbeit bestimmte, bezog er sich (wie zuvor der amerikanische in St. Louis 1888) auf die Vorfälle von 1886, wo am 1. Mai in zahlreichen Orten der Vereinigten Staaten die Arbeiter/innen streikten und es zu Unruhen kam, in deren Folge die Polizei vier Arbeiter erschoss. Dass nun gerade zum 1. Mai gestreikt wurde, ist Folge einer ökonomischen Traditionslinie – diesen Hinweis verdanke ich Sigrid Frank vom DGB Stuttgart. Sie schrieb: Er war der traditionelle Anfangstermin für die bäuerliche Sommerarbeit, Zinstermin für Pacht- und Mietverträge und Tag des Gesindewechsels auf den Höfen. Zünftisch-städtische Traditionen, verbürgerlichte Formen des Mailehens oder Holzschlagrechte waren auf diesen Tag festgelegt. Im Ruhrgebiet wurden bis ins 20. Jahrhundert zu diesem Termin Wohnungen bezogen, Arbeitsstellen angetreten und Verträge erneuert. In Nordamerika nannte man diesen wichtigen Wechseltermin Moving Day. Voilà! Moving Day drückt den uralten Scharniercharakter des Tages hervorragend aus, es begann eben auch in ökonomischer Hinsicht ein neuer Jahresabschnitt, und dazu passte die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen: so wurde der 1. Mai – keineswegs zufällig – zum internationalen Kampftag der Arbeiterklasse. Wobei mit der neuen Bedeutung die alte nicht verschwand. Die Arbeiterführer klagten schon vor 100 Jahren, dass die Massen lieber ins Grüne zogen und/oder zum Tanzen und Trinken. Es wurde auch versucht, das Mai-Brauchtum zu integrieren und die beiden Stränge zu verbinden: die sich erneuernde Natur als Sinnbild für Befreiung und Aufstieg der Werktätigen. Auf Maiplakaten 1890 - 1914 sind Sommer-/Frühlings- und Natur­Symbole noch allgegenwärtig.

VII. 1. Februar/1. August

Der Vollständigkeit halber: Die Jahreshälften noch einmal unterteilt ergeben sich zwei weitere Festtage, der 1. Februar und der 1. August.
Der 1. Februar war das Fest der beginnenden Fruchtbarkeit, gallisch Ambiuolcaia, irisch Im­bolc/Imbolg (irisch bolg = bauch, schwellen, verwandt mit dt. balg). Das Schwellen ist kein Zufall: es sind genau neun Monate nach Beltane! Gewidmet ist der 1. Februar der Göttin Brigantia/Brigid. Die christliche Umwidmung Mariä Lichtmess (Candlemass) hat sich um einen Tag auf den 2. 2. verschoben, aber der Zusammenhang mit der keltischen Göttin liegt auf der Hand. 9
Der 1. August, gallisch Lugi Naissatis (Lugs Versammlung), daraus gälisch Lughnasa/Lùnasad, englisch Lammas Day, ist das Fest des Gottes Lug. 10 (Es wirkt im Christentum erst 14 Tage später nach, s. Anmerkung.)

VIII. Teutates

Ich fasse zusammen: drei der vier kalendarischen Festtage sind wichtigen Gottheiten zugeschrieben: Brigantia, Belenos, Lug. Aber wer regiert Saman, das Hauptfest? Cäsar gibt Dis Pater an – der entspräche ungefähr dem keltischen Donnergott Taranis (verwandt mit dem germanischen Donar). Der war bei den Kelten zwar wichtig, hatte aber lang nicht die Obergott-Funktion wie Jupiter. Als wichtigster galt ihnen, zersplittert wie sie waren, ihr jeweiliger Stammesgott: der Teutates. Teutates bedeutet wörtlich der vom Volk (altkeltisch toutâ = Volk), ist also ursprünglich kein Eigenname, sondern ein Begriff, wie später bei den Iren der Dagda, der gute Gott. Dessen Diversität hat sich von Stamm zu Stamm und im Lauf der Jahrhunderte entsprechend ausgeprägt – aber er war offenbar der Schirmherr des Tages: Saman, ihr Hauptfest, widmeten die Kelten ihrem jeweiligen Stammesgott.
Auf diesem Hintergrund hat sich die christliche Kirche ihrem Anliegen, das keltische Saman in kenntlicher Form zu integrieren, sehr kundig und sensibel entledigt – irische Ratgeber in Rom haben möglicherweise mitgewirkt. Der Akt fand 835 durch Papst Gregor IV. statt, indem er das östlich - westlich Vagabundierende, bis dahin eher um Pfingsten gefeierte Allerheiligen auf den 1. November festlegte. Genial: wie benennt man einen Haufen dezentralisierter, aber zentraler Gottheiten? Richtig: Alle Heiligen! – die christlichen Heiligen sollen die keltischen Stammesgötter ersetzen …

IX. Der Abend vorher

Es ist auffallend, wie sich die keltische Eigenart, die Nacht vorher als Bestandteil – genauer gesagt sogar Hauptteil – des Tages zu feiern, bis heute gehalten hat. Bei Saman (Heiligabend) sowieso und bei Beltane (Walpurgis-nacht am 30. April), aber auch beim christlichen Weihnachtsabend vor dem 25. Dezember, und natürlich an Silvester. Weitere Abende kommen lokal im süddeutschen und alpinen Raum vor. 11
Woher kommt diese Eigenart? Sie kommt daher, dass der keltische Tag am Abend, mit dem Sonnenuntergang, anfängt. Das wiederum ist ein Spiegel des Jahres, das analog am Abend, nämlich an Saman, beginnt. Die Kelten – und mit ihnen viele Kulturen des alten Orients, ja fast alle Kulturen – haben sich zunächst am Mond orientiert. Und da ist das abendliche Erscheinen der Mondsichel nach dem neumond (das sog. Neulicht) der einzig greifbare Anfang im Monatsverlauf. Für eine Mondkultur lag es nahe, diesen Abendanfang auf Tag und Jahr zu übertragen.

X. Saman wanderte

Der Mondkalender brachte es auch mit sich, dass die Monatsanfänge variierten, sie fielen immer auf den Neumond. Also wanderte z. B. der Samantag – wie die anderen Festtage auch; er konnte innerhalb der herbstlichen Jahreszeit (Oktober - November) um bis zu einem Monat differieren (wie heute z. B. Ostern, auch dieses Fest ein vom Mond abgeleitetes). Der fixe 1. eines Monats ist also eine erst späte, römische Errungenschaft.

XI. Saman?

Ich schreibe Saman und Beltane – warum? International üblich ist die moderne irische schreibweise Samhain bzw. Bealtaine. Was mich daran stört, ist zum einen die irische Aussprache, die in der Regel kaum jemand gescheit kann: ungefähr Saunj bzw. Bialtinje. Zum anderen die Bevorzugung des irischen gegenüber den restlichen neukeltischen Sprachen 12. Da halte ich es für angemessener, altkeltische Formen zu verwenden, die zudem für deutsche Zungen nachvollzieh- und sprechbarer sind.
Saman leitet sich im übrigen ab vom altkeltischen Novembermonat Samonios, der wiederum zwei Bedeutungen verbindet: sama, festliche Zusammenkunft, mit samo-, sommerlich, also etwa: Fest zum Sommer(halbjahrsende) …

XII. Zusammenfassung

Der 1. November ist zunächst und grundlegend ein mitteleuropäisches Klimadatum, verankert im ökonomischen Jahresgang schon der Vorzeit. Das keltische Totengedenken hat sich aus seiner Stellung am Anfang des Winterhalbjahrs entwickelt. Die christlichen Heiligen haben mit beiden nichts zu tun, sind aber ein schönes Beispiel dafür, wie klug und kreativ die Kirche ihre Hoheit über ihre Feiertage einzusetzen wusste.

Mössingen, 1. Mai 2012 (anois ar theacht an t-samhraidh / jetzt, wo es Sommer wird)

1 Ich verwende die heutige Fixierung der Monatsanfänge, obwohl die der alten Kelten nicht fix waren, sondern wanderten (s. Abschnitt X).

2 Um diesen keltischen Geist auch richtig einzuordnen: der Gegensatz dunkel – hell (etc.) ist kognitiv betrachtet ausgesprochen banal – wichtig ist, welche Geisteshaltung darauf aufbaut. Und da gibt es z. B. in der chinesischen Kultur eine schöne Entsprechung, nämlich das bekannte Begriffspaar yin und yang. Yin vertritt das weibliche Prinzip, das natürliche, dunkle, irrationale, das Südufer eines Flusses = Nordhang eines Berges; yang das Gegenteil: das männliche, die Tat, das helle, rationale (geographisch die Weinlage des Tales am nördlichen Südhang …). Wichtig ist in unserem Zusammenhang die Dialektik, d. h. dass beide Eigenschaften sich ergänzen, zusammengehören, aufeinander angewiesen sind und voneinander leben. Die Kelten haben diese archaische Dialektik, wie die Chinesen und viele Urvölker auch, noch empfunden. Dass schon früh (vor 2000 - 3000 Jahren) in parallelen Kulturen, vor allem monotheistischen (Zarathustra, Jehova), aus dem objektiven hell - dunkel ein subjektives gut - böse geworden ist, ist ebenso interessant wie irgendwie bedauerlich, um nicht zu sagen unheilvoll …

3 Zur Schreibweise s. Absatz XI.

4 Diese Geisterstunde ist wohl erst in der Spätantike entstanden - vielleicht nach Kontakt mit anderen (welchen?) Religionen …

5 Schade, dass man die alten Druiden nicht mehr fragen kann nach dem Verhältnis von Besinnung und Brimborium (war ja sicher mal eine Einheit, wie jeder Ritus); einige Miraculixe werden am zunehmenden Klamauk ihrer Völker ähnlich verzweifelt sein wie manch heutiger Pfarrer über die Sinnentleerung seiner Feiertage …

6 Ausser dem Klamauk nervt an Hallowe’en auch die falsche Aussprache Halloween. Richtig heisst es Hallow Even (>E’en), d. h. auf mittelenglisch Heiliger Abend, oder, noch korrekter, All Hallows’ Even aller Heiligen Abend.

7 Was der Klamauk auch leistet, ist typisch für unsere Gesellschaft: den Tod zu verdrängen …

8 Die Frage, warum alle monotheistischen Religionen lust- bzw. körperfeindlich sind, ja sein müssen, möchte ich hier nur anreißen, mit dem Grundgedanken: Sex ist auf ein gegenüber angewiesen, braucht Partnerschaft. Der Erhabene alleine ist zu hoch dafür, demnach muss Sex etwas Niedriges sein …

9 Brigantia leitet sich ab von altkeltisch Brgntî<ie, bhrgh-ntî, bedeutet also wörtlich die Erhabene (altkeltisch brgânt = hoch), wahrscheinlich aber, prosaischer, die Göttin der Bergstämme, d. h. der keltischen Brigantes, die Bregenz den Namen gaben und auch in Galicien, Nordengland und Irland siedelten.

10 Die Bedeutung des Namens ist umstritten (evtl. der Leuchtende oder der Angebetete), jedenfalls hießen und heißen etliche Städte Lug-burg = Lug(u)­dunum, z. B. Lyon oder Leiden. Lugs Fest war Hauptsächlich ein Marktfest. (Lug hat unter vielen anderen auch die Eigenschaften des Merkur: ist der Markt Lug zu Ehren gehalten worden? Ich seh es eher umgekehrt: erst war der Markt, dann die Zuschreibung; die keltischen Götter sind sowieso vielförmige Gesellen, nicht recht festlegbar). Zum Markt gehörten weitere Funktionen: Gerichtsbarkeit, Schlichtungen, Waffenstillstandszeit zwischen den Stämmen etc. Das Fest dauerte 14 Tage bis zum 15-ten. Das erinnert nicht nur an die süddeutsche Maria, den 15. 8. gibt es auch in Britannien als Marymas. In Inverness wurde der Tag noch bis 1850 gefeiert (und 1986, by the way, wiederbelebt). Dass neben Fressen und Saufen auch ausgiebig gespielt wurde, ist verbürgt, die Parallelen zum griechischen Olympia bieten sich an. Schade, dass die Termine der heutigen Highland games nicht nur zwischen dem 1. und 15. August, sondern über den ganzen Sommer verstreut sind, aber es sollte mich trotzdem nicht wundern, wenn die merkwürdige schottische Sitte, mit Baumstämmen durch die Gegend zu werfen (til­geadh a’ chabair = tossing the caber), und sonstige sommerlichen Wettspiele ihren Ursprung in den Freizeitcamps der alten Kelten hätten …

11 Ich durfte z. B. als kleiner Bub am 5. Dezember abends auf die Gasse zur Klausen­Jagd, am Vorabend zum Nikolaus.

12 Auf schottisch - gälisch Samhuinn. Kymrisch wie bretonisch kennen nur noch einen prosaischen Winteranfang: Calad gaeaf/Kala goanv.

Fred Grupp aus Mössingen, E-Mail vom 3. Mai 2012

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Autor: Fred Grupp - zuletzt aktualisiert am 20.10.2018
korrekt zitieren:
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