Vortrag: Heiligenverehrung
Bilderdatei: Heiligenverehrung.exe.
Wir fragen zuerst nach den Heiligen in der Bibel und betrachten dann die Entwicklung der Heiligenverehrung
in der frühen Christenheit. Dann schauen wir, wie sich in der römisch-katholischen Kirche die Heiligsprechung durch
den Papst und die Seligsprechung entwickelt haben und auf das dann eingeführte Verfahren seit dem 16.
Jahrhundert. Das Schema der Prozesse führt uns zu den Formen des Gedenkens der Heiligen.
Es folgt der Blick auf die Heiligsprechung in den Orthodoxen Kirchen und die Frage Gibt es Heilige bei den
Protestanten? Nach dem Blick auf die Heiligen der Anglikanische Kirche und der Frage Gibt es Heilige im
Islam? schauen wir auf allgemeine Volksheilige.
Am Ende fragen wir Wie viele Heilige gibt es? und erläutern die Bedeutung von Reliquien.
Heilige in der Bibel
Heilig bezeichnet eigentlich zuallererst das Wesen Gottes als des ganz Anderen und Erhabenen.
Die Bibel erzählt aber auch, wie Gott Menschen für sich erwählt, um mit ihnen sein Ziel des Heils für die ganze
Schöpfung zu verfolgen: Abraham, Mose,
dann sein ganzes Bundesvolk Israel, schließlich dessen spätere Erweiterung durch Christus in der weltweiten
Christengemeinde.
Abraham (links) und Sara (rechts) vor der göttlichen Dreifaltigkeit bei
ihrem Besuch im Zelt, Russische Ikone, 19. Jahrhundert.
Ein heiliges Volk sind die Christen, nicht weil es aus Vollkommenen besteht, sondern weil es des heiligen
Gottes Eigentum und Werkzeug ist (2. Mose 19, 5 – 6).
Als Christen sind Menschen durch Christus und den Geist Gottes geheiligt (1. Korintherbrief 6, 11), so gesehen sind
also alle Getauften heilig. Deshalb werden im Neuen Testament alle Mitglieder der christlichen Gemeinde als Heilige
bezeichnet (Kolosserbrief 1, 2).
Mehr als fünfzig Mal werden im Neuen Testament Menschen als heilig bezeichnet. Meist sind es ganz normale
Mitglieder der Christengemeinden. Die Aussage des Apostolischen Glaubensbekenntnisses von der „Gemeinschaft der Heiligen“
kann also verstanden werden als Beschreibung der Gemeinde der Christen.
Dieses Prädikat wurde dann aber schon sehr früh auf Menschen beschränkt, die in einem besonderen Maß als
tugendhaft und glaubensstark galten, so wie die Apostel und die Evangelisten.
Entwicklung der Heiligenverehrung
Als dann die Christen vom römischen Staat verfolgt wurden, entstand in den jungen Christengemeinden die Auffassung, dass Märtyrer für Christus nach ihrem Tod unmittelbar in den Himmel aufgenommen werden und dort fürbittend bei Gott für all jene eintreten, die sie darum anrufen.
Das Martyrium des Stephanus, des ersten Märtyrers: Fresko, Bernardo Daddi,
1324, in der Kirche Santa Croce in Florenz.
Diese Heiligenverehrung kristallisierte sich in der Regel um das Grab bzw. die Reliquien eines solchen Toten.
Daraus entwickelte sich die spätere Heiligenverehrung mit ihrem Reliquienkult und dem Wallfahrtswesen.
Im Jahre 156 berichteten die Christen von Smyrna - dem heutigen
Ízmir in der Türkei - in einem Rundschreiben
über den Märtyrertod ihres Bischofs Polykarp: „Christus beten wir an,
weil er der Sohn Gottes ist. Die Blutzeugen aber lieben wir als Jünger und Nachahmer des Herrn.“
Reste der Stadtmauer von Smyrna
Über dem Grab der Märtyrer wurde der Gottesdienst gefeiert. Aus diesem Grund und in Erinnerung daran wird bis
heute in den Altären der katholischen Kirchen, auf denen das Messopfer, die Eucharistie, gefeiert wird, eine
Heiligenreliquie eingemauert. Gregor von Nazianz
lehrte im 4. Jahrhundert, dass die Leichname der Märtyrer dieselbe Kraft besitzen wie ihre heiligen Seelen.
Kritzelei in der Kirche San Sebastiano fuori
le mura in Rom, entstanden um 250: „Paule ed Petre petite pro Victore“ - die zwei Apostel werden um Fürsprache
gebeten: „Paulus und Petrus, bittet für Viktor!“
Märtyrer, die mit bestimmten Orten fest verknüpft waren, wurden schon im 4. Jahrhundert als deren Schutzheilige
bezeichnet.
Bekannte Schutzheilige für ganze Länder sind: der Apostel Andreas für Schottland,
Dionysius von Paris für Frankreich, der Märtyrer
Georg für England, Bischof
Nikolaus für Russland, der Glaubensbote
Patrick für Irland, der Apostel
Jakobus für Spanien,
Stephan von Cuneo für Ungarn sowie der Erzengel
Michael für Deutschland.
Auch Handwerke und Stände hatten Patrone, und man konnte für jede Krankheit einen Heiligen anrufen, der dem
Patienten helfen sollte.
Nach der Konstantinischen Wende von 313 gab es kaum mehr Hinrichtungen aus religiösen Gründen, nun wurden auch
Nichtmärtyrer, die sich durch ein Gott besonders wohlgefälliges Leben ausgezeichnet hatten, als Heilige verehrt.
Der erste Nichtmärtyrer, der als Heiliger galt, war Martin von Tours,
gestorben 397.
Simone Martini: Martin teilt seinen Mantel, um 1321, Fresko in der Unterkirche der
Basilika di San Francesco in Assisi
Bei der Christianisierung ersetzte die Kirche häufig die heidnischen Götter, die meist Bergkuppen und Quellen hüteten,
durch ihre Heiligen. Die Heiligenverehrung hat sich dann schnell weit verbreitet.
Damals bestimmte das Volk, wer für sie ein Heiliger war. Einige galten schon zu Lebzeiten als heilig, die meisten
erhielten diesen Ehrentitel erst nach dem Tod.
Vom 6. Jahrhundert an bedurfte es, wenn Reliquien zur Ehre der Altäre erhoben wurden, der bischöflichen Genehmigung,
die dann aus Anlass der feierlichen Erhebung oder Überführung der Gebeine, die der Bischof persönlich oder ein von ihm
beauftragter Abt zelebrierte, bestätigt wurde.
Bald schon war es nicht nur Frömmigkeit sondern auch wirtschaftliches Kalkül, die zu einem neuen Kult führte: ein
Heiliger brachte schließlich viele Menschen und damit Geld an den Ort seiner Verehrung.
Die Zahl der Heiligen wuchs, die Heiligenverehrung wurde somit oft entwertet. Daher verbot die Synode in Frankfurt
am Main 794 die Anrufung neuer Heiliger. Kaiser Karl „der Große”
erneuerte und verschärfte 805 dieses Verbot.
Dennoch hielt die Praxis an, ein Beispiel für eine solche Heiligsprechung ist uns über
Die Heiligsprechung der Ida von Herzfeld überliefert.
Glasfenster: das Traumgesicht der Ida, in der Ida-Kapelle in
Herzfeld
Ida, verheiratet mit Herzog Egbert, einem Vertrauten von Karl dem Großen, stiftete um 790 zusammen mit ihrem
Mann die Kirche von Herzfeld in Westfalen. Nach dem Tod ihres Mannes lebte sie als Asketin über seinem Grab in einer
an diese Kirche angebauten Klause. In großer Frömmigkeit vollbrachte sie Werke der Nächstenliebe, das Volk bezeichnete
sie als Mutter der Armen.
Bischof Dodo von Münster erhob 980 Idas Gebeine, nachdem an ihrem Grab Wunder geschehen waren. Ein Mönch
verfasste aus diesem Anlass ihre Lebensgeschichte.
Idas Grab in der zur Kapelle umgewidmeten Klause in Herzfeld wurde eine bedeutene Wallfahrtsstätte. Bis heute wird
alljährlich die „Identracht“, der Umgang mit Idas Reliquien, begangen und dabei der Ida-Segen erteilt.
Heiligsprechung durch den Papst und Seligsprechung
Vom 10. Jahrhundert an zogen die Päpste das Recht der Heiligsprechung an sich. Der erste offiziell von Rom Heiliggesprochene war Bischof Ulrich von Augsburg, heiliggesprochen durch Papst Johannes XV. in einer förmlichen und feierlichen Kanonisation am 31. Januar 993, zwanzig Jahre nach seinem Tod.
Die Verherrlichung von Ulrich (links) und Martin von Tours
(rechts mit der Gans), 1787, Deckengemälde von Konrad Huber in der Pfarrkirche in
Wittislingen bei Dillingen in Bayern
Ulrich ließ diese Kirche erweitern, dort sind seine Eltern bestattet, ihr Turm steht auf Resten des Bergfriedes
der alten Burg, in der Ulrich geboren wurde.
War diese Heiligsprechung durch einen Papst noch die Ausnahme, so machte sie Papst Alexander III. von 1170
an zur Regel. Papst Gregor IX. wiederholte die Forderung auf das exklusive Recht des Papstes 1234 in einem Dekret.
Da aber viele Bischöfe dennoch weiterhin kanonisierten, entstand die Unterscheidung zwischen „beatus“, selig,
und „sanctus“, heilig:
die bischöfliche Kanonisation bewertete man als Seligsprechung, die nur regional gültig ist,
die päpstliche als Heiligsprechung, die in der gesamten Kirche gilt.
Fortan wurden alle vom Papst kanonisierten Heiligen in ein amtliches Verzeichnis, das Martyrologium Romanum,
eingetragen.
Giotto: Heiligsprechung durch Papst Bonifatius VIII. - er regierte von 1294 bis 1303 - auf der Loggia des
Lateranspalastes, Fresko, 17. Jahrhundert,
in der Loggia des Lateranspalastes
Papst Sixtus V. errichtete 1588 die Heilige Kongregation für Riten, die - neben den Fragen der Liturgie der
Gottesdienste - die Verhandlungen über die Angelegenheiten der Heiligen zur Aufgabe hatte. Papst Urban VIII. verlangte
in einem Breve von 1634 das alleinige Recht des Papstes, einer verstorbenen Person den Titel Heilige(r) oder Selige(r)
zu verleihen, außerdem setzte er die Regeln für beide Verfahren fest.
Er „verlangte“ - das heißt also: noch immer war das Verfahren zuvor nicht endgültig zentralisiert.
Papst Clemens XII. ließ diese im Grundsatz noch heute gültigen Regeln in dem 1735 erschienenen vierbändigen
Werk „De servorum Dei beatificatione et beatorum canonisatione“ zusammenstellen und ausführlich kommentieren.
Verfahren seit dem 16. Jahrhundert
Voraussetzung für eine Heiligsprechung ist, dass ihr eine Seligsprechung vorausgeht.
In einem Kanonisationsprozess, der einem Gerichtsverfahren nachgebildet ist, findet eine umfassende und langwierige
Untersuchung statt. Voraussetzung ist, dass mindestens zwei Wunder auf die Fürbitte des Heiligzusprechenden bewirkt
worden sind.
Martyrologium Romanum aus dem Jahr 1792, das offizielle
Heiligenverzeichnis der römisch-katholischen Kirche
Papst Paul VI. teilte 1969 die Kongregation für Riten und schuf
zwei Kongregationen: eine für die Fragen der Gottesdienste und die andere für die Angelegenheiten der Heiligen.
Die Kongregation für die Heiligsprechung hat drei verschiedene Abteilungen:
• das Gerichtswesen,
• die Sektion für die Glaubensanwälte und
• die historisch-hagiografische, die Fortführung der von Papst Pius XI. 1930 gegründeten Historischen Sektion.
Nach dem 2. Vatikanischen Konzil wurde eine Reihe historisch nicht nachweisbarer legendärer Heiligen gestrichen,
in Regionalkalendern blieben sie z. T. erhalten. Im neuesten Martyrologium Romanum von 2004 wurden einige davon wieder
aufgenommen.
Ein Beispiel dafür ist Katharina von Alexandria, die durch
ihre Gelehrsamkeit bekannt wurde.
Katharina disputiert mit den Gelehrten der Universität
Ingolstadt, deren Patron sie ist, Hans Mielich,
1572, Hochaltar in der Münsterkirche in Ingolstadt
Katharinas Geschichte ist rein legendär. Sie wurde erst ab dem 8. Jahrhundert verehrt. In ihrer Gestalt vereinigen
sich Schicksal und Wesenszüge der heidnischen Gelehrten Hypatia, die 415 durch Patriarch
Cyrill von Alexandria getötet worden war.
Als eines der „Drei Heilige Mädchen“ wurde Katharina äußerst populär.
„Margareta mit dem Wurm,
Barbara mit dem Turm,
Katharina mit dem Radl,
das sind die drei heiligen Madl.“
Die drei heiligen Jungfrauen sind klassisch die Schutzpatroninnen des Nähr- (Margareta von Antiochien), Lehr-
(Katharina von Alexandria) und Wehrstandes (Barbara).
Papst Johannes Paul II. reformierte 1983 das Verfahren
in Heiligsprechungs-Angelegenheiten.
Bild von Johannes Paul II. bei seiner Seligsprechung auf dem
Petersplatz in Rom
Mit der Apostolischen Konstitution „Divinus Perfectionis Magister“ und der Empfehlung „Normae servandae in
inquisitionibus ab episcopis faciendis in causis sanctorum“ wurde das Verfahren grundlegend neu: Es wurde ein Kolleg
von Berichterstattern eingerichtet das beauftragt ist, die Vorbereitung der Verfahren zu begleiten. Die Kongregation
wird von einem Kardinalpräfekten geleitet und hat neben ihrem Sekretär weitere 23 Mitglieder - Kardinäle, Erzbischöfe
und Bischöfe, dazu 6 Beigeordnete und 71 Berater. Der Zentralbehörde beigeordnet ist seit 1984 die Studienabteilung,
deren Aufgabe ist die Ausbildung der Mitarbeiter der Kongregation sowie die Ausbildung und Beratung derer, die mit der
Kongregation zusammenarbeiten und Anträge stellen. Neben dem Präfekten, dem Sekretär und Untersekretär, fünf Relatoren
und dem Glaubenspromotor gehören 17 weitere Mitarbeiter zum Arbeitsteam;
34 Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe gehören der Kongregation als Mitglieder an und geben ihr Votum ab; 83
Theologen und Historiker stehen als Gutachter zur Verfügung.
Schema der Prozesse
Ein Antragsteller, z. B. ein Orden, eine Diözese oder eine private Gruppe, bittet den Papst um Aufnahme des
Verfahrens mit dem Ziel der Seligsprechung. Nach der Genehmigung des Antrags beginnt die Kanonisierungskongregation
mit der Untersuchung der eingereichten Unterlagen und prüft,
• ob die „fama sanctitatis et elenchus“, der „Ruf der Heiligkeit und eines vorbildlichen Lebens“, einer Nachprüfung
standhält und
• ob dieses menschliche Urteil über die Tugendhaftigkeit eines Menschen in einer Art Gottesurteil bestätigt wird:
Hierzu wird die „fama signorum“, der „Ruf der Wundertätigkeit“ geprüft. Falls der Kandidat tatsächlich auch vor
Gott selig ist, so werde dies durch außergewöhnliche Vorkommnisse, durch Zeichen, bestätigt.
Deshalb werden die berichteten Wunder - zumeist sind es Heilungs-wunder - überprüft, wobei Wissenschaftler - oft
Ärzte - als Gutachter hinzugezogen werden.
Bei Papst Johannes Paul II. war das anerkannte Wunder für die Seligsprechung die Wunderheilung an der Nonne
Marie Simon-Pierre aus Frankreich, die - wie Johannes Paul II. in den letzten Jahren seines Lebens - an Parkinson
litt, aber nach ihren Bitten zu Johannes Paul um Fürsprache geheilt wurde.
Für die Heiligsprechung ist ein weiteres „fama signorum“ nötig.
Als Wunder bei Papst Johannes Paul II. anerkannt wurde hierfür, dass Floribeth Mora Díaz aus Costa Rica am Tag
der Seligsprechung von einem Aneurysma im Gehirn geheilt wurde.
Die Studienabteilung soll auch den „Index ac Status Causarum“ aktualisieren; in der ersten Ausgabe von 1988
wurden hier alle 3464 Verfahren verzeichnet, die seit 1588 eingeleitet wurden; bis 1978 wurde 1385 Mal die Verehrung
approbiert, 565 Menschen wurden selig-, 285 heiliggesprochen.
Die Kongregation bereitet alles vor, was der Papst für eine Selig- oder Heiligsprechung braucht;
Die behaupteten Wunder müssen in einem genauen Bericht festgestellt sein, dann in einem Kongress von Theologen,
schließlich in einem dreifachen Konsistorium - einem geheimen aus Kardinälen, einem öffentlichen aus Kardinälen,
Prälaten und nichtkirchlichen Würdenträgern, schließlich einem halbamtlichen aus Kardinälen und den in Rom anwesenden
Bischöfen - erörtert werden.
Die Entscheidung des Konsistoriums wird dem Papst übergeben, der dann die Kanonisierungen ausspricht.
Die Selig- und Heiligsprechung durch den Papst ist ein Akt, den dieser in Ausübung seines unfehlbaren Lehramtes
vornimmt.
Die Heiligsprechung ist somit eine Aussage der Kirche über sich selbst, worin ihr eschatologisches Bewusstsein
zum Ausdruck kommt, das sie befugt, bereits jetzt konkrete Personen als Heilige namhaft zu machen.
Heiligsprechungsfeier für Josef-Maria Escrivá de Balaguer,
der am 6. Oktober 2002 vor 500.000 Menschen auf dem
Petersplatz in Rom heiliggesprochen wurde -
nur 27 Jahre nach seinem Tod; so schnell ist seit Einführung des geordneten Verfahrens zur Heiligsprechung kein Katholik
zur Ehre der Altäre erhoben worden.
Statt einer formell so geprüften Heiligsprechung mit nachgewiesenem Wunder hat der Papst auch die Möglichkeit
einer Ausweitung der Verehrung auf die gesamte Weltkirche; das geht auf Papst Urban VIII. (1623 - 1644) zurück und wird
in Fällen angewandt, in denen schon lange eine regionale Verehrung besteht.
Beispiel dafür in jüngerer Zeit ist Hildegard von Bingen:
Am 10. Mai 2012 hat Papst Benedikt XVI. angeordnet, dass sie in den Heiligenkalender aufgenommen werde. Benedikt XVI.
hat dabei eigentlich aber nur offiziell angeordnet, was seit 1584 gilt. Am 7. Oktober 2012 wurde sie dann von Papst
Benedikt XVI. zusätzlich zur Kirchenlehrerin erhoben.
Unter dem Pontifikat von Johannes Paul II. wurden nach unserer Zählung insgesamt 1316 Menschen selig- und
483 heiliggesprochen; das sind deutlich mehr Selig- und fast doppelt so viele Heiligsprechungen als bis dahin in den
fast 400 Jahren seit 1588, der Einführung des Kanonisierungsverfahrens.
Allein im Jahr 1997 arbeitete die Kongregation an 1500 Verfahren, jedes kostet etwa 50.000 bis zu 250.000 Euro.
Diese Kosten werden in der Regel von den Antragstellern - Diözesen oder Orden - aufgebracht und sind eine wichtige
Einnahmequelle für den Vatikan.
Seit dem Amtsantritt von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2005 werden Seligsprechungen nicht mehr vom Papst sondern
- wie auch bis 1975 üblich - durch den Präfekten der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse vorgenommen
und von nun an in den Diözesen oder an einem anderen geeigneten Ort gefeiert; auf Antrag des zuständigen Bischofs können
sie nach Rom verlegt werden.
Gedenken der Heiligen
Bei der Fülle der Seligen und Heiligen ist es nötig, das hierarchisch zu strukturieren:
Die römisch-katholische Kirche kennt verschiedene Ränge von liturgischen Feiertagen:
• Hochfeste, z. B. Ostern, Weihnachten, Aschermittwoch, Allerheiligen und Kirchweih;
• Feste, z. B. Kathedra Petri oder der Gedenktag für
Edith Stein;
• Gebotene Gedenktage, z. B. für Karl Lwanga und Gefährten, d. h.:
bei der Feier der Heiligen Messe und des Stundengebetes müssen die entsprechenden Texte verwendet werden.
• Nicht gebotene Gedenktage, z. B. für Vinzenz von
Valencia.
Heiligsprechung in den Orthodoxen Kirchen
Basilius-Kathedrale, 1561, auf dem Roten Platz in
Moskau
Die im Glaubensbekenntnis genannte Selbstbezeichnung lautet: „Die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische
Kirche“. Die orthodoxen Christen betrachten sich als die einzigen legitimen Nachfolger der alten Kirche, von deren
Grundlage sich die westliche Kirche entfernt habe. Diese Kirchenspaltung, das
Morgenländische Schisma, wird gemeinhin auf das Jahr 1054
datiert; tatsächlich stellt dieses Datum aber nur den Endpunkt einer großen, jahrhundertelangen Entfremdung dar.
Aber: es gibt nicht „die Orthodoxe Kirche“.
Heute besteht die Orthodoxie aus 14 bzw. 15 autokephalen, d. h. selbständigen, und 5 bzw. 6 autonomen Kirchen:
► Es gibt 4 altkirchliche Patriarchate:
• Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel mit Sitz in
Ístanbul, das die nur noch wenigen Orthodoxen
in der Türkei, die Klöster auf dem Athos sowie Nordgriechenland
einschließlich Thessaloniki umfasst und
weltweit zuständig ist für Bistümer, die keinem anderen Patriarchat unterstehen.
Der Patriarch hat keine rechtliche Hoheit über andere orthodoxe Kirchen, wird aber als Ehrenoberhaupt der Orthodoxie
von allen anerkannt. Die Liturgie wird in Altgriechisch gefeiert.
• Das Patriarchat von Alexandria und ganz
Afrika, das heute in Kairo beheimatet ist.
Die Liturgie wird meist in Altgriechisch gefeiert.
• Das Patriarchat von Antiochia und dem
ganzen Osten der Rum-Orthodoxen Kirche, das heute in
Damaskus sitzt. Die Liturgie wurde bis ins
20. Jahrhundert in aramäischer Sprache gehalten, heute meist aber in Arabisch.
• Das Patriarchat von Jerusalem, noch immer
in Jerusalem, ist zuständig für Israel, Palästina und Jordanien. Die Liturgie wird meist in Altgriechisch gefeiert.
Dereinst war Rom mit dem Papst das 5. altkirchliche Patriarchat.
► An zweiter Stelle stehen 5 Patriarchate der nachkaiserlichen Zeit:
• das Katholikat von Georgien mit Liturgie in georgischer Sprache;
• das Patriarchat von Bulgarien mit der Liturgie in Kirchenslawisch;
• das Patriarchat von Moskau und ganz Russland mit der Liturgie in Kirchenslawisch;
• das Patriarchat von Serbien mit der Liturgie in Serbisch, selten in Kirchenslawisch;
• das Patriarchat von Rumänien mit der Liturgie in Rumänisch.
► Dann gibt es 5 (oder 6) weitere autokephale Kirchen:
• das Erzbistum von Zypern mit der Liturgie in Altgriechisch;
• das Erzbistum von Hellas für den Großteil des griechischen Festlands mit der Liturgie in Altgriechisch;
• das Erzbistum von Polen;
• die Kirche von Albanien;
• das Erzbistum Tschechiens und der Slowakei.
• Die Orthodoxe Kirche in Amerika erhielt Autokephalie von der Russisch-Orthodoxen Kirche gewährt, wird aber von
den übrigen autokephalen Kirchen nur als autonom anerkannt.
► Schließlich: 4 (oder 6) autonome Kirchen, bei denen eine autokephale Kirche Mitspracherecht hat bei
der Bestimmung des Vorstehers:
• das Erzbistum von Finnland;
• das Erzbistum von Japan;
• die Russisch-Orthodoxe Auslandskirche;
• das Erzbistum des Sinai, bestehend aus dem
Katharinenkloster und wenigen Beduinenfamilien.
• die Metropolie von Estland - die Autonomie wird vom Moskauer Patriarchat nicht anerkannt;
• die ukrainische Kirche des Kiewer
Patriarchats hat sich 1991 vom Moskauer Patriarchat abgespalten und beansprucht Autokephalie, die 2019 vom
Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel anerkannt wurde, nicht aber vom Moskauer Patriarchat.
Weitere nationale Kirchen entstanden durch Abspaltung, sie werden von keiner autokephalen Kirche anerkannt:
• die mazedonische Kirche beruft sich auf die Tradition des 1767 aufgelösten Erzbistums Ohrid; sie erklärte sich
1967 gegen den Willen des Patriarchats von Serbien für autokephal;
• die 1963 gegründete Montenegrinisch-Orthodoxe Kirche;
• die Belarussische (weißrussische) Kirche, die v. a. in den USA verbreitet ist.
Die Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche und die infolge der Selbständigkeit Eritreas 1993 davon abgespaltete
Eritreisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche führen die Bezeichnung orthodox im Sinne von rechtgläubig im Namen, gehören aber
nicht zur orthodoxen Kirchenfamilie, sondern sind monophysitistische
Kirchen; daselbe gilt für die Malankara
Syrisch-Orthodoxe Kirche und die davon 1912 abgespaltete Malankara Orthodox-Syrische Kirche in Indien.
Heilig- und Seligsprechungen erfolgen in den Orthodoxen Kirchen ohne vorherigen „Prozess“ durch Beschluss der
jeweiligen Synoden.
In den Orthodoxen Kirchen gibt es kein verbindliches, gemeinsames Heiligenverzeichnis, die einzelnen orthodoxen
Kirchen verantworten auch die Heiligsprechungen selbst.
Die wichtigsten Verzeichnisse sind
• der „Prolog von Ohrid“, zusammengestellt
vom serbischen Bischof Nikolai Velimirovic in Ohrid in den Jahren 1920 bis 1938 und
• das „Nachschlagewerk für Geistliche“ des
Moskauer Patriarchats, erschienen 1978 & 1979 in Moskau.
Bis zur Kirchenspaltung von 1079 werden alle „katholischen“ Heiligen übernommen, so von den orthodoxen Kirchen
in Deutschland z. B. auch deutsche Regionalheilige wie Ulrich von
Augsburg.
Ein Beispiel für Heilige in Orthdoxen Kirchen:
Der letzte russische Zar Nikolaus II. Alexandrowitsch
und seine Familie
Auf Druck der Generalität dankte Nikolaus II. am 15. März 1917 zugunsten seines Bruders, des Großfürsten Michail,
ab, er wurde verhaftet und mit seiner Familie nach Sibirien verbannt. So konnte noch eine Niederlage im 1. Weltkrieg,
nicht aber die Oktoberrevolution der Bolschewisten verhindert werden. Ein gutes Jahr später wurde Nikolaus zusammen mit
seiner Familie in Jekaterinburg von
bolschewistischen Truppen ermordet.
Die russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland sprach die Zarenfamilie bereits 1981 heilig. Im August 2000 wurde
Nikolaus auch von der Russisch-Orthodoxen Kirche zusammen mit seiner Frau Alexandra, dem Kronprinz Alexis und seinen
vier Töchtern heiliggesprochen - nicht wegen seiner katastrophalen Politik, sondern ausdrücklich wegen seines
Lebenswandels und seines Martyriums.
Gleichzeitig wurden 855 weitere Märtyrer des 20. Jahrhunderts heiliggesprochen.
In der Russisch-Orthodoxen Kirche waren Heiligsprechungen in der Zeit des Kommunismus unterbrochen, sie wurden
ab 1990 mit zahlreichen Heiligsprechungen v. a. von Neu-Märtyrern wieder aufgenommen.
Gibt es Heilige bei den Protestanten?
Da die Heiligenverehrung oft in Aberglaube abdriftete, weil man den Heiligen magische Kräfte zutraute und sie
direkt anbetete, wandten sich schon vor der Reformation Bogomilen und
Waldenser gegen diese Praxis.
Die Reformation lehnte die Heiligenkulte ab, da sie sich nicht von der Bibel her begründen lassen. Das
Konzil von Trient bestätigte dagegen, dass es gut und nützlich sei,
die Heiligen anzurufen, um durch ihre Fürbitte Gottes Wohltaten zu erlangen.
Hochgrab für Benno im Dom von Meißen, um
1270, es wurde in der Reformation zerstört
Martin Luther selbst war noch ganz mit der Heiligenverehrung
aufgewachsen. (Bekannt ist die Erzählung, wie er Anna anrief als er Lebensgefahr
verspürte bei einem Gewitter nahe Stotternheim.)
Später wurde Luther zum radikalen Kritiker: zu „Götzen“ seien die Heiligen geworden, einem jeden Heiligen habe man
„besondere Kraft und Macht zugeeignet, einem über Feuer, diesem über Wasser, diesem über Pastillen, Fieber und allerlei
Plage, so dass Gott selbst hat ganz müßig sein müssen und die Heiligen anstatt seiner wirken und schaffen lassen“.
Luther sah die Gefahr, dass sich die Leute gewöhnen, mehr Zuversicht auf die Heiligen zu setzen als auf Christus selbst.
Heiligenverehrung geriet für Protestanten deshalb in den Verdacht der Heiligenanbetung.
Portrait von Martin Luther, Werkstatt von Lukas Cranach dem Älteren, um 1528, Westfälisches Landesmuseum in Münster
Tatsächlich werden aber auch in der katholischen Kirche Heilige nicht „angebetet, sondern es wird an
sie eine „Bitte um Fürsprache“ gerichtet - in der Volksfrömmigkeit aber ist das Wissen um die Lehre oft gering, die
Praxis also zumindest missverständlich.
Das Augsburger Bekenntnis von 1530 - die wichtigste
Bekenntnisschrift der reformatorischen Kirchen - formuliert im Artikel 21 „Vom Dienst der Heiligen“:
„Vom Heiligendienst wird von den Unseren so gelehrt, dass man der Heiligen gedenken soll, damit wir unseren Glauben
stärken, wenn wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren und auch wie ihnen durch den Glauben geholfen worden ist;
außerdem soll man sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen, ein jeder in seinem Beruf.
Aus der Heiligen Schrift kann man aber nicht beweisen, dass man die Heiligen anrufen oder Hilfe bei ihnen suchen soll.
'Denn es ist nur ein einziger Versöhner und Mittler gesetzt zwischen Gott und den Menschen, Jesus Christus.'
(1. Timotheusbrief 2, 5).“
Ganz parallel sagte auch das 2. Vatikanische Konzil:
Sinn und Ziel der Heiligenverehrung ist: Beispiel und Antrieb für uns zu sein, in allen Wechselfällen des Lebens die
Einheit der ganzen Kirche zu erfahren und einzuüben und so zu Christus als der Krone aller Heiligen zu gelangen.
- Theologisch gibt es also eigentlich - jedenfalls heute - gar keine Differenz!
Der „Evangelische Namenkalender“ wurde 1963 von der Evangelischen Michaelsbruderschaft des Berneuchener Hauses
Kloster Kirchberg erstellt und 1969 vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland freigegeben.
Seit 1976 besteht er in einer ökumenischen Fassung, die sich an die nachkonziliaren Erneuerung des katholischen
Regionalkalenders für das deutsche Sprachgebiet anlehnt. Er enthält
• Tage zum Gedenken an die Apostel und an für die Geschichte aller Kirchen wichtige Personen, stimmt darin also
mit dem katholischen Heiligenkalender überein, und
• Tage zum Gedenken an für die Geschichte der reformierten Kirchen wichtige Personen.
Der Evangelische Namenkalender wird jedes Jahr von der Liturgischen Konferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland
im evangelischen Sonn- und Festtagskalender für das Kirchenjahr veröffentlicht.
Anglikanische Kirche
Dietrich Bonhoeffer im Jahr 1939
Bonhoeffer ist einer der wenigen in den Anglikanischen Kirchen
mit Gedenktag bedachten, der nicht katholischer Heiliger ist.
Ein anderer ist Oscar Romero, der Erzbischof von
San Salvador, der 1980 als Märtyrer starb.
Die anglikanischen Kirchen kennen keine Heiligen in kanonisierter Form, sie unterscheidet in der liturgischen Praxis:
• Hauptfeste wie Weihnachten und Ostern
• Heilige Tage wie Aschermittwoch oder Karfreitag
• Feste wie die Gedenktage der Evangelisten und für Maria
• Lesser Festivals, niedrigere Feste für wichtige Heilige wie Martin
von Tours oder Benedikt von Nursia und englische Heilige
wie Patrick von Irland oder
Dunstan von Canterbury
• Commemorations als Gedenktage für Märtyrer wie Johannes Fisher
oder Thomas Morus sowie für Bischöfe, Ordensgründer oder Könige.
Die anglikanischen „Holy Days“ wurden vom Konzil der Erzbischöfe der anglikanischen Kirchen zuletzt mit dem neuen
Common Worship im Jahr 2000 festgelegt
Ähnlich gilt das für die lutherischen Kirchen in den USA:
• die ELCA, die Evangelical Lutheran Church in America hat das „Lutheran Book of Worship“ von 1978, ergänzt 2006,
• die LCMS, die Lutheran Church - Missouri Synod das „Lutheran Worship“ - ergänzt 2006.
Auch andere Kirchen wie die Armenische Kirche, oder die
Koptische Kirche haben ihre Heiligen.
Gibt es Heilige im Islam?
Der Islam kennt keine Mittler zwischen dem Gläubigen und Allah und deshalb ja keine Priester - und eben keine
fürbittenden Heiligen.
Aber die Volksfrömmigkeit in der islamischen Welt hat das seit den Anfängen seiner Ausbreitung immer anders gesehen,
denn wo immer der Islam Anhänger fand, waren dies Menschen, die zuvor auf anderem Wege einen Gott verehrt und ihm gedient
hatten, und diese alten Glaubensüberzeugungen sind in die neue Religion eingeflossen.
Gebetsbitten am Marienhaus - türkisch:
Meryemana Evi - bei Ephesus, wo Maria angeblich im Alter lebte und starb und das auch von Muslimen als Wallfahrtstätte
viel besucht wird
Vor der Ankunft der ersten Türken vor annähernd 1000 Jahren war das Gebiet der heutigen Türkei - auch fast ein
Jahrtausend lang - christlich. Die nun zum Islam übergetretene Bevölkerung bewahrte, was ihren Vorvätern heilig gewesen
war, und passte es an.
Aus dem heiligen Georg wurde so der muslimische Hidrellez,
dessen Fest man bis heute am 6. Mai feiert - der nach orthodoxem Kalender also noch immer selbe Gedenktag.
Besonders bei den Sufis bot sich der einfachen Bevölkerung Hilfe auf dem mühsamen Weg der Erkenntnis durch Heilige
oder heiligmäßige Personen, die in den Nöten des Alltags halfen.
Seit der Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen 1453 sind in der Stadt ungezählte Stätten der Verehrung entstanden: zunächst wohl als Umwidmung bestehender Kultorte, weitere entstanden aus der Volksfrömmigkeit, teilweise auch durch Initiativen der Staatsführung.
Ein Beispiel solcher Verehrung ist Mevlânas Grab (unter dem Baldachin) in Konya in der Türkei - dem biblischen Ikonium -, umgeben von vielen anderen Gräbern von muslimischen Ordensmännern.
Das Mevlâna-Kloster, das Kloster der tanzenden Derwische, mit dem Grab des Gründers dieses Ordens, Celal-eddin
Rumi, zu erkennen am grünen Hut
Der Lehrer der Philosophie gründete 1272 den Orden, der seinen Namen hat aus der Anrede des Ordensführers
Mevlâna, „unser Herr“. Die Lehre hat das Ziel der „Vereinigung der Menschenseele mit dem Allerhöchsten“.
Solch ein Grab besteht in der Regel aus einer Turban-bekrönten osmanischen Grabstele und ist von einer niedrigen
Mauer und einem darüber angebrachten Gitter eingefasst; Zaun und Grabstein sind mit grüner Ölfarbe angestrichen. Auf
der Mauer finden sich Wachsreste oder Kerzen.
Ist es das Grab eines populären, viel besuchten Heiligen, weist eine Tafel der offiziellen Religionsbehörde darauf
hin, dass das Abbrennen von Kerzen an Heiligengräbern unislamisch ist.
Volksheilige
Es gibt auch in fast allen Kulturen weltweit Volksheilige, die nicht von der jeweiligen Religion auserwählt wurden und
anerkannt werden, aber in der Volksfrömmigkeit bedeutsam sind. Ein Beispiel ist
Maximón in Mittelamerika.
Im Städtchen Santiago in Guatemala hat der
heilige Maximón - auch San Simon genannt, weil er Elemente aus der Tradition des Apostels
Simon aufgenommen hat - sein Zuhause im Wohnhaus eines Mitglieds
der Laienbruderschaft, die zu seiner Verehrung gegründet wurde.
Die Verehrung von Maximón geht zurück auf alte Wurzeln der Maya-Kultur, der Tradition der Ureinwohner. Eine Legende
besagt, dass sie so verzweifelt darüber waren, unter der spanischen Herrschaft nicht mehr zu ihren Göttern beten zu
dürfen, dass ein Priester ihnen riet, in die Wälder zu gehen und nach einem hohlen Baumstamm zu suchen, in dem das
Heulen des Windes zu hören sei - die Stimmen ihrer Götter.
Aus diesem Holz soll dann Maximón geschnitzt worden sein. In ihm leben Elemente aus der Überlieferung der Maya-Göttin
der Unterwelt fort.
Maximóns Kleider sind bunte Seidentücher, die ihm das Aussehen eines Geschäftsmannes geben, der sich alle Krawatten
auf einmal umgebunden hat.
Maximón mit meinem Sohn in San Andrés Xecul
Die Heiligenfigur hat meist eine ihm geschenkte brennende Zigarette im Mund; Asche bröselt in die Schale, die vor
ihm steht. In diese Schale legt man auch Münzen, die man Maximón schenkt.
Gerne wird er auch mit Zuckerrohrschnaps bedacht, der rinnt Maximón in den Mund. Zu seinen Füßen werden farbige
Kerzen entzündet: blaue für mehr Erfolg im Beruf, weiße zum Schutz der Kinder und grüne für wachsenden Wohlstand.
Zu Ostern wird er auf den Schultern der Laienbrüder getragen, um an der großen Osterprozession teilzunehmen wie die
katholischen Heiligenfiguren auch - zwar nur als Letzter, ganz hinten im Zug, aber dort stört ihn wenigstens niemand
beim Rauchen und Trinken.
Ein anderes Beispiel ist „Santa Muerte Difunta Correa“, „die heilige tote verstorbene Correa“, eine historische Frau, die 1841 auf der Suche nach ihrem Mann angeblich in der Wüste Argentiniens verdurstet ist und als Schutzheilige der Autofahrer verehrt wird.
Wie viele katholische Heilige gibt es?
Die vollständigste Heiligenliste ist das allgemeine Verzeichnis im 61. Band der gewaltigen
Acta Sanctorum der Bollandisten, in dem etwa 20.000 Heilige genannt werden.
Der Katalog, der in der katholischen Kirche die größte Anerkennung genießt, ist das
Martyrologium Romanum. Die Ausgabe von 1584 enthielt - nach
Gedenktagen geordnet - rund 2700 Heilige.
1964 beschloss das 2. Vatikanische Konzil, die Kirche solle nur das Gedächtnis solcher Heiliger feiern, die wirklich
von allgemeiner Bedeutung sind. Andere Heilige sollten der Feier in den einzelnen Teilkirchen, Nationen oder
Ordensgemeinschaften überlassen bleiben.
Eine neue Ausgabe des Martyrologium Romanum ist durch die vielen Selig- und Heiligsprechungen von Papst
Johannes Paul II. auf rund 7000 Einträge angewachsen, sie erschien
im Jahr 2001 und 2004 in korrigierter Fassung.
Wir kommen zum Schluss:
Die Bedeutung von Reliquien
Reliquien des Diakons und Märtyrers Festus, eines Gefährten des Bischofs
Januarius von Neapel, im Kloster
Monte Vergine bei Avellino
Die „Überreste“, latein.: „reliquiae“, eines Verstorbenen werden verehrt, weil die Gläubigen hoffen, an seinen
Wirkkräften Anteil und den Segen zu erhalten. Unterschieden werden dabei
• Primärreliquien, das sind der verstorbene Körper oder Teile davon,
• Sekundärreliquien, das sind Gegenstände, mit denen der Verehrte oder sein Leichnam Kontakt hatte.
Das Vertrauen in die Wirkkraft von Reliquien kann sich schon auf das Zeugnis des Alten Testaments berufen:
2. Könige 13, 20 - 21 schildert, wie der Kontakt mit den Totengebeine des Propheten
Elisa die Auferstehung eines Verstorbenen bewirkten.
Die erste im Christentum bekannte Verehrung galt den Reliquien des
Polykarp von Smyrna
Dann begann man damit, die Gräber von Märtyrern zu öffnen, Reliquien zu erheben und sie unter dem Altar einer Kirche
zu bestatten; als erster im Westen tat dies Ambrosius von Mailand,
der die Gebeine von Gervasius und
Protasius auffand und neu bestattete.
Reliquienschrein mit Gervasius und Protasius im
Münster St. Stephan in Breisach am Rhein
Im 6./7. Jahrhundert setzte sich im Frankenreich der Brauch der „Erhebung zur Ehre der Altäre“ durch: der Sarg
eines verehrten Verstorbenen oder Märtyrers wurde hinter dem Altar etwas erhöht aufgestellt - das Geschehen, das der
späteren Heiligsprechung gleichkam.
Die Verbindung von verehrtem Grab und Altar wurde schnell so verbreitet, dass es bald keinen Altar ohne Reliquien
mehr gab; die Verehrten wurden dann zu Patronen der Kirche oder des Klosters. Bis heute empfiehlt das katholische
Kirchenrecht die Bergung von Reliquien in einem Altar.
Zunehmend setzte sich ab dem 9. Jahrhundert durch, dass nicht nur der ganze Leichnam, sondern auch seine
einzelnen Teile als Reliquien verehrt werden.
Das 4. Laterankonzil verbot 1215 die direkte
Zurschaustellung; die Überreste wurden nun in ein Behältnis - das Reliquiar - eingelegt, wobei der Inhalt oft durch
die Form des Behältnisses verdeutlicht wurde.
Armreliquiar von Elisabeth von Thüringen, wohl um 1240,
in der Kapelle des Schlosses in Sayn
Wer es sich leisten konnte, scheute auch als Privatmann weder Mühen noch Kosten, Reliquien als Unterpfand
heiligen Beistands zu erwerben.
Kardinal Albrecht von Brandenburg etwa erwarb im Laufe seines Lebens in den Jahren um 1500 über 30.000 Objekte.
Sein Zeitgenosse Friedrich „der Weise” – der große Förderer von
Martin Luther und der Reformation – hatte eine der größten
Sammlungen seiner Zeit zusammen getragen, der
Nürnberger Bürger Nikolaus Muffel beispielsweise
brachte es damals immerhin auf 308 Reliquien.
Hinter dieser Sammelleidenschaft stand die Überzeugung, dass der Anblick oder gar die Berührung einer Reliquie
Wunder wirken könne. Zudem ließ sich der Besitz von Reliquien in Ablassjahre umrechnen, Albrecht von Brandenburg durfte
hoffen, mit seinem Gnadenschatz 39.245.120 Jahre Ablass erworben zu haben.
Johannes (der Täufer)-Schale mit Geheimfach für Reliquien,
12. Jahrhundert, früher wohl bei Prozessionen vorangetragen, im Domschatz in
Naumburg
In der Reformation erfasste der Bildersturm - besonders durch die Anhänger von
Johannes Calvin mit Vehemenz durchgeführt - auch die Reliquien.
Das Konzil von Trient bestätigte dann für die katholische Kirche
die Verehrung von Heiligen und Reliquien, versuchte aber, Missbrauch abzustellen.
Die Barockzeit brachte in der katholischen Kirche eine neue Blüte der Verehrung von Heiligen und ihrer Reliquien.
Und wie bei der Heiligenverehrung selbst: auch der Islam und der Buddhismus - kennen Reliquien.
Selbst atheistische Gruppen kennen solche Verehrung, wie der einbalsamierte Lenin an der Kreml-Mauer in
Moskau erweist.
Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 20.09.2020
korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
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