Loreto im Marienlexikon
Loreto, Städtchen (ca. 10.000 Einwohner) auf einem Hügel unweit des adriatischen Meeres in der ital. Region Marken (Prov. Ancona), einer der bedeutendsten marian. Wallfahrtsorte.
I. FRÖMMIGKETTSGESCHICHTE
Die am Ende des 12. Jh.s erwähnte terra de Santa Maria de
Laureto
(1181) und die ecclesia
Sanctae Mariae quae est sita in fundo Laureti
(1194) sind vermutlich nicht mit der Casa Santa identisch. Dass L.
eine stark frequentierte und reich dotierte Wallfahrt war, geht aus einer
Gerichtsurkunde von 1315 hervor, in der Plünderer gestraft werden. Der Kult entstand im Lauf des 13. Jh.s. Rinaldi
Antici, Führer einer Gruppe von Kreuzfahrern aus den
Marken auf dem
Kreuzzug Friedrichs II. (1228 f.), wird Landvogt von
Nazaret und stirbt bei der Verteidigung
der Stadt (Diplom Friedrichs von 1249 für den Sohn Stefano). Seine Söhne streiten sich — nach späterer Überlieferung —
um die Aneignung des Hl. Hauses. Nach Feramano (s. u.) bestätigte ein Rinalduccio (nach späterer Überlieferung ein
Antici), sein avus avi habe gesehen, quando angeli duxerant praedictam ecclesiam per mare
(Familientradition?).
Die Ausgrabungen unter der Santa Casa (1962 — 65) ergaben u. a. das Fehlen eines eigentlichen Fundaments, stießen
auf eine öffentliche Straße, auf der das Haus gebaut worden war, und auf robuste Steinmauern vom Anfang des 14. Jh.s,
die die fundamentlose Santa Casa stützen sollten. Die Ausgrabungen in Nazaret (1954 — 60) bezeugen die noch vorhandene
Höhle (ehem. Keller?) und ein (später verschwundenes) Mauergebäude. Teile dieses Mauerwerks gelangten offensichtlich
durch Kreuzfahrer nach L.; dort fand man die für die Kreuzfahrer typischen roten Stoffkreuze und Sgraffitomalereien
auf den Steinen der Santa Casa ähnlich denen in Nazaret. Nach barocken Zeichnungen und Kupferstichen gab es im Innern
der Santa Casa ehedem auch Darstellungen von Kreuzfahrern. Ältere ikonographische Traditionen in L. berichten noch
im 15. Jh. vom Transport des Hl. Hauses auf dem Wasser.
1318 wurden dt. Pilger an der Strada maris von Recanatensern überfallen, einige sogar ermordet. Ab 1372 werden die Zeugnisse für die Wallfahrt nach L. wieder dichter (1348: sacra domus Mariae). An die Stützmauer wurde ringsherum ein Säulengang angebaut, in dessen oberem Stockwerk sich Wohnräume für kranke Pilger und Geistliche befanden. Ende des 14. Jh.s wurde eine Kirche um die Santa Casa erbaut, was das Bewusstsein von deren besonderer Heiligkeit voraussetzte (vgl. Einsiedeln). Seit 1375 wurde ein Ablass gewährt. Besonders herausgehobene Tage sind nativitas und assumptio gloriosae virginis (Gregor XI.). Aus Urkunden der Zeit geht auch die Sorge um die Wallfahrtwege hervor (Brücken, Meilensteine und Bildsäulen als Wegweiser). Außerdem existieren von 1399 und 1405 Geleitbriefe. Münzfunde beweisen die Herkunft von Pilgern aus ganz Europa.
Seit 1450 erlebte die Wallfahrt nach L. einen neuen Aufschwung (Flavio
Biondo: celeberri-mum totius Italiae … sacellum). In diesem Jahr kam Nikolaus V. nach L., weitere Päpste folgten
(Pius TV. führte 1560 31 Privilegien seiner Vorgänger für L. auf). 1468 war der Baubeginn der neuen, heutigen Kirche,
der von den Päpsten maßgeblich gefördert wurde. Der Rektor des Hl. Hauses, praepositus Teramanus, schrieb die
L.-Legende von der Übertragung der Santa Casa durch Engel nieder (Relatio
Teramani). Die Ikonographie der Translatio Sanctae Casae zeigt, dass die Legende wenigstens 100 Jahre älter ist
(Fresko in Gubbio, 2. Hälfte 14. Jh.,
Fresko in Jesi bei Ancona, um 1350; Gemälde
in Castelletto d'Orba, um 1400). Das
Fresko in Gubbio scheint noch auf einen älteren Kern der Legende zu verweisen: die Übertragung eines Gnadenbildes
durch Engel. Die Relatio Teramani erfuhr noch während des 15. Jh.s in Handschriften (z.B.
Tegernsee,
Attel) und 10 Druckausgaben eine weite
Verbreitung. Im 16. Jh. steht die Lauretanae virginis historia
Girolamos Angelitas (um 1532, besonders
häufig aufgelegt 1575 — 80 und 1587 — 99) im Mittelpunkt.
Ein weiterer Höhepunkt der L.-Verehrung im dt. Sprachraum folgte im Zeitalter der Gegenreformation (Petrus Canisius; Lauretanische Litanei; Kardinal Otto Truchseß von Waldburg; Loreto-Kapellen), vor allem seitdem die Jesuitenorden die Wallfahrtsseelsorge übernommen hatten. Auf Anweisung Clemens' VIII. wurde die Translatio sanctae Casae (10. Dezember) in L. als Fest gefeiert; Urban VIII. dehnte es auf die ganze Provinz Picenum aus.
Bereits im 16. Jh. ist die Abgabe von Staub in kleinen Papierumschlägen mit der Aufschrift Pulvis Almae
Domus Lauretanae
nachgewiesen. Solcher Staub wurde außerdem bei der Herstellung von Schüsseln und Tellern
beigemischt, was dann in der Aufschrift Con polvere di S. Casa
zum Ausdruck kommt. Die Eigenart des
Kultobjektes begründete ein besonderes Patronat über Haus, Familie und Kinder. Tätowierungen von Pilgern sind seit
dem Ende des 16. Jh.s belegt; noch etwa 50 Stempel hierzu neben anderen Devotionalien wie Häubchen, Längenmaße,
Schleierbildchen, besondere Kerzen und Handglöckchen sind erhalten. Seit dem frühen 18. Jh. werden Stücke vom
schwarzen Schleier, mit dem das Gnadenbild am Karfreitag verhüllt
wurde, auf attestazioni
geklebt (Scheierbrauchtum 1737 von
Altötting übernommen). Neben den
Handglöckchen gibt es auch vom Papst geweihte L.glocken für Kapellen und Kirchen.
Wallfahrtsprozessionen trugen eine mit Geldstücken behängte Kerze (und
eine Nachbildung der Virgo Lauretana auf einem Stab) mit, hielten im Gebet inne, sobald sie die Kuppel erblickten,
fielen vor der Santa Casa auf die Knie und rutschten vielfach auf den Knien um das Hl. Haus, dieses berührend
oder gar küssend. Geistliche rechneten es sich als große Ehre an, in der Santa Casa zelebrieren zu dürfen und
ließen sich das beurkunden. In neuester Zeit (1920) wuchs der L.-Madonna das Patronat über die Flieger (und die
Astronauten) zu.
Lit:. G.Hüffer, L. Eine geschichtskrit Untersuchung der Frage des hl.Hauses, 2 Bde., Münster 1913. — G.Kresse, Die Wahrheit über L., 1926. — L. da Monterado, Storia deüa devozione e dei Pellegrinaggi a L., 1954. — R.Roli, Die Santa Casa von L., 1966. — N. Alfieri, E. Forlani und F. Grirnaldi, Contributi archaeologici per la storia della Santa Casa di L., 1967. — G.Santarelli, L. Geschichte und Kunst, 1983. — W.Pötzl, Santa-Casa-Kult in L. und in Bayern, In: Wallfahrt 368—382. — F. Grimaldi, La madonna di L. patrona degli aeronauti, ebd. 300—305. — L., ebd. 206—223. — E Grimaldi, La chiesa di Santa Maria di L. Nei documenti dei seculi XII—XV, 1984.
W.Pötzl
II. KUNSTGESCHICHTE
Das 9,52 m lange, 4,10 m breite und 4,30 m hohe Hl. Haus besaß ursprünglich nur eine Tür in der nördl. Längswand. Außer verschiedenen schlecht erhaltenen Malereien im oberen Wandteil ist über dem Fenster der Westwand ein Bild des Gekreuzigten zu nennen, das der Legende nach von Lukas, in Wahrheit von lokalen Meistern des 14. Jh.s stammt. Unter Papst Paul II. wurde 1468 mit der Errichtung einer großen Kirche über dem Hl. Haus begonnen. Architekt der dreischiffigen Anlage im Übergangsstil von Gotik zu Renaissance war Marino di Marco Cedrino da Zara. Die Kuppel, unter der sich die Santa Casa befindet, wurde 1498 bis 1500 von Giuliano da Sangallo geschaffen (Malereien von G. Maccari, 1907). Die berühmtesten Architekten der Zeit, so auch Bramante, waren am Bau beteiligt. Der spätbarocke Campanile ist ein Werk Vanvitellis. Am 10. 11. 1513 wurde der Grundstein für die prächtige Marmorverkleidung mit drei Eingängen gelegt, die das Hl. Haus wie ein Reliquienschrein umgibt. 1509 hatte Bramante dafür ein erstes Modell in Holz geliefert, 1514 schuf Sansovino die umlaufende Basis mit geometrischen Mustern. Die Wandflächen darüber sind durch Reliefs (Szenen aus dem Marienleben) und in rundbogigen Nischen eingestellten Statuen (Propheten, Sibyllen) gegliedert. Die Statuen des == Bileam und des Jesaja wurden von Giovanni Battista und Tomaso della Porta d. J. geschaffen, die restlichen von den Gebrüdern Lombardi. Stark von Michelangelos Moses in S. Pietro in Vincoli beeinflußt ist Aurelio Lombardes Jeremias. Als wertvollstes der Reliefs ist die 1518 von Sansovino begonnene Verkündigungsszene anzusehen. Weitere beteiligte Bildhauer waren Raffaello da Montelupo, B. Bandinelli und Tribolo. Auch an der Ausschmückung der Wallfahrtskirche wirkten namhafte Künstler mit. Von großem kunstgeschichtlichem Wert wegen ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Deckenmalerei sind die nach 1477 entstandenen Fresken des Melozzo da Forli in der Kuppel der Schatzkammer. Der Reigen der in den Himmel auffahrenden Engel ist in starker Untersicht wiedergegeben.
Während des 16. Jh.s verbreitete sich die Verehrung der Santa Casa als bedeutender
Marienreliquie in ganz Europa. Vielerorts wurden Nachbildungen des Hl.
Hauses errichtet (Architekturkopie). Wichtige Quelle dafür waren die Lauretanae Historiae Libri quinque
des
H. Tursellinus (Mainz 1600). Auch in der Malerei bildete die Translatio des Hl. Hauses ein beliebtes Thema. Frühe
Beispiele zeigen Maria unter einem von Engeln getragenen Baldachin. Erst im
ausgehenden 15. Jh. entstand der Bildtypus (Marias über dem von Engeln getragenen Haus, der schließlich zum Thema
barocker Deckenmalerei wurde. Eines der bedeutendsten Beispiele war Tiepolos 1743/44 entstandene Darstellung in
der Chiesa degli Scalzi zu Venedig. Das
Fresko wurde im Ersten Weltkrieg zerstört, doch sind drei Entwürfe enthalten (Venedig, Accademia; London, Sammlung
Rosebery; Salzburg, Barockmuseum).
Lit.: G. Garratt, Lorette, le nouveau Nazareth, Lilie 1893. — P. Scarpa, Guida storica ed artistica di Loreto, 1956. — F. da Morrovalle, Loreto nell'Arte, 1964. — R.Roli, Die Santa Casa von Loreto, 1966 (Lit.). — K. Weil-Garris, The Santa Casa di Loreto. Problems in Cinquecento Sculpture, 2 Bde., 1977. — W. Barcham, Giambattista Tiepolo's Ceiling for S. Maria di Nazareth in Venice …, In: ArtBulI 61 (1979) 430—447. — W.Pötzl, Loreto in Bayern, In: JbVK 2 (1979) 187-218. - Wallfahrt 206—223. — F.Grimaldi und K. Sordi, Scultori a Loreto 1987. - EC VII 1556-1562 (Lit.). - LCI ffl 544f.
E. G. Trapp
III. LITURGIE-WEST
Seit 1632 wird am 10. Dezember die zweite Übertragung des Hauses von
Nazaret (Translatio Almae Domus BMV) nach
Recanati liturg. gefeiert, zunächst im
Piceno, dann auch in Etrurien und im
Kirchenstaat, seit 1916 schließlich in ganz Italien. Als Festa della trasalazione della Sta.Casa
wird dieses
Mariengedächtnis heute nur noch in der Region der Marken gefeiert (im Range eines Festes).
Die Lauretanische Litanei trägt ihren Namen wegen des Gebrauchs in L., wo sie erstmals 1531 bezeugt ist.
Lit.: P Radö, Enchiridion Liturgicurn E, 1966
F. Baumeister
IV. REL. GEMEINSCHAFTEN
Schwestern von Loreto, Sisters of Loretto at the foot of the Cross, eine von Charles Nerinckx 1812 in Kentucky (USA) gegründete Lehrschwesternkongregation, die 1952 insgesamt 1065 Professschwestern, 56 Novizinnen und 32 Postulantinnen zählte. Sie lehren an vier Colleges, 23 High Schools und 77 Volksschulen der Vereinigten Staaten. 1952 teilten die Schwestern ihr Wirkungsfeld in den USA in drei Provinzen ein. Seit 1923 waren sie in Han-Yang - heute ein Stadtbezirk von Wuhan -, China, und seit 1933 in Shanghai tätig.
Fr. Charles Nerincks, ein belgischer Missionar, pflanzte seine Marienliebe in die junge Kongregation ein. Die
Schwestern nennen sich auch Freundinnen Marias am Fuße des Kreuzes
. Ihr Gebetbuch Daily Prayers
lässt
die Schwestern alle ihre gemeinschaftlichen Gebete mit den Worten eröffnen und schließen: Gegrüßt seist Du,
Tochter des Vaters, Mutter des Sohnes und Braut des Heiligen Geistes, Du Tempel der heiligsten Dreifaltigkeit
.
Alle Gebete enden mit dem Stoßgebet: O leidender Jesus, o schmerzhafte Mutter
. Eine feierliche Novene
bereitet die beiden Feste der Sieben Schmerzen Mariens und das
Fest der UE vor.
Lit.: M.Heien, Giant in the Wilderness. A Biography of Fa-ther Charles Nerinckx, 1952. — An Army of Peace, the Story of the Sisters of Loretto at the Foot of the Cross, 1944. — Rev. Charles Nerinckx (1861—1824) and the Devotions to the Blessed Virgin Mary, 1930. — Daily Prayers äs said in common by the Sisters of Loretto at the Foot of the Cross, 1951.
A. Borer
Remigius Bäumer und Leo Scheffczyk (Hg.): Marienlexikon, Bd 4, EOS Verlag St. Ottilien, 1992
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